Rifkin: Für eine neue industrielle Revolution

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Wirtschaftskrise, globale Erwärmung, Verknappung der fossilen Energiequellen – sollte es mit unserer Zivilisation zu Ende gehen? Die menschlichen Spezies ist bedroht – davon ist der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin überzeugt. Er berät die Europäische Kommission und hat gerade das Buch “Die dritte Industrielle Revolution” veröffentlicht. Retten können uns seiner Meinung nach der Umstieg auf erneuerbare Energien und die Flexibilisierung von Energiebezug- und Einspeisung. Euronews-Reporter Maxime Biosse Duplan hat mit Jeremy Rifkin gesprochen.

Maxime Biosse Duplan, euronews: “Herr Rifkin, guten Tag. Sie meinen, dass das Überleben der menschlichen Spezies auf diesem Planeten sehr unwahrscheinlich ist. Wir hören viel von der Wirtschaftskrise, doch offenbar stehen wir vor einer viel größeren Bedrohung. Ist diese Sicht nicht etwas pessimistisch?”

Jeremy Rifkin: “Wissen Sie, 99,5 Prozent der uns bekannten Spezies haben die Erde besiedelt und dann auch wieder verlassen. Es ist doch sehr hochmütig zu denken, dass wir ewig existieren werden. Wir befinden uns definitiv in einer Krise.

Wir zahlen nun die Rechnung für 200 Jahre der Industrialisierung auf der Basis fossiler Energien. Wir haben zu viel Methan und Co2 in die Atmosphäre geblasen. Die chemische Struktur unseres Planeten ändert sich gerade grundlegend. Das passiert nicht häufig.

Wie meine Frau sagt: Wir begreifen die Großartigkeit dieses menschlichen Moments gar nicht. Wir sprechen also von einer Krise unserer Spezies. Könnnten wir das Ruder noch herumreißen? Können wir die Struktur unserer Wirtschaft ändern? Können wir uns innerhalb von 25 Jahren völlig wandeln? Ziemlich viele Fragen.”

M.B.D: “Eine Ihrer Aussagen ist, dass wir eine dritte industrielle Revolution brauchen. Diese sollte von fünf grundlegenden Ideen, von fünf Säulen getragen werden. Welche sind das?”

J.R: “Die Europäische Union hat sich für eine dritte industrielle Revolution auf der Basis dieser fünf Prinzipien ausgesprochen. Es war ein Vorrecht, diese mit der EU entwickeln zu dürfen. Jetzt muss sich die Europäische Kommission damit befassen.

Säule Nummer eins: Die EU möchte bis 2020 ein Fünftel der von ihr benötigten Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen.

Säule Nummer zwei: Wie können wir vorhandene Energien nutzen? Es gibt 191 Millionen Gebäude in der EU. Wir wollen jedes davon in ein kleines Kraftwerke verwandeln: Solarenergie vom Dach, Windenergie von den Flächen der Hauswände, geothermische Wärmenutzung vom Grund unter dem Gebäude. Auch Küchenabfälle können in Energie verwandelt werden, und so weiter. Dieser Pfeiler könnte die Wirtschaft ankurbeln, tausende kleine und mittlere Unternehmen könnten entstehen. Wir müssen den gesamten Gebäudebestand in Europa in den nächsten 40 Jahren überarbeiten.

Säule Nummer drei: Wir müssen Energie speichern können, weil die Sonne ja nicht immer scheint und manchmal weht der Wind nachts, obwohl die Energie hauptsächlich am Tag gebraucht wird. Daher müssen wir alle Speichermöglichkeiten nutzen, hauptsächlich Wasserstoff. Wenn die Sonne auf Ihr Dach scheint, entsteht Strom. Wenn davon nicht alles benötigt wird, biete Wasserstoff einen Speicher. Wenn die Sonne nicht scheint, kann auf diese Weise Energie bezogen werden.”

M.B.D: “Existiert diese Technologie bereits?”

J.R: “Sie existiert und muss nur in die Tat umgesetzt werden.Säule Nummer vier: Hier muss das Internet mit dem Energienetz zusammengebracht werden, um eine neue Infrastruktur zu bilden. Wenn Millionen Gebäude in Europa Energie produzieren, sammeln und durch Wasserstoff speichern – so wie wir heute Medieninhalte digital speichern -, dann kann die nicht benötigte Energie mittels einer Software über das Internet verkauft werden, von der Irischen See bis hin nach Osteuropa. So wie wir jetzt schon Information zwischenspeichern und dann online teilen können.

Die fünfte und letzten Säule betrifft unsere Fortbewegung. Heute sind Elektroautos out, im Jahr 2015 werden Benzin- und Dieselfahrzeuge out sein. Dann werden wir unsere Fahrzeuge an Gebäude anschließen und mit grünen Strom oder Wasserstoff aufladen können. Beim Parken kann Energie bezogen oder verkauft werden.

Jede Säule für sich allein ist bedeutungslos. Nur durch den Einsatz aller fünf Säulen zugleich kann in jeder Stadt, jedem Vorort, auf dem Land diese neue Infrastruktur entstehen. Das wäre eine neue industrielle Revolution. Das ist Energie, ja Macht, die von der Bevölkerung ausgeht.”

M.B.D: “Viele Unternehmen verfolgen Interessen, die konträr zu diesem Konzept einer dritten industriellen Revolution laufen. Haben Sie bisher Widerstand seitens der Industrie, durch Lobbyisen oder durch andere von ihrer Theorie betroffene Personen erfahren?”

J.R: “Lassen Sie mich das in einen Zusammenhang setzen. Die Musikindustrie hat damals nicht mit den Möglichkeiten des Musiktauschs im Internet gerechnet, und den Wandel prompt verschlafen. Erst hat die Musikindustrie das für einen Scherz gehalten – und wirtschaftlich dann gründlich an Boden verloren.
Ich denke also die Antwort auf Ihre Frage liegt hier: Ich mache mir um die Energieunternehmen wenig Sorgen. Das Potential der mit den fünf Säulen zu gewinnenden Enregie ist weit größer als jenes der fossillen Energiequellen. Einige der Energieversorger werden den Wandel mitmachen, in die erneuerbaren Energien einsteigen. Viele aber werden das nicht tun und werden ihre traditionell gewonnene Energie nur noch sehr teuer abgeben können. Früher oder später werden diese dann aussterben. Wir brauchen sie auch nicht. Kleine und mittlere Unternehmen werden eine Renaissance erleben, genau wie die Kooperativen der Nutzer, die gleichzeitig Stromproduzenten sind. Die überlebenden Großunternehmen werden ihre Rolle neu definieren, werden dann hautpsächlich ihre Netze anbieten.”

M.B.D: “Sie sprachen gerade über die kleinen und mittleren Unternehmen. Werden diese im Rahmen der dritten industriellen Revolution auch in den aufstrebenen Ländern, wie China oder auf dem afrikanischen Kontinent, eine Rolle spielen?”

J.R: “Diese Länder werden sich dabei schneller bewegen. Die Vereinten Nationen befürworten die dritte industrielle Revolution als zentrales Element der wirtschaftlichen Entwicklung in den Schwellen- und Entwicklungsländern.
In vielen Teilen der Welt ist keine Elektrizität verfügbar. 300 Millionen Menschen in Indien haben nie davon profitiert. Auch Millionen Menschen in Afrika haben keinen Strom. Sie haben auch keine Infrastruktur. Genau die kann aber jetzt entwickelt werden, sie können aufholen.”

M.B.D: “Wie stellen Sie sich die Welt in 20 Jahren vor? Was wünschen Sie sich und was ist realistisch?”

J.R: “Ich hoffe auf einen Bewusstseinswandel. Wir lebten in mythischem Bewusstsein, dann in einem religiösen und ideologischen. Wir sehen nun die ersten Schritte auf dem Weg hin zu einem biospärischen Bewusstsein. Ich weiss, dass die dritte industrielle Revolution machbar ist. Es handelt sich hier nicht etwa um komoplizierte Raketenwissenschaft.
Was wir jetzt tun müssen: Regierungen, Wirtschaft und die Gesellschaft müssen zusammenkommen, um die dritte industrielle Revolution und eine von fossilen Energiequellen unabhängige Welt sehr, sehr schnell möglich zu machen. Es gibt keinen Plan B.”

M.B.D: “ Herr Rifkin, vielen Dank.”

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