Skandal reiht sich an Skandal, aber die AfD wächst weiter. Im Interview mit Euronews entschlüsseln Experten die Formel, warum so viele Menschen der Rechtsaußen-Partei treu bleiben.
Wohl keine andere deutsche Partei ist so von Skandalen geprägt wie die AfD. Da wäre die Spionageaffäre um den Europaabgeordneten Maximilian Krah. Sein ehemaliger enger Mitarbeiter Jian G. wurde als chinesischer Spion verurteilt. Auch gegen Krah wird ermittelt. Er soll mutmaßlich Schmiergeld von China erhalten haben.
Oder das "Potsdamer Treffen", bei dem AfD-Funktionäre Pläne für eine groß angelegte "Remigration" diskutierten, bei der auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund abgeschoben werden sollten.
Oder der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Weil er verbotene NS-Parolen verwendet hat, wurde er mehrmals verurteilt.
Zuletzt wurde erneut AfD-Bundestagsabgeordneten die Immunität entzogen: Zum einen dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Stephan Brandner. Er soll eine SPIEGEL-Journalistin als "Faschistin" beleidigt haben. Dem Abgeordneten Matthias Moosdorf wird vorgeworfen, in einem Nebengebäude des Parlaments den Hitlergruß gezeigt zu haben.
Rechtsradikal und unzufrieden?
Doch trotz massiver Skandale bleiben Wähler der AfD treu. So treu, wie keiner anderen Partei, erklärt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. "Schon in der gesamten Geschichte der AfD spielten Personen für AfD-Wähler keine große Rolle", so Güllner.
"Denn die Partei wird vor allem von Menschen aus dem rechtsradikalen Milieu gewählt und von Personen, die unzufrieden sind mit der Politik der Ampel oder der von Merz. Die gucken gar nicht so genau, welches Personalangebot die AfD hat."
Deswegen seien ihre Funktionäre auch "austauschbar", sogar Parteichefin Alice Weidel, betont der Meinungsforscher. "Eine besonders charismatische Persönlichkeit, die Wähler fasziniert, fehlt der AfD, so wie es etwa Jörg Haider für die österreichische FPÖ war".
In der Vergangenheit haben schon einige prominente AfD-Politiker die Partei verlassen und scheiterten bei dem Versuch, erneut politisch Fuß zu fassen: AfD-Gründer Bernd Lucke mit der Gründung von "Wir Bürger" oder der einstige Parteivorsitzende Jörg Meuthen. Aktuell ist er stellvertretender Vorsitzender der Werteunion.
AfD-Gründerin Frauke Petrys "Die blaue Partei" wurde zwei Jahre nach Gründung wieder aufgelöst. Mit "Team Freiheit" unternimmt sie einen neuen Anlauf.
Wirtschaftskrise befeuert rechte Radikale
Die AfD gilt als rechtspopulistische "Anti-System-Partei". Zunehmend stärken die radikalen Rechten in Deutschland anti-demokratische sowie rassistische Ressentiments. Dazu gehört auch eine Gegenüberstellung von "Volk" und "Elite", wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung schreibt.
Demnach verstehen sich AfD-Wähler als "ausgegrenzte Mehrheit". Sie wollen das System von außen sprengen. Entscheidend sei für sie vor allem die eigene wirtschaftliche Situation.
Die angespannte deutsche Wirtschaft sei ein Nährboden für Rechtspopulismus. Ängste vor Statusverlust würden auch in der Mitte der Gesellschaft bestehen, so die Stiftung.
Forsa-Chef Güllner bestätigt: "Im Wahlkampf und auch jetzt ist die ökonomische Lage für die Bundesbürger das wichtigste Problem."
Das ifo-Institut wertet sowohl Wirtschafts- und Finanzkrisen als auch die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen als zentrale Gründe für das Erstarken radikaler Bewegungen und Parteien.
AfD als Hauptgegner
Um sich weiter von der AfD abzugrenzen, kam Anfang der Woche die CDU-Spitze in Berlin zusammen und einigte sich auf neue Leitlinien. Der Bundeskanzler erklärte die Rechtspopulisten zum "Hauptgegner" der Union. Er will dem Aufstieg der AfD ein Ende setzen.
Doch um das zu schaffen, müssten Union und Co. sich mehr um die Probleme kümmern, die die Menschen wirklich bewegen, erklärt Güllner. Als Negativbeispiel nennt der Experte das Heizungsgesetz des ehemaligen Wirtschaftsministers Robert Habeck während der Ampel-Regierung. "Damals hat die AfD stark zugelegt."
Schaden würden der AfD auch "extreme Positionen", so wie sie bei dem geheimen Potsdamer Treffen verbreitet wurden. "Damals gab es einen spürbaren Rückgang der AfD-Werte.“
Entzauberung durch Zusammenarbeit
Zuletzt forderten einige namhafte ehemalige Unionsfunktionäre, auf die AfD zuzugehen. Unter ihnen sind der ehemalige Generalsekretär Peter Tauber (CDU), der frühere Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission Andreas Rödder sowie der einstige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).
"Entzauberung gelingt nicht durch Boykott", argumentierte zu Guttenberg gegenüber dem Stern. "Es bedarf der inhaltlichen Konfrontation, und die findet in meinen Augen zu wenig statt. Wovor haben wir Angst?", fragt zu Guttenberg. Viele AfD-Funktionäre seien "intellektuelle Flachwurzler".
"Lange bezweifelten auch die Wähler, dass die AfD Probleme besser lösen könnte als andere Parteien“, erläutert Güllner. Doch "seit Beginn der neuen Regierungsperiode schreiben Wähler der AfD zum ersten Mal eine gewisse politische Kompetenz zu."
Mehrheit gegen die AfD
Kritisch zu betrachten sind auch die bisherigen Annäherungsversuche, namentlich die Abstimmung zum "Fünf-Punkte-Plan" der Unionsfraktion Anfang des Jahres. Der Entschließungsantrag wurde mit Stimmen aus der AfD-Fraktion angenommen. Die SPD-Fraktion warf Merz "Tabubruch" vor. Hunderttausende gingen im ganzen Land auf die Straße.
"Die gemeinsame Abstimmung von Merz mit der AfD hat der AfD weiteren Aufschwung verschafft." Generell legt die AfD in Umfragen zu, seit die Merz-Regierung im Amt ist. Aktuell rangiert sie laut Umfragen bundesweit an erster Stelle mit 27 Prozent, gefolgt von CDU/CSU auf Platz zwei mit 25 Prozent.
Um einen weiteren Aufstieg der AfD zu verhindern, müssten die anderen Parteien sich klarmachen, dass ihre Anhänger immer noch die Mehrheit der Wahlberechtigten sind, so Güllner.
Als Beispiel für einen Erfolg führt er die Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt (Oder) an. Bei der Stichwahl setzte sich der parteilose Axel Strasser 69,8 Prozent gegen den AfD-Kandidaten Wilko Möller mit 30,2 Prozent der Stimmen durch.
Die AfD profitiert von ökonomischer und politischer Unsicherheit. Ob Union, SPD oder Grüne: Wer sie stoppen will, muss mehr bieten als nur Abgrenzung. Es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen bei jenen, die sich längst abgewandt haben.