Dänemark will syrische Flüchtlinge zurückschicken

Dänemark will syrische Flüchtlinge zurückschicken
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Von Julian GOMEZSabine Sans
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Ausgerechnet Dänemark, ein Land, das über Jahrzehnte für seine liberale Einwanderungspolitik bekannt war, geht einen eurpäischen Sonderweg. Die regierenden Sozialdemokraten verschärfen den Kurs in der Migrationsfrage.

Dänemark hat rund 200 Personen, die vor dem Krieg in Syrien geflohen sind, den Flüchtlingsstatus entzogen. Eine Entscheidung, die von Aktivisten und NGOs als "unfair und unmenschlich" bezeichnet wird. Dänemarks Regierung bricht mit einem europäischen Konsens: Wer vor dem Krieg in Syrien in die EU flüchtete, war zumindest vor Abschiebung sicher. Europa war sich in dieser Frage lange einig. Unreported Europe hat vor Ort recherchiert.

In einer ruhigen dänischen Stadt trifft der euronews-Reporter eine Familie, die viel durchgemacht hat. Nachdem der Vater von syrischen Regierungstruppen hingerichtet und verstümmelt wurde, floh sie 2015 aus Syrien. Alle fünf erhielten in Dänemark eine Aufenthaltsgenehmigung. Bei der Mutter wurde inzwischen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert. Sabrieh Hasan Al Fayad erzählt:

"Ich hatte Angst und weinte. Zuerst wurde mein Mann getötet, dann verließen meine Kinder das Haus. Es gab Bomben, die Geräusche von Flugzeugen, das Geräusch von Angriffen auf Häuser..."

Überprüfung des Flüchtlingsstatus

Im März dieses Jahres kam ein Brief: Ihr Flüchtlingsstatus war neu bewertet worden. Die älteren Söhne können bleiben - einer ist bereits verheiratet, der andere wird bald die Oberschule besuchen. Sie genießen einen höheren Schutzstatus, weil die ihnen laut der Einschätzung der dänischen Behörde der Zwangsdienst in der syrischen Armee droht.

Aber die Mutter und die beiden Töchter, 10 und 12 Jahre alt, müssen in die Region Damaskus zurückkehren. Sie wird jetzt von den dänischen Behörden als sicherer Ort angesehen. Seit 2016 lebt die Familie gemeinsam in Dänemark in der kleinen Stadt Vejle, gut zwei Autostunden von Kopenhagen entfernt. Nun, fünf Jahre später, soll sie auseinandergerissen werden. Die Familie ist am Boden zerstört - wieder einmal:

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"Warum sollte jemand zurückgehen wollen? Ich habe Angst, dass ich verhaftet werde und gefragt werde, wo ich war, wo meine Kinder waren"_, sagt die Mutter. "Ich habe zwei Jungs. Sie würden fragen, warum sie nicht in der Armee sind. Dieses Regime kennt keine Gnade. Syrien ist nicht sicher, soweit es mich betrifft. Auch Häuser sind zerstört worden, es gibt kein Bildungssystem mehr."

Rückkehr in keine Heimat?

Die Familie hat gegen die Entscheidung Berufung eingelegt und sich Protesten angeschlossen. Etwa 200 syrische Flüchtlinge - von etwa 35.000 syrischen Staatsangehörigen, die in Dänemark leben - befinden sich derzeit in der gleichen Situation.

Seit die ersten Widerrufsbriefe verschickt wurden, hat sich vor dem Parlament ein Sit-in-Protest entwickelt.

57 Jahre alt und seit 2014 auf der Flucht, trat Samer Barakat in den Hungerstreik und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden: "Ich kenne viele Menschen, die Angst haben, dass die dänische Regierung sie zurück nach Syrien schickt. Sie sind in andere europäische Länder gegangen. Und von denen, die nach Syrien zurückgekehrt sind, habe ich gehört, dass ein oder zwei am Flughafen angehalten und sofort verhört wurden. Seitdem hat man nichts mehr von ihnen gehört."

Dänemark fährt einen zunehmend harten Kurs in der Einwanderungspolitik

Laut der dänischen Regierung basiert ihre Entscheidung auf den Schlussfolgerungen des dänischen Rats für Flüchtlingsfragen, das im vergangenen Jahr die Fälle von etwa 1.200 Flüchtlingen aus der weiteren Region um Damaskus neu bewertet hat. Der Rat gilt zwar als unabhängige Behörde, untersteht aber dem Ausländer- und Integrationsministerium in Kopenhagen. Der dänische Minister für Einwanderung und Integration Mattias Tesfaye lehnte ein Treffen mit euronews ab. Er schickte folgende Stellungnahme:

"Dänemark ist vom ersten Tag an offen und ehrlich gewesen. Wir haben den syrischen Flüchtlingen klargemacht, dass ihre Aufenthaltserlaubnis zeitlich begrenzt ist und dass die Erlaubnis widerrufen werden kann, wenn das Schutzbedürfnis nicht mehr besteht. Der Ansatz der dänischen Regierung ist es, denjenigen Schutz zu gewähren, die ihn brauchen. Aber wenn sich die Bedingungen in ihrem Heimatland verbessert haben, sollten die ehemaligen Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren und ihr Leben dort wieder aufbauen."

Kontaktaufnahme mit der Dänischen Volkspartei, der drittgrößten Fraktion im Parlament. Die Partei glaubt nicht an Multikulturalismus und meint, Dänemark sei nicht von Natur aus ein Einwanderungsland. Obwohl sie in der Opposition sind, unterstützen sie den Ansatz der Regierung."Es ist keine politische, es ist eine juristische Entscheidung, man kann argumentieren, warum man vielleicht für ein Jahr in Dänemark bleiben sollte, oder vielleicht mehr. Das ist also nicht wirklich eine politische Frage, eher eine juristische," sagt Morten Messerschmidt, Parlamentsmitglied und Mitglied der Dänischen Volkspartei.

Laut Aktivisten gibt es derzeit nur zwei Länder der Europäischen Union, die das Gebiet um Damaskus als einen sicheren Ort für die Rückkehr von Flüchtlingen einschätzen. Das eine Land ist Dänemark, das andere Ungarn. Sind Sie beiden zu hart, oder sind die anderen 25 EU-Länder zu naiv? Dazu sagt Messerschmidt: "Bei allem Respekt, es ergibt keinen Sinn, das so zu formulieren. Denn es kommt immer auf den Einzelfall an. Es gibt Syrer, von denen der eine sicher nach Damaskus zurückkehren kann und der andere nicht."

Den dänischen Behörden zufolge, beruht ihre Einschätzung auf "einer breiten Sammlung von Berichten aus verschiedenen Quellen". Bei Amnesty International Dänemark teilt man die staatliche Einstellung nicht. Die Bombardierungen rund um Damaskus mögen aufgehört haben, erklärt eine Mitarbeiterin, aber zurückkehrende Flüchtlinge riskieren immer noch ihr Leben:

"Wir wissen, dass Menschen, die nach Syrien zurückkehren, an Sicherheitsschleusen aufgehalten werden, wo Sicherheitskräfte sie festhalten und verhören. Und wir wissen, dass dieselben syrischen Kräfte hinter groben Menschenrechtsverletzungen stecken", so Lisa Blinkenberg, Mitarbeiterin bei Amnesty International Denmark. "Zum Beispiel Misshandlungen, Folter in Gefängnissen. Und Menschen, die verschwinden. Die Sicherheitskräfte bringen diese Menschen an Orte und niemand hört je wieder von ihnen. Menschen werden inhaftiert. Wir wissen auch, dass Menschen hingerichtet worden sind. Es ist also immer noch eine sehr unsichere Situation in Syrien."

Ohne Ansprechpartner in Syrien keine Abschiebungen: Die Zukunft liegt wohl in einem Abschiebezentrum

Treffen an der Universität von Kopenhagen mit einem Professor für Migrations- und Flüchtlingsrecht. EU-Gesetzgeber haben die Politik kritisiert. Aber Dänemark hat ein gesetzliches Ausnahmerecht und ist nicht an die gemeinsamen europäischen Asylregeln gebunden, erklärt er. Da Dänemark keine diplomatischen Beziehungen zu Syrien unterhält, kann es Flüchtlinge, deren Status widerrufen wurde, nicht legal abschieben. Ihre eventuelle Rückkehr muss auf freiwilliger Basis erfolgen, schlussfolgert Professor Thomas Gammeltoft-Hansen:

"Für sie gilt nicht die Zwangsrückführung. Aber für die Menschen, die davon betroffen sind, ist es natürlich ein sehr schwerer Schritt. Die Integration wird unterbrochen. Sie dürfen nicht in gleichem Maße an der Gesellschaft teilnehmen. Wir kennen keine konkreten Beispiele von Syrern, die freiwillig zurückgekehrt sind, nachdem ihnen der Flüchtlingsstatus entzogen wurde."

Die Familie Al-Ata hat nicht vor, freiwillig nach Syrien zurückzukehren. Ihnen droht eine Vorhölle in einem dänischen Ausreisezentrum. Der Fall liegt nun in den Händen ihres Anwalts. Die Familie kämpft weiter, so Abdo Ahmad Al-Ata:

"Meine Schwestern sind wie meine Kinder. Meine kleine Schwester ist wie meine Tochter. Manchmal nennt sie mich 'Papa'. Ich werde sie nicht zurück nach Syrien gehen lassen. Die Entscheidung, sie zurück nach Syrien zu schicken, ist völlig unerträglich, egal unter welchen Umständen. Selbst wenn sie in ein Abschiebelager (in Dänemark) müssten, wäre das viel leichter zu ertragen, es wäre viel leichter für mich, als wenn sie zurück nach Syrien müssten."

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