Ein Manifest, in dem mehrere Parteimitglieder einen Kurswechsel in der Außen- und Sicherheitspolitik fordern, sorgt in der SPD für Unruhe. Verteidigungsminister Pistorius sprach von "Realitätsverweigerung". Auch von anderen Seiten hagelt es Kritik.
Ein umstrittenes Manifest mehrerer SPD-Genossen hat in der Partei für Unruhe gesorgt. Linke Teile der SPD, darunter Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Außenpolitiker Ralf Stegner und Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, fordern in dem Papier einen Kurswechsel bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Dafür hagelt es innerparteilich teils scharfe Kritik – zum Beispiel von Verteidigungsminister Boris Pistorius, der sich aktuell in der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw befindet.
Was steht im Manifest?
Unter anderem fordern die mehr als 100 Unterzeichner des Papiers, "nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen." Diplomatische Anstrengungen sollen demnach eine Alternative zur Aufrüstung bieten.
Im Manifest wird außerdem ein Stopp der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland gefordert, da man sich so selbst zum Angriffsziel mache.
Die von der NATO geplante Aufstockung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes wird im Manifest als "irrational" bezeichnet. Es mangele an sicherheitspolitischer Begründung für die Militarisierung. Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands müsse mit Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik verknüpft werden.
Scharfe Kritik aus der Partei
Besonders harsch fiel die Kritik des Verteidigungsministers am Papier seiner Parteikollegen aus. Pistorius sprach von "Realitätsverweigerung". Russland wolle keinen Frieden, und wenn, dann nur zu eigenen Bedingungen. "Mit diesem Putin können wir nur aus einer Position der Stärke verhandeln", sagte der Verteidigungsminister.
Das Manifest missbrauche "den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Frieden".
In Kyjiw verurteilte Pistorius die jüngsten russischen Luftangriffe auf die Ukraine. Damit setze Moskau ein klares Zeichen: "Es gibt kein Interesse an einer friedlichen Lösung derzeit, sondern es werden mit unverminderter Härte und vor allen Dingen auch wieder zunehmend zivile Bereiche in der Ukraine angegriffen", so der Verteidigungsminister.
Auch Parteichef Lars Klingbeil distanzierte sich von dem Papier. Es brauche keine Kehrtwende, was die Unterstützung der Ukraine anginge, so der Vizekanzler. Deutschland müsse sich nicht zwischen militärischer Stärke und diplomatischen Bemühungen entscheiden. Gleichzeitig war der Parteichef bemüht, die erhitzten Gemüter zu beruhigen: "Das muss eine Partei aushalten, dass es solche Diskussionen gibt", sagte er.
Der Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch schlug im Vergleich zu einigen seiner Parteikollegen sanftere Töne an. "Das ist legitim, auch wenn ich zentrale Grundannahmen ausdrücklich nicht teile", sagte er in Bezug auf das Manifest. Man müsse jedoch ehrlich sagen: "Viele Gesprächsangebote – auch von Bundeskanzler Olaf Scholz – sind ausgeschlagen worden. Wladimir Putin lässt bislang nicht mit sich reden."
Kritik aus anderen Parteien
Auch aus anderen Parteien gab es Kritik am SPD-Papier. So sagte die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann: "Wir alle wünschen uns Frieden, und niemand sehnt ihn mehr herbei als die Menschen in der Ukraine. Leider wurden alle Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen oder Friedensgespräche zu führen, von Präsident Putin durchkreuzt und abgelehnt."
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter fand schärfere Worte: "Wann wird begriffen, dass Russland nicht verhandeln und keinen Frieden will", schrieb er auf der Plattform X.
Die CSU-Fraktion im bayrischen Landtag übte ebenfalls Kritik. Sie forderte von der SPD, klar Stellung zu beziehen und keine "Signale der Schwäche" an Moskau zu senden.
Unterzeichner verteidigen das Manifest
Ex-Parteichef Walter-Borjans verteidigte das Papier und warnte vor einem "Rüstungsrausch". Außerdem beklagte er "den Glauben, dass man einem Ende des Blutvergießens näherkommt, wenn man Abrüstungsverhandlungen für nicht mehr zeitgemäß erklärt."
Auch Mit-Unterzeichner Ralf Stegner setzte zur Verteidigung an. Dem Magazin Cicero sagte er: "Über Waffen kann öffentlich jeder Trottel reden. Selbst jemand, der ein Gewehr nicht von einem Regenschirm unterscheiden kann. Aber die Diplomatie, die hinter verschlossenen Türen stattfindet, das ist die wirkliche Kunst."
Rückendeckung gab es von Benedict Lang, dem Chef der Jusos in Bayern. "Die Debatte hat sich in den letzten Jahren, auch in der SPD, sehr verengt", erklärte er gegenüber BR24. Neben Debatten über Aufrüstung und Wehrdienst spreche man zu wenig darüber, "welches Leid und welcher Schrecken" tatsächlich hinter Krieg stehe. "Wir brauchen eine breitere Debatte über Sicherheit, die Diplomatie, Abrüstung und langfristigen Frieden ins Zentrum stellt", so Lang.
Spaltungspotenzial vor dem SPD-Parteitag
Ende Juni versammeln sich die SPD-Mitglieder zum Parteitag. Nach der Kontroverse um das Manifest dürften auch Debatten um die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands auf dem Programm stehen. Ob es SPD-Chef Klingbeil gelingen wird, seine Partei bei diesem heiklen Thema zu einen, bleibt abzuwarten.