Die Geschäfte der italienischen Mafia: Ein Flüchtling bringt 35 Euro am Tag

Die Geschäfte der italienischen Mafia: Ein Flüchtling bringt 35 Euro am Tag
Von Valérie Gauriat
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Die Orangenbaumresidenz, das klingt nach Dolce Vita und Ferien, aber der erste Eindruck trügt. Die bunten Häuser der Anlage sind von Stacheldraht

Die Orangenbaumresidenz, das klingt nach Dolce Vita und Ferien, aber der erste Eindruck trügt. Die bunten Häuser der Anlage sind von Stacheldraht umzäunt. In Cara di Mineo, einer ehemaligen Wohnanlage für US-Soldaten in Sizilien, ist das größte europäische Flüchtlingslager untergebracht. Hier wohnen bis zu 4.000 Asylbewerber. Das Flüchtlingslager ist in einen riesigen Korruptionsskandal verwickelt.

Flüchtlinge, lukrativer als Drogen

Ende 2014 ist ein riesiger Skandal ans Licht gekommen: Die “Mafia Capitale” in Rom verdiente seit Jahren Millionen mit den Flüchtlingen. Ein wichtiger Kopf der Organisation sagte in einem abgehörten Telefongespräch, dass man mit Flüchtlingen mehr Geld als mit Drogen machen könne. Die “Mafia Capitale” soll über Firmen Auffangzentren in mehreren Regionen Italiens betrieben haben, auch das in Mineo. Die Untersuchungen laufen. Die italienische Regierung hat Millionen für die Aufnahmelager ausgegeben, doch das Geld versickerte zum Teil und kam nie bei den Flüchtlingen an.

Die Meisten wollen jedoch über die Missstände nicht sprechen. David ist vor drei Monaten aus der Elfenbeinküste gekommen. Er fühlt sich in Mineo in Sicherheit, mehr will er nicht: “In meinem Land habe ich meine Eltern verloren. Meinem Vater haben sie vor meinen Augen die Kehle durchgeschnitten, wie einem Huhn. Ich mag nicht darüber sprechen. Was passiert, wenn man mich von heute auf morgen zurückschickt? Das macht mir Sorgen.”

Die meisten Asylbewerber warten hier Monate lang und manchmal bis zu drei Jahre bis darüber entschieden wird, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Sie erzählen uns, dass das untätige Warten am schlimmsten sei. Viele wollen nicht mit uns reden, aus Angst abgeschoben zu werden. Manche trauen sich aber: “Sie haben mich aus dem Mittelmeer gerettet, das stimmt. Aber sie geben uns nicht das Geld, das uns zusteht. Sie geben uns nur 1 Euro 50 anstelle von 2 Euro 50. Und jeden Tag gibt es Reis.” Eine andere Frau meint: “Die Frage, die ich mir stelle ist, warum sie unsere Papiere verzögern. Warum? Wir warten und warten. In dieser Zeit passiert nichts, keine Arbeit, gar nichts!”

35 Euro pro Tag und Flüchtling; für Essen, Unterkunft, psychologische und ärztliche Betreuung und Italienischkurse. Mitinbegriffen 2 Euro 50 Taschengeld. Soweit die Theorie, die Wirklichkeit ist eine andere. Viele Flüchtlinge klagen über schlechte Zustände.

Die Mafia verdient

Wir treffen uns mit mit Giuseppe Verzera Caltagirone, dem Staatsanwalt, der für das Verfahren gegen die Leitung des Aufnahmezentrums verantwortlich ist. Er sagt, dass es noch viele unbeantwortete Fragen gibt: “Wir haben bewiesen, dass viele Einwanderer, obwohl sie nicht mehr dort sind, immer noch auf den Listen als ‘anwesend’ im Zentrum aufgeführt sind. Riesige Summen wurden also bewilligt, ohne dass eine Dienstleistung erbracht wurde.”

Die Betrügereien, die durch den Mafia-Capitale-Skandal ans Licht gekommen sind, sind anscheinend nur die Spitze des Eisbergs. Raffaele Cantone, der Richter, der in Rom mit dem Kampf gegen die Korruption beauftragt ist, geht davon aus, dass es diese Machenschaften in ganz Italien gibt. “Wir bearbeiten weiterhin die Affären der Region Kampanien. Die Ermittlungen in Neapel haben z.B. gezeigt, dass die Besitzer dieser Aufnahmezentren das Taschengeld der Asylbewerber unterschlagen. Das Geld, das die Einwanderer jeden Tag bekommen sollten, stecken sie in die eigene Tasche,” so Cantone.

Die Flüchtlinge leiden und warten

Wir fahren nach Neapel. Ekomano ist vor mehr als einem Jahr aus der Elfenbeinküste gekommen. Im vergangenen Sommer haben er und andere Asylbewerber die Zustände in ihrer Herberge öffentlich gemacht. Leben auf engstem Raum und überall Dreck: Die Bilder, die die Bewohner der Villa Angela gedreht haben, sorgten für Schlagzeilen. Die Konsequenz: Sie wurden aus dem Zentrum rausgeschmissen und landeten auf der Straße.

Nach einem Monat Proteste und mit der Hilfe des Anti-Rassismus-Vereins 3Febbraio fand die Gruppe in einem besseren Zentrum Zuflucht. Ekomano arbeitet weiterhin mit den italienischen Aktivisten zusammen. Er erzählt, dass die Zustände in vielen Aufnahmezentren schrecklich seien: “Ich haben Freunde in ihren Zentren besucht. In manchen müssen Menschen auf dem Boden schlafen. Ihre Kleider liegen auch auf dem Boden herum. Es gibt kein warmes Wasser, um sich zu waschen. Sie leben so. Sie riechen nicht gut und sie haben nichts. Sie trauen sich nicht, etwas zu sagen, denn wenn sie reden, werden sie rausgeschmissen. Die Situation hat sich also nicht wirklich geändert.”

Wir bekommen zu den betroffenen Zentren keinen Zutritt. Aber die Asylbewerber drehten Bilder für uns. Zu sehen: Überfüllte Zimmer, dreckige Klos und Duschen, kein fließend Wasser, Betten ohne Laken und Ungeziefer.

Im vergangenen Februar wurden in der Region Kampanien mehrere Aufnahmezentren geschlossen. Ettore Scarmarcia, ein Aktivist des Anti-Rassismus-Vereins, zeigt uns eine verlassene Gegend in der Nähe von Neapel. Heruntergekommene Hotels, wohin man auch schaut. Es heißt, dass die Gegend in der Hand der Camorra ist. “In den vergangenen Jahren hat die Kriminalität zugenommen. Alles verfällt, ein Hotel nach dem anderen hat zugemacht und viele Besitzer haben beschlossen, sie in Aufnahmezentren umzufunktionieren,” so Ettore Scarmarcia.

Auch hier gibt es Missstände. Mehrere Zentren wurden geschlossen. Aber es sind immer noch viele Asylbewerber in der Region untergebracht. Ettore Scarmarcia erklärt: “Diese Gebäude sind nicht dafür gedacht, viele Menschen zu beherbergen, aber sie bringen so viele Menschen wie nur möglich dort unter. Je mehr Insassen sie haben, umso mehr Geld verdienen sie. Viele Dienstleistungen, die angeboten werden sollten, gibt es nicht. Sie verdienen also auch an all den Leistungen, die sie den Einwanderern nicht zur Verfügung stellen.”

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— Valérie Gauriat (@valgauriat) 15. März 2016

Wir versuchen, in eines der Aufnahmezentren zu gelangen. Eine Gruppe Asylbewerber ist bereit, mit uns zu reden. Sie wollen uns sogar das Hotel zeigen, in dem sie wohnen. Doch der Manager Nicola Licardo lässt uns nicht hinein. Er sagt: “Wir beherbergen und ernähren sie. Wir geben ihnen, was wir können. Über die Verwaltung des Geldes kann ich ihnen nichts sagen. Da müssten Sie die Firma fragen, die sie hier untergebracht hat. Ich bin nur hier, um helfen und aus keinem anderen Grund.”

Die Flüchtlinge sind verzweifelt und zermürbt von der ewigen Warterei. Offiziell heißt es, dass die Präfektur überfordert sei und die Anträge nicht schneller bearbeiten könne. Viele werfen den Leitern der Aufnahmezentren jedoch vor, von den Verzögerungen zu profitieren. Ebrima aus Gambia klagt: “Jeder Tag ist hart. Hier leben 103 Menschen, nur drei haben Papiere bekommen. Warum? Warum ist das so? Wir sind hier ein Jahr, sieben Monate, ohne Papiere. Warum? Sie machen hier mit uns Geschäfte. Wir erfahren nichts. Gesundheitsversorgung, Geld oder Arbeit – wir bekommen keine Informationen. Wir tappen hier im Dunkeln.”

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