Sieben EU-Mitglieder, angeführt von Italien, pochen darauf, die Einführung geplanter strengerer CO2-Obergrenzen aufzuschieben, nachdem die Autoindustrie Bedenken geäußert hat.
Mehrere EU-Mitgliedsstaaten fordern, die geplante Verschärfung der Abgasnormen für Kraftfahrzeuge dringend zu überdenken, da Autohersteller Alarm schlagen: Die Klimaschutzmaßnahme stelle eine existenzielle Bedrohung für die Automobilindustrie dar.
Die EU-Mitglieder treffen sich heute in Brüssel, um über die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu diskutieren. Währenddessen legten Italien mit Österreich, Bulgarien, Tschechien, Polen, Rumänien und der Slowakei einen gemeinsamen Vorschlag vor, in dem gefordert wird, dass eine geplante Überprüfung der CO2-Emissionsnormen vor dem Stichtag Ende 2025 vorgezogen wird.
Die Automobilindustrie befinde sich an einem "kritischen Punkt" und stehe vor "großen Herausforderungen in Bezug auf Produktion, Beschäftigung und globalen Wettbewerb, die dringende und koordinierte Maßnahmen auf EU-Ebene erfordern", heißt es in einem Diskussionspapier, das Euronews vorliegt.
"Eine Bewertung der CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und neue leichte Nutzfahrzeuge ist daher dringend erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Automobilindustrie zu erhalten und den Abfluss von Investitionen aus der Forschung und Entwicklung grüner Technologien zu verhindern", heißt es in dem gemeinsamen Papier.
Die sieben EU-Mitgliedsstaaten fordern auch eine Überprüfung möglicher Bußgelder für Autohersteller, die es versäumt haben, ihre Jahresproduktion an die im nächsten Jahr in Kraft tretenden strengeren Emissionsnormen anzupassen. Sie warnen davor, dass Bußgelder "die Fähigkeit der Industrie, in Innovation und Entwicklung zu investieren, stark einschränken" und damit die Wettbewerbsfähigkeit Europas beeinträchtigen könnten.
Sie verweisen auf die Warnungen des Europäischen Automobilherstellerverbandes (ACEA), der aufgrund potenziell ruinöser Strafen in Höhe von mehreren Milliarden Euro Alarm schlägt. Der Absatz von Elektroautos ist zurückgegangen, was für den ACEA bedeutet, dass die durchschnittlichen Emissionen der jährlich verkauften Fahrzeuge über dem gesetzlichen Höchstwert liegen werden, der im nächsten Jahr von 115,1 Gramm pro Kilometer auf 93,6 g sinken soll.
Die Europäische Kommission hat sich bisher gegen die Forderung gewehrt und darauf verwiesen, dass die Autohersteller bereits seit Jahren Zeit hatten, sich auf die strengeren Emissionsgrenzwerte vorzubereiten, und immer noch Zeit haben, diese einzuhalten. Auffallend ist, dass die drei größten EU-Automobilhersteller Deutschland, Frankreich und Spanien nicht zu den Befürwortern des Vorschlags gehören.
Von der Leyen auf der Suche nach einem Kompromiss
In ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament am Mittwoch erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jedoch, dass sie einen "strategischen Dialog über die Zukunft der Automobilindustrie in Europa" einleiten werde, der alle Interessengruppen zusammenbringen soll, da der Sektor einen "tiefgreifenden und disruptiven Wandel" durchlaufe.
"Der Dialog und seine Folgemaßnahmen werden unter meiner Leitung stattfinden", sagte von der Leyen, deren zweite Kommission am 1. Dezember ihr Amt antreten wird.
Die Elektro-Industrie hat den Autoherstellern vorgeworfen, dass sie sich ihr derzeitiges Dilemma selbst zuzuschreiben hätten: Man hätte den Verkauf größerer und teurer Elektromodelle für rund 40.000 Euro bevorzugt und parallel die Verbraucher:innen "zum Kauf ihrer billigeren Hybrid- und Verbrenner-Modelle ermuntert."
Der Emissionsgrenzwert soll bis 2030 schrittweise auf Null sinken, was de facto einem Verbot von Benzin- und Dieselmodellen gleichkommt. Der gemeinsame Vorschlag der Regierungen rund um Italien fordert eine "technologische Neutralität" im EU-Recht, die den weiteren Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren erlauben würde, sofern sie mit kohlenstoffarmen synthetischen Kraftstoffen betrieben werden.
Der ACEA forderte die EU-Mitgliedstaaten am Dienstag auf, die Kosten für die Einhaltung der Vorschriften zu senken, da die Frist Ende 2025 immer näher rückt.
"Die Hersteller tragen allein die Last eines Wandels, der durch Faktoren behindert wird, auf die sie keinen Einfluss haben, wie unzureichende Ladeinfrastruktur und unzureichende Kaufanreize", sagte ACEA-Generaldirektorin Sigrid de Vries.
Julia Poliscanova, Expertin für E-Mobilität bei der Kampagnengruppe Transport & Environment, ist jedoch skeptisch, was den Nutzen alternativer Kraftstoffe angeht.
"Sie werden nicht nur dreimal teurer sein als das heutige Benzin und die Kapazitäten von der Dekarbonisierung des Luft- und Seeverkehrs abziehen, sondern sie werden auch Europas Batterie- und Elektroautofabriken und unsere gesamte Führungsrolle im Bereich der sauberen Technologien gefährden, da die Öl-Lobbyisten und ihre Verbündeten darum kämpfen, ihre Geschäfte zu verlängern", sagte Poliscanova gegenüber Euronews.
"Die Elektro-Modelle, die das 2025-Ziel erfüllen sollen, sind zwar geplant, aber noch nicht vom Band gelaufen", fügte sie hinzu: "Wenn die politischen Entscheidungsträger standhaft bleiben, werden die europäischen Verbraucher im nächsten Jahr von ausgezeichneten, erschwinglichen Angeboten profitieren, die den EU-Elektroautomarkt auf ein neues Niveau heben werden."
Beim EU-Ratsgipfel beraten die Mitgliedsstaaten aufbauend auf einem Bericht des ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi darüber, wie sich die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union in Zukunft sichern lässt. Ein richtungsweisendes Treffen, das die Arbeit der neuen Europäischen Kommission beeinflussen dürfte.