Euronews exklusiv unterwegs mit Extinction Rebellion

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Von Hans von der Brelie
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Euronews-Reporter Hans von der Brelie ist etwas Einmaliges gelungen: Er durfte Aktivisten von Extinction Rebellion auf einer ihrer Geheimoperationen begleiten.

Hunderttausende schulschwänzende Kinder, die ganze Innenstädte lahmlegen oder gegen das Bienensterben demonstrierende Bürger in München – Klimaschützer haben sich zu einer der größten Protestbewegungen gemausert, die Deutschland je gesehen hat. Sie setzen die Politik gehörig unter Druck. Eine besonders gut organisierte und bunte Protestbewegung ist Extinction Rebellion. Euronews-Reporter Hans von der Brelie ist etwas Einmaliges gelungen: Er durfte Aktivisten von Extinction Rebellion auf einer ihrer Geheimoperationen begleiten.

Köln, Wuppertal, Bochum – Klimaschützer von Extinction Rebellion aus dem gesamten Ruhrgebiet wollen in diesen Zug, den ICE 555. Schnell muss es gehen - denn sie wollen die Welt retten. Ihre Furcht: der Klimakollaps. Norman, Yvonne, Gabi, Tobias und Vivien haben einen Plan und einen Hashtag mit Ansage: #Berlinblockieren.

Während dieser Klimaprotestwoche in Berlin werden wir Norman begleiten. Der Mathematiker hat sich ein Jahr Auszeit genommen. Er ist einer der führenden Köpfe von Extinction Rebellion. Norman:„Ich habe im letzten Sommer in der Hitze die Natur sterben gesehen und ich habe gemerkt, die Zeit läuft ab und wir müssen dringend was tun. Wir müssen jetzt handeln.“

Extinction Rebellion ist kein Sammelbecken durchgeknallter Linksextremer. Einige Mitglieder wählen konservativ, andere grün oder verorten sich bei den Sozialdemokraten. Bankangestellte, Zimmermänner, Tänzerinnen, Verlagsmitarbeiter, Krankenschwestern - die Truppe ist bunt gemischt.

Berlin Hauptbahnhof. Die Polizei wartet schon. Norman und seine Freunde werden observiert. Es war nicht einfach, Teil von Normans "Kommandogruppe" zu werden: Euronews musste drei Wochen auf verschlüsselten Messenger-Diensten verhandeln. Bedingung der Aktivisten: absolute Verschwiegenheit über bevorstehende Aktionen.

Norman ist einer der führenden Köpfe von Extension Rebellion

Norman:"Wir gehen in den zivilen Ungehorsam, wir werden Berlin blockieren. Wir werden Straßen-Blockaden errichten und unseren Unmut über das Klimapaket und über das Nichthandeln der Regierung zum Ausdruck bringen."

Auch aus Polen und Skandinavien sind Aktivisten zur Protestwoche nach Berlin gereist. Joergen und Ronni kommen aus Norwegen. Joergen:"Wir wollen ein Zeichen setzen, die Menschen wachrütteln, die Wahrheit muss ans Licht, alle sollen verstehen, wie kritisch die Lage ist."

Extinction Rebellion, kurz XR, heißt auf Deutsch so viel wie „Aufstand gegen das Aussterben“. Die Klimaaktivisten sehen den Klimawandel und das wachsende Artensterben als existenzielle ökologische Krise, auf die mit einem radikalen Wandel des Wirtschaftens und des Konsums reagiert werden muss. XR fordert die nationalen Regierungen auf, sofort den Klimanotstand auszurufen. Während Protestbewegungen wie Fridays for Future mit Plakaten protestieren, geht Extinction Rebellion weiter und entscheidet sich für direkte Aktionen, auch solche, die nicht gesetzlich abgedeckt sind. Aber es gibt eine rote Linie: keine Gewalt gegen Menschen oder Dinge.Mittlerweile ist XR ist in 55 Ländern weltweit aktiv. In Deutschland gibt es rund 100 Ortsgruppen.

Geheimoperation Arche der Rebellion oder der „Berliner Weg“

Zwei Uhr zwanzig, mitten in der Nacht. Norman bekommt das verschlüsselte Wecksignal als einer der Ersten. Er gehört zum Vorauskommando. So wie Tino, Eva und Bianca. Ein geheimes GPS-Signal weist den Weg. Wir verstecken uns vor der Polizei, die im Tiergarten mit starken Stabtaschenlampen nach uns sucht. Alles ist organisiert wie ein Undercover-Einsatz. Damit die Abhörexperten der Polizei nichts mitbekommen, erhalten die Blockade-Trupps das Ziel erst im letzten Moment: Großer Stern. Zwei nach Vier. Ausgerechnet Berlins Mega-Verkehrskreisel an der Siegessäule sollen wir blockieren. Norman ist bereit, sich für seinen Klima-Einsatz verhaften zu lassen. Euronews ist der einzige Sender vor Ort.

Schad, Verena

Aus allen Himmelsrichtungen treffen Blockadetrupps ein, lenken die Polizei ab. Ein Anhänger voller Holzbalken taucht auf. Die Klimarebellen aktivieren ihre Lock-On-Einheit. Arme in Röhren, an den Händen Schlösser - und schon steht die Blockadekette rund um den Anhänger.

Unter den angeketteten Aktivisten entdecken wir Joergen in seinem roten Norwegerpullover. Zu diesem Zeitpunkt - es ist immer noch pechschwarze Nacht - ist nicht klar, ob die Aktion Erfolg haben wird. Alles steht auf Messers Schneide. Einige Polizisten haben sich mittlerweile vor die Holzelemente gestellt, verbieten das weitere Abladen. Gleichzeitig ruft XR Verstärkung aus dem nahegelegenen Klimacamp, nach wenigen Minuten treffen große Gruppen weiterer Aktivisten ein. Die Situation wird etwas unübersichtlich, Spannung liegt in der Luft - ein Deeskalationsteam verhandelt direkt mit der Einsatzleitung vor Ort. Wird der Anhänger geräumt - und mit ihm die Blockade des Großen Sterns?

Joergen der Norweger will zusammen mit den anderen Lock-On-Leuten den Bau der Arche doch noch ermöglichen: "Wir haben gehofft, hier eine Arche zu bauen, ein Holzboot als Symbol der Rettung. Nun, wir versuchen es noch immer, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das schaffen werden. Wir ketten uns aneinander, damit das klappt." - Die Schlösser klicken ein, die Blockadekette um die noch unfertige Arche steht, die Polizisten funken ihre Zentrale an, fragen, was sie tun sollen. Räumen oder nicht räumen, das ist jetzt die Frage. Am Horizont ein erster Silberstreif: bald geht die Sonne auf...

Aktivisten und Polizei kooperieren. Irgendwie cool, dieser Berliner Weg: beide hören aufeinander und einigen sich auf rote Linien, die nicht überschritten werden. Während die Klimarebellen akzeptieren, dass kein festes Hindernis auf der Fahrbahn stehen darf, beschließen die Berliner Polizei und die Stadtverwaltung, die Blockade des Verkehrskreisels zumindest zeitweilig zu tolerieren. Die Konstruktionsteile werden von der Fahrbahn geschafft - und direkt am Fuß der Siegessäule aufgebaut. Im Gegenzug drücken Innensenator und Polizeiführung die Augen zu und lassen der 58-Stunden-Mega-Party rund um den Großen Stern ihren Lauf.

Während der ganzen Woche der Berliner Klimaproteste wurden nicht nur am Großen Stern, sondern auch an anderen Orten, Straßen und Brücken massive Blockadeaktionen durchgeführt, je nach Standort für einige Stunden oder Tage, wie die Blockade am Potsdamer Platz, die Blockade des Umweltministeriums oder weiterer Ministerien und symbolischer Orte wie die Parteizentrale der CDU.

Es sieht aus wie Spaß - ist aber keiner. Laut Weltklimarat bleiben nur noch zwölf Jahre, um den globalen Temperaturanstieg zu bremsen. Sonst nimmt das Artensterben katastrophale Ausmaße an.

XR und die Wissenschaft – Treffen mit Professor Volker Quaschning

Norman trifft Volker Quaschning. Der Professor für erneuerbare Energiesysteme hat "Scientists for Future" mitbegründet und ist Deutschlands wissenschaftlicher Superstar in den sozialen Medien. Das Klimapaket der Bundesregierung verbucht er unter Pillepalle.

Quaschning lehrt an der Fachhochschule HTW Berlin. Er ist Autor einiger bedeutender wissenschaftlicher Standardwerke über Sonnen- und Windenergie und betreibt einen eigenen Youtube-Kanal, ein unabhängiges Webportal zum Thema Klimaschutz und mischt sich täglich in die öffentliche Debatte ein, indem er seine wissenschaftlichen Standpunkte auf Twitter einbringt. Bis 2040 sei eine vollständig erneuerbare Energieversorgung technisch und wirtschaftlich machbar, sagt er.

Volker Quaschning:

"Man kann in andere Länder schauen, Schweden hat zum Beispiel auch eine CO2-Steuer, dort ist man derzeit bei über hundert Euro pro Tonne CO2 – also zehnmal so hoch als das, was in Deutschland vorgeschlagen wurde. Und selbst in Schweden ist man im Bereich Klimaschutz noch nicht in dem Tempo, das man eigentlich bräuchte.“

CAROLA RACKETE bei #Berlinblockieren ExtinctionRebellion an Siegessäule

Publiée par Euronews Deutsch sur Lundi 7 octobre 2019

Konkreter XR-Vorschlag: Die Bürgerversammlung für das Klima

Eine der Hauptforderungen von Extinction Rebellion: Die Regierung solle eine nach dem Zufallsprinzip zusammengesetzte Bürgerversammlung einberufen. Unter wissenschaftlicher Anleitung soll sich dieser Klimarat der Bürger eine fundierte Meinung bilden - und dann mitentscheiden.

Norman:"Die Politik muss unbedingt sofort den Klimanotstand ausrufen und eine Bügerinnenversammlung einrichten, damit wir überhaupt noch eine Chance haben, die unabsehbaren Folgen, die die Klimakrise mit sich bringt, in irgeneiner Weise in den Griff zu bekommen.“

Der Klimarat der Bürger soll die Bevölkerungszusammensetzung im Hinblick auf Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit, Bildungsniveau und Bundesland widerspiegeln. Die Idee ist, die als zu kurzfristig empfundene Parteipolitik zu durchbrechen. Er soll die Bürger befähigen, zusammenzuarbeiten und Verantwortung für das Klima und die ökologische Notlage zu übernehmen.

Irland, Belgien und Polen haben - in unterschiedlichen Politikfeldern - bereits Erfahrungen gesammelt mit dieser Art von Bürgerversammlungen. Auch die spanische Hauptstadt Madrid kennt dieses Format der direkten Bürgerbeteiligung. Doch kann damit wirklich die Macht von Auto-Inudstrie, Öl- und Kohlelobby ausgehebelt werden?

Extinction Rebellion #Berlinblockieren

Publiée par Euronews Deutsch sur Lundi 7 octobre 2019

Etappensieg: Einladung für XR ins Umweltministerium

Während das Klimacamp im Regierungsviertel steht und sich die "Einsatzkräfte" von Extinction Rebellion am "Großen Stern" auf ihre zweite Nacht im Freien vorbereiten - angekettet quer über fünf Fahrbahnen - erreicht Norman eine Nachricht. Das Umweltministerium hat reagiert und Norman zusammen mit einer Handvoll anderer führender Aktivisten zu einem vertraulichen Zwei-Stunden-Gespräch eingeladen. Auch wenn keine Einzelheiten durchsickern, so ist doch eines klar: gescheitert ist eine vernüftige - sprich: wissenschaftlich empfohlene - CO2-Bepreisung an der CSU. Die Bayern sträubten sich offenbar bis zum letzten Moment mit Händen und Füßen gegen das Prinzip einer CO2-Bepreisung, während einige "Idealisten" im Regierungsteam mit einer 180-Euro-pro-Tonne-CO2-Forderung in die koalitionsinternen Verhandlungen gingen. Nun, das Ergebnis ist ja mittlerweile bekannt: es gibt einen Preis von 10 Euro pro Tonne.

Norman:„Heute war ein absoluter Erfolg und ist immer noch ein absoluter Erfolg. Wir sind gekommen um zu bleiben und wir sind immer noch hier. Die Arche steht und das war unser Plan. Wir bereiten uns jetzt auf die Nacht vor und werden mal schauen was da kommt, wir lassen uns jedenfalls nicht mehr so schnell vertreiben."

Für Extinction Rebellion dürfte es schwierig werden, Links-Rechts-Gegensätze einfach zu ignorieren. Auch wenn es dem Klimakollaps natürlich egal ist, wer links, wer rechts wählt. Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht.

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