Es ist ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte: Eine demokatische Partei findet Mehrheit mit der AfD. Die CDU und ihr Parteichef werden hart kritisiert - auch aus den eigenen Reihen.
Das "Zustrombegrenzungsgesetz" der Union wurde am Freitag - trotz Mehrheiten der AfD im Deutschen Bundestag abgelehnt. Aber schon zuvor hat die CDU einen Tabubruch begangen: Am Mittwoch hat die Union mithilfe von Stimmen der rechten Alternativen für Deutschland (AfD) den Entschließungsantrag, den sogenannten "Fünf-Punkte-Plan", um die Migrationsregelungen in Deutschland zu verschärfen, im Bundestag durchgebracht - ein Novum in der bundesdeutschen Geschichte. Die Reaktionen folgten prompt.
Der Publizist jüdischen Glaubens Michel Friedman hat öffentlichkeitswirksam seinen Austritt aus der CDU angekündigt. In den 1990er-Jahren war Friedman noch selbst Teil des CDU-Bundesvorstands. Im Interview mit dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunkverbund ARD erklärt er seinen Austritt: Die AfD sei nicht am Rande der Demokratie, sondern befinde sich außerhalb davon. Das wisse auch die CDU.
"In diesem Zusammenhang muss jede demokratische Partei darauf achten, dass es keinen 'Betriebsunfall' gibt. Dass jedes Fenster geschlossen ist, damit diese Partei nicht ein Bestandteil eines politischen demokratischen Prozesses wird." Das habe die Union missachtet. Dieser Tabubruch sei der Moment, in dem Friedman für sich gesagt hat: "Diese CDU kann nicht mehr meine sein."
Sogar Alt-Kanzlerin Angela Merkel übte in seltener Weise öffentliche Kritik an ihrem Nachfolger als CDU-Chef und Spitzenkandidat Friedrich Merz, weil er dem Bundestag Vorschläge für strenge neue Einwanderungsregeln vorgelegt hatte, die nur mit Hilfe einer rechtspopulistischen Partei verabschiedet wurden.
Auch der Berliner Bürgermeister, Kai Wegner, ebenfalls von der CDU, betonte: "Ich habe sehr klar gesagt, dass der Berliner Senat niemals einem Gesetz im Bundesrat zustimmen wird, das nur in Abhängigkeit von den Stimmen der AfD zustande gekommen ist."
Rückgabe des Bundesverdienstkreuzes
Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg will sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Es sei eine spontane Entscheidung gewesen, sagte Weinberg gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Das Bundesverdienstkreuz sei eine große Ehre für ihn gewesen. Aber über die Situation, dass die Union Mehrheiten im Bundestag mit der AfD suche, zeigte sich Weinberg schockiert.
"Es ist zu schwer geworden, es zu tragen, wenn man solche Nachrichten hat. Furchtbar", sagte der 99-Jährige über das Bundesverdienstkreuz. Weinbergs jüdische Familie wurden von Nazis fast vollständig ermordet. Er selbst überlebte die drei Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora im Harz, Bergen-Belsen bei Celle und mehrere Todesmärsche. 2012 kehrte er zusammen mit seiner Schwester aus den USA zurück nach Deutschland. Seitdem geht er in Schulen und erzählt seine Geschichte.
Auch der deutsch-italienische Fotograf Luigi Toscano kündigte an, sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben zu wollen. 2021 erhielt er die Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland für sein Fotoprojekt "Gegen das Vergessen", für das er über 400 Holocaust-Überlebende porträtierte. Mit seinem Projekt erregte er weltweite Aufmerksamkeit. Im Jahr 2021 wurde er von der UNESCO zum "Artist for peace" ernannt.
Im Interview mit der linken Tageszeitung taz erklärte Toscano, wie es ihm ging als die Union mithilfe der Stimmen von FDP und AfD ihren Plan zur Verschärfung der Asylpolitik durchsetzen konnte: "Ich bin sehr empört über die Entscheidung. Das ist für mich zum einen ein einmaliger Vorgang in unserer Geschichte, seit der Gründung der Bundesrepublik. Zum anderen ist das für mich ein Verrat an mir selbst und an meinen demokratischen Mitbürgern. Denn wir kämpfen für die Demokratie, gegen Antisemitismus, und eine Partei wie die AfD kann jetzt einfach politische Entscheidungen beeinflussen."
Deshalb habe er gemeinsam mit Albrecht Weinberg entschieden, sein Bundesverdienstkreuz abzugeben. Dem Südwestrundfunk (kurz: SWR) sagte er: "[...] [I]ch bin immer noch sprachlos, denn wo ist die Brandmauer, von der gesprochen worden ist?"
Als "Brandmauer" wird der Ausschluss der Zusammenarbeit mit der AfD bezeichnet, auf den sich die demokratischen Parteien im Bundestag geeinigt hatten. Eine gemeinsame Abstimmung der CDU mit der AfD wird in den deutschen Medien als Riss in der Brandmauer oder sogar als Ende der Brandmauer betitelt.
In ganz Deutschland protestierten Tausende gegen die Mehrheit aus CDU, FDP mit der rechten AfD. Auch für das Wochenende sind landesweit weitere Proteste angekündigt. In Deutschland wird am 23. Februar der Bundestag neu gewählt, nachdem die Ampelregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz zerbrochen war.