Mit einem Interview bei Euronews hat EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas eine neue Debatte über Sanktionen gegen Israel entfacht. In Berlin reagiert man mit Zustimmung, Kritik und deutlichen Warnungen.
In einem Exklusivinterview mit Euronews hat EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas schärfere Maßnahmen der Europäischen Union gegen Israel gefordert. Angesichts der humanitären Krise im Gazastreifen und der Lage im Westjordanland forderte sie die Mitgliedstaaten, die sich derzeit noch gegen Sanktionen stellen - dabei insbesondere Deutschland - auf, endlich Haltung zu zeigen.
Kallas kündigte an, die Europäische Kommission werde vorschlagen, Teile des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel auszusetzen und wieder Zölle auf Waren aus Israel zu erheben. Die EU-Kommission hat ihre Vorschläge dem Rat der EU-Länder am Mittwoch vorgelegt.
Der zentrale Knackpunkt dabei: Für solche Maßnahmen ist politisch wie formal eine qualifizierte Mehrheit notwendig. Blockiert wird sie bislang vor allem dadurch, dass vor allem Deutschland Sanktionen gegen Israel auch weiterhin ablehnt.
Kallas äußerte daran deutliche Kritik. Sie forderte die Bundesregierung auf, im Falle einer Ablehnung von Sanktionen zumindest alternative Vorschläge vorzulegen.
Die Forderungen der EU-Außenbeauftragten haben in Deutschland erneut eine kontroverse Debatte ausgelöst, die von Zustimmung bis zu klarer Ablehnung reicht.
Union betont historische Verantwortung und lehnt Handelsmaßnahmen ab
Tilman Kuban, der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, verwies gegenüber Euronews auf die besondere Verantwortung Deutschlands im Umgang mit Israel. In der aktuellen Lage fühlten sich Jüdinnen und Juden weltweit so unsicher wie selten zuvor.
"Gerade jetzt gilt es, alles dafür zu tun, dass das Existenzrecht Israels nicht infrage steht und gerade wir Deutschen unserer historischen Verantwortung für den Staat Israel gerecht werden. Es ist daher richtig, dass Deutschland die Aussetzung des Assoziierungsabkommens und die Einführung von Zöllen ablehnt", so Kuban.
"Gleichzeitig ist es aber auf Basis unserer gemeinsamen Werte auch richtig, die israelische Regierung zu kritisieren, wenn diese rechtswidrig handelt.“
Auch Parteikollege und Fraktionsvorsitzender Jens Spahn lehnt Sanktionen in diese Richtung ab - besonders mit Blick auf den Vorschlag, Handelsvereinbarungen zwischen der EU und Israel auszusetzen.
"Was ist denn dann die Folge? 'Kauft nicht mehr bei Juden'? Das hatten wir alles schon mal", so Spahn im ZDF-Morgenmagazin und spielte dabei auf Boykottaufrufe der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren an, mit denen diese die Existenz jüdischer Geschäftsleute zerstören wollten.
Man müsse aufpassen, wie diese Debatte geführt wird. Den aktuellen Kurs der Regierung sieht er dabei als richtig an. Die Bundesregierung handele "mit der nötigen Balance".
SPD-Außenpolitiker Ahmetovic fordert Ende der deutschen "Blockadehaltung"
Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic stellte sich auf die Seite von Kaja Kallas und forderte ein Ende der deutschen „Blockadehaltung“ in der Debatte um mögliche EU-Sanktionen gegen Israel. Im Deutschlandfunk erklärte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Deutschland solle sich den Plänen der Europäischen Union anschließen und den eigenen Kurs stärker europäisch ausrichten. Fast alle anderen EU-Staaten würden die Vorschläge bereits unterstützen.
Grünen-Chefin Brantner fordert härteres Vorgehen gegen Israel
Franziska Brantner, Bundesvorsitzende der Grünen, hat die deutsche Regierung gegenüber der Deutschen Presse-Agentur aufgefordert, ein härteres europäisches Vorgehen gegenüber der israelischen Regierung zu unterstützen. Deutschland solle seine Blockadehaltung aufgeben.
„Appelle und Aufforderungen werden der Situation in Gaza und auch der Westbank nicht mehr gerecht, auch die Situation der Geiseln wird jeden Tag hoffnungsloser“, so Brantner.
Sie nahm dabei besonders Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul (beide CDU) in die Pflicht. Die beiden müssten sich entscheiden, erklärte die Grünen-Politikerin: „Stellen sie sich an die Seite der Kräfte, die sich für Frieden für alle Menschen in Israel und Palästina einsetzen? Oder sehen sie tatenlos zu, wie eine in Teilen rechtsextreme israelische Regierung weiter in Gaza wütet und die Perspektive auf Frieden und auf die Freilassung der Geiseln in immer weitere Ferne rückt?“
Linke fordert sofortigen Stopp des EU-Israel-Abkommens
Auch die Linke fordert ein härteres Vorgehen. Co-Parteichef Jan van Aken forderte den sofortigen Stopp des EU-Israel-Assoziierungsabkommens.
„Schließlich ist die ,Achtung der Menschenrechte‘ eine wesentliche Voraussetzung dieses Abkommens. Solange Netanjahu die Menschenrechte in Gaza mit Füßen tritt, darf es keine Wirtschaftsprivilegien mehr für Israel geben. Ein solcher Stopp würde die rechtsextreme israelische Regierung wirklich unter Druck setzen. Hier muss sich Merz endlich bewegen und sein Nein gegen eine Aussetzung des Abkommens sofort zurückziehen.“, so der Linken-Politiker gegenüber Euronews.
Die geplante Einnahme von Gaza-Stadt bezeichnete er als eine weitere Eskalation mit gravierenden Folgen für die Menschen in Gaza und die Geiseln der Hamas. Wer sich weiter gegen die Streichung der Privilegien stelle, leiste seiner Ansicht nach "Beihilfe zu den furchtbaren Kriegsverbrechen in Gaza".
Auch van Aken unterstrich Deutschlands besondere Verantwortung gegenüber Israel aufgrund seiner Geschichte. Die müsse es jedoch auch dadurch wahrnnehmen, indem es Menschenrechtsverletzungen deutlich anprangere und Konsequenzen fordere. Zu der Verantwortung zähle auch, "dass wir der Regierung in Jerusalem klar machen, dass sie sich der Achtung der Menschenrechte verpflichtet hat."
Dem werde Deutschland derzeit nicht gerecht.
"Als einer der wichtigsten Partner Israels muss Deutschland alles dafür tun, dass dieser Krieg so schnell wie möglich gestoppt wird.“
Bundesregierung noch unentschlossen
Die Bundesregierung hat sich nach Angaben von Regierungssprecher Stefan Kornelius noch nicht entschieden, ob sie EU-Sanktionen gegen Israel unterstützen wird. "Die Bundesregierung hat sich noch keine abschließende Meinung darüber gebildet", so der Sprecher bei der Regierungskonferenz am Mittwoch. Sanktionen müssten zielgerichtet sein. Die EU-Kommission werde in Kürze Vorschläge vorlegen.
EU-Kommission legt Sanktionsvorschläge vor
Als Reaktion auf die Entwicklung im Gazastreifen hat die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten am Mittwoch - wie bereits von Kaja Kallas im Interview mit Euronews angekündigt - weitreichende Maßnahmen gegen Israel vorgeschlagen. Nach dem Willen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollen unter anderem Freihandelsvorteile gestrichen und Strafmaßnahmen gegen extremistische israelische Minister sowie Siedler verhängt werden.
Betroffen wären unter anderem Finanzminister Bezalel Smotrich und der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir. Außerdem sollen nach Angaben einer hochrangigen Kommissionsvertreterin zehn Mitglieder des Hamas-Politbüros mit Sanktionen belegt werden. Diese hielten sich teils im Gazastreifen und im Westjordanland, teils im Ausland auf.
Die Vorschläge liegen nun beim Rat der EU-Staaten. Für eine Aussetzung der Handelsvorteile ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich – mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die zugleich 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Sanktionsmaßnahmen gegen Personen hingegen bedürfen der einstimmigen Zustimmung aller EU-Mitglieder.