Wolfgang Ischinger: "Kein Rosinenpicken für Großbritannien"

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Über den Ausgang der Wahl in Großbritannien sprachen wir mit dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger. Ischinger, der den Vorsitz der Münchener

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Über den Ausgang der Wahl in Großbritannien sprachen wir mit dem deutschen Diplomaten Wolfgang Ischinger. Ischinger, der den Vorsitz der Münchener Sicherheitskonferenz hat, war unter anderem Botschafter Deutschlands in Großbritannien.

euronews:
“Herr Ischinger, die Menschen in Großbritannien, die ihre Stimme abgegeben haben, dachten dabei nicht an Europa, sondern sie dachten an ihre Jobs, an Steuern, an das Gesundheitssystem. Im Grunde genommen aber ist der Verbleib Großbritanniens in der EU fraglich. Der Sieg David Camerons weist darauf hin. Wird er nun noch viel mehr als früher zu einem Austritt seines Landes bereit sein?”

Wolfgang Ischinger:
“Wir sollten und darauf nicht festlegen, wir müssen die politische Entwicklung in Großbritannien abwarten…”

euronews:
“Und uns erpressen lassen?”

Wolfgang Ischinger:
“Erpressung ist ein schlimmes Wort, denn jedermann versucht von der EU so viel wie möglich zu bekommen. Diese Regel gilt nicht erst seit heute. Eines aber ist freilich klar: Wir dürfen nicht zulassen, dass Großbritannien sich aus dem großen Kuchen, der die EU und ihre Regeln sind, nur die Rosinen herauspickt, also nur das, was London am besten schmeckt. Großbritannien muss den ganzen Kuchen wollen.”

euronews:
“Cameron behauptet, die Zuwanderung aus Europa eindämmen zu können, vor allem die Zuwanderung der Osteuropäer, und sie in den ersten Jahren daran hindern zu können, Sozialleistungen zu bekommen. Das ist jedoch mit dem Lissabon-Vertrag nicht vereinbar, oder?”

Wolfgang Ischinger:
“Es kommt natürlich darauf an, wie man den Vertrag interpretiert. Meines Wissens erlauben die derzeitig geltenden Regeln das nicht, Cameron wird somit darüber verhandeln wollen, der Versuch steht ihm frei…”

euronews:
“Was will er denn? Welche Zugeständnisse könnte er von anderen Mitgliedsstaaten bekommen?”

Wolfgang Ischinger:
“Großbritannien hat in der Vergangenheit bereits einige Ausnahmeregelungen erreicht…”

euronews:
“Sie haben den Euro und Schengen nicht, doch diesmal wollen sie mehr…”

Wolfgang Ischinger:
“Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, denn Großbritannien wird nicht das einzige Land sein, das bei dem einen oder anderen Thema eine Sonderbehandlung fordert. Es gibt Grenzen für den Rest der EU, wie weit man mit einem kleinen Geschenk hier und einem kleinen Zugeständnis da gehen kann.”

euronews:
“Die Ironie eines Referendums liegt darin, dass es ein Referendum in Schottland beschleunigen könnte. Die plötzlich erstarkte Schottische Nationalpartei will die EU zwar nicht verlassen, strebt aber die Unabhängigkeit an. Welches wäre die gute und welches die schlechte Nachricht für die EU?”

Wolfgang Ischinger:
“Das ist eine entscheidende und potentiell strategische Frage, mit der sich die britischen Politiker auseinandersetzen müssen. Wollen sie die EU verlassen oder wollen sie das Vereinigte Königreich zusammenhalten? Eine Antwort darauf könnte der Verbleib in der EU und der Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs sein. Ich stelle mir vor, dass die meisten Briten, nicht nur die Schotten, sondern auch die Engländer, Waliser und andere diese Lösung vorziehen würden.”

euronews:
“Die Schotten wollen das doch, oder?”

Wolfgang Ischinger:
“Bei der jüngsten Volksabstimmung in Schottland haben sich die Menschen nicht dafür ausgesprochen, das Königreich zu verlassen. Die Bürger Schottlands haben deutlich gezeigt, dass sie die Europäische Union schätzen. Dieses Ergebnis könnte Großbritannien eigentlich dabei helfen, den Zusammenhalt zu wahren und in der EU zu bleiben, was ich hoffe.”

euronews:
“Wolfgang Ischinger, haben Sie vielen Dank.”

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