Wo in Europa seit 1989 neue Mauern gebaut wurden

Im Grenzlandmuseum Eichsfeld (Thüringen) steht noch ein Stück des Grenzzauns an der ehemaligen DDR-Grenze
Im Grenzlandmuseum Eichsfeld (Thüringen) steht noch ein Stück des Grenzzauns an der ehemaligen DDR-Grenze Copyright REUTERS/Michael Dalder
Von Alexandra LeistnerAlice Tidey
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Die neuen Mauern sollen im Gegensatz zur Berliner Mauer nicht die Flucht verhindern sondern vielmehr das Eindringen von Flüchtlingen.

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Die Welt blickt in diesen Tagen auf Berlin, wo mit großen Feierlichkeiten des Falls der Berliner Mauer und der Friedlichen Revolution vor 30 Jahren gedacht wird. Der Eiserne Vorhang ist gefallen und doch stehen heute in Europa so viele Mauern wie noch nie.

Eine neue Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die europäischen Länder seit der Wende insgesamt Sperranlagen errichtet haben, die sechs Mal so lang sind wie die Berliner Mauer mit ihren 155 Kilometern. Die Autoren der Denkfabrik Transnational Institute (TNI) sehen sich die seit dem Mauerfall neu errichteten Mauern aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel an. Zahlreiche europäische Unternehmen verdienen demnach an der neuen Abschottungspolitik.

Die meisten Grenzanlagen entstanden in Europa seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs 2015 und der sich anschließend verschärfenden Flüchtlingskrise.

Zu den neu gebauten Sperranlagen in Europa zählen:

  • die spanischen Autonomen Städte Ceuta und Melilla, beide in Nordafrika;
  • zwischen der Türkei und Griechenland sowie der Türkei und Bulgarien;
  • zwischen Griechenland und Nordmakedonien;
  • zwischen Ungarn und Serbien sowie Ungarn und Kroatien;
  • zwischen Russland und Lettland, Norwegen, Estland und Litauen;
  • in Calais, Frankreich.

Die Festung Europa - ein Milliardengeschäft

"Landmauern und Zäune an den europäischen Grenzen sind die sichtbarsten Aspekte der Festung Europa. An sich sind sie aber meist symbolisch", betont der Bericht.

Diese physischen Mauern und Zäune werden zudem von Seegrenzen ergänzt. Im Mittelmeer finden Marineeinsätze auf einer Strecke von geschätzt 4.750 km statt. Dazu kommen virtuelle Grenzen - Grenzkontrollsystemen, die darauf abzielen, Menschen daran zu hindern, in Europa einzureisen oder sogar innerhalb Europas zu reisen.

Das Forschungsinstitut schätzt, die Ausgaben für Grenzsicherheit weltweit im Jahr 2018 auf rund 17,5 Milliarden Euro. In den kommenden Jahren soll er jährlich um 8% wachsen.

Die EU-Länder sollen seit dem Kalten Krieg zwischen 900 Millionen und 1 Milliarde Euro für Mauern und Zäune ausgegeben haben. Hinzu kamen die Ausgaben des Außengrenzenfonds der EU (1,7 Mrd. € zwischen 2007 und 2013) und des Fonds für innere Sicherheit (2,76 Mrd. € zwischen 2014 und 2020).

Die Europäische Kommission hat außerdem geplant, für den Zeitraum 2021-2027 9,3 Mrd. EUR im Rahmen eines neuen integrierten Grenzschutzfonds bereitzustellen.

Welche Unternehmen verdienen am meisten an Mauern und Zäunen?

Die Hauptbegünstigten in Europa sind nach Berechnung des TNI Unternehmen wie Thales, Leonardo und Airbus, die alle Infrakstrukturfür die Grenzkontrollen an Land und See herstellen, einschließlich Hubschrauber, aber auch Sensoren und Radare.

Auch die spanische Firma European Security Fencing wurde als Key Player identifiziert. Sie produziert Stacheldrahtzaun und insbesondere einen gewickelten Draht, der als Concertinas bekannt ist und in Ceuta und Melilla, Calais, sowie an den Grenzen zwischen Ungarn und Serbien, Bulgarien und der Türkei und Österreich und Slowenien verwendet wird.

Ein Trend, der sich wohl nicht so schnell umkehrt

Für die TNI deutet "alles auf eine weitere Erhöhung und Stärkung der Mauern der Festung Europa hin". Dies wiederum wird dazu führen, dass Flüchtlinge und Migranten "mehr Risiken eingehen, um Grenzen zu überschreiten, Gewalt zu begegnen und am Ende "illegal unter schrecklichen Umständen oder in Haft zu leben und auf die Abschiebung in unsichere Herkunftsländer zu warten".

Das Paradoxe: Mehr Geld werde das Problem nicht lösen sondern sogar noch verschärfen, warnt der Bericht.

Stichwort Angst

István Virágvőlgyi ist Fotojournalist und Kurator einer Ausstellung über Mauern in Europa, die im vergangenen Monat in Arles eröffnet wurde. Der gebürtige Ungar sagte im Gespräch mit Euronews, dass vor allem Angst vor einem Kontrollverlust zum Bau neuer Mauern und Grenzen führt.

Während viele Sperranlagen Menschen von der Einreise abhalten sollen, spalten andere Grenzen buchstäblich Gesellschaften. Eines der in Arles ausgestellten Bilder aus der Slowakei zeigt eine Betonmauer, die Anwohner selbst finanziert haben, um sie von einer Sinti-Siedlung zu trennen.

"Sie (die Sinti und Roma) müssen um die Mauer herumgehen, weil es keine vollständige Mauer ist. Es sind nur ein paar hundert Meter und dann geht man tatsächlich um sie herum. Sie haben nur den Personenverkehr umgelenkt, also haben die Roma, die in die Stadt gingen um ihre Häuser herum geleitet", sagte er.

"In der Geschichte der Menschheit wurden alle Mauern, die gebaut wurden, abgerissen", betonte er. "Vielleicht hat es eine längere, kürzere Zeit gedauert, aber schließlich wurden sie alle abgerissen. Also müssen wir wirklich darüber nachdenken, was das eigentliche Problem ist und irgendwie eine Lösung finden."

"Ich glaube, wir haben das falsche Gefühl, dass wir das Problem bereits gelöst haben und es hinter uns liegt", schloss er.

TNI Report Building Walls
Rund 1.000 Kilometer "Mauern" wurden in Europa seit 1989 gebaut. Klicken Sie auf die Karte für eine vergrößerte Version.TNI Report Building Walls
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