Ein neuer EBRD-Bericht warnt. Allein der Einsatz von KI reicht nicht, um die wirtschaftlichen Folgen alternder Bevölkerungen abzufedern.
Europa wird älter. Der politische Wille, diesen Wandel zu steuern, gerät unter Druck. Grund ist die „Vergrauung der Politik“, so ein neuer Bericht.
Alternde Führungspersönlichkeiten und alternde Wähler verengen den Raum für politische Veränderungen, sagen Forschende der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE). Der Bericht richtet den Blick besonders auf die aufstrebenden Volkswirtschaften in Europa, in die die EBWE investiert.
In diesen Ländern könnte eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung das jährliche Pro-Kopf-Wachstum des Bruttoinlandsprodukts zwischen 2024 und 2050 im Schnitt um fast 0,4 Prozentpunkte verringern.
Der demografische Wandel wird von sinkenden Geburtenraten und steigender Lebenserwartung getrieben. Das erhöht den fiskalischen Druck auf die Staaten.
„Die zentrale Botschaft des Berichts lautet: Handeln Sie jetzt, bevor demografische Trends die Spielräume schließen“, sagte Beata Javorcik, Chefökonomin der EBWE, zu Euronews.
„Politikerinnen und Politiker müssen mutig sein. Sie müssen schwierige Zielkonflikte offen benennen. Und sie müssen kurzfristigen Zwängen widerstehen können.“
KI ist kein Allheilmittel
Gegen die wirtschaftlichen Folgen der Alterung helfen mehrere Hebel: Familienpolitik zur Förderung der Geburten, mehr Zuwanderung, höhere Erwerbsbeteiligung und der Einsatz neuer Technologien.
Bei der Familienpolitik, die Frauen zu mehr Kindern ermuntern soll, sieht die EBWE trotz hoher staatlicher Kosten nur begrenzte dauerhafte Wirkungen.
„2019 hatten die meisten Regierungen in den EBWE-Regionen Maßnahmen zur Förderung der Geburten eingeführt, gegenüber nur fünf Prozent der Volkswirtschaften im Jahr 1980“, so die Forschenden.
„Manche großzügigen Leistungspakete führten zwar kurzfristig zu mehr Geburten. Ein dauerhaft höheres Niveau ließ sich nach Auslaufen der Anreize jedoch kaum halten.“
Beim Einsatz neuer Technologien, vor allem künstlicher Intelligenz, sieht die EBWE Produktivitätschancen. Eine einfache Patentlösung sind diese Werkzeuge jedoch nicht.
„Fortschritte bei KI dürften in manchen Berufen die Produktivität steigern, in anderen aber Beschäftigte verdrängen“, heißt es.
In den EBWE-Volkswirtschaften innerhalb der EU arbeiten zudem weniger Menschen in Tätigkeiten, die besonders von KI-getriebenen Produktivitätsgewinnen profitieren, verglichen mit den fortgeschrittenen europäischen Volkswirtschaften.
Wenn Politik wichtiger ist als Ökonomie
Den größten Hebel im Umgang mit der Alterung sieht die EBWE darin, mehr Menschen in Arbeit zu bringen, vor allem Ältere.
Wer länger arbeitet, trägt länger zur Wirtschaft bei. Das gilt besonders in Berufen mit geringer körperlicher Belastung.
Gesetzliche Rentenalter sind in den EBWE-Ländern zuletzt gestiegen und liegen zwischen 55 und 67 Jahren. Das tatsächliche durchschnittliche Renteneintrittsalter ist jedoch niedriger. Höhere Grenzwerte allein reichen daher nicht, wenn ein früherer Ruhestand weiterhin möglich bleibt.
Rentenreformen versprechen viel. Doch der größte Stolperstein bleibt der politische Wille, so die EBWE.
Längere Erwerbsleben sind politisch heikel. Viele Abgeordnete sind selbst älter und scheuen das Thema.
„Wenn Führungspersönlichkeiten schneller altern als die Bevölkerung, reagieren sie eher auf die Bedürfnisse ihrer eigenen Generation, also der älteren“, sagte Beata Javorcik.
„Und klar ist: Ältere gehen häufiger wählen als Jüngere.“
Laut einer in diesem Jahr veröffentlichten OECD-Umfrage gehen 18- bis 29-Jährige mit um 21 Prozentpunkten geringerer Wahrscheinlichkeit zur nationalen Wahl als Menschen ab 50.
Warum Migration hilft
Die Übergewichtung älterer Generationen in der Politik führt zudem oft zu restriktiveren Regeln für Zuwanderung, so die EBWE.
Zuwanderer können Sozialsysteme belasten. Sie stärken aber den Arbeitsmarkt, gerade in alternden Gesellschaften – vor allem, wenn sie jung und qualifiziert sind.
In den EBWE-Volkswirtschaften liegen die Auswanderungsraten seit Jahren über dem globalen Schnitt, die Einwanderung bleibt hingegen verhalten. 2020 waren 6,4 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner der EBWE-Regionen im Ausland geboren, in den hochentwickelten Volkswirtschaften weltweit waren es 20 Prozent.
Jüngere Bürgerinnen und Bürger befürworten meist lockerere Migrationsregeln als Ältere. Wegen ihrer schwächeren politischen Vertretung droht ihre Stimme jedoch unterzugehen, warnt die EBWE.
„Um dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, braucht es nicht nur mutige Reformen. Nötig sind auch Anstrengungen, um junge Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren“, schließen die Forschenden.