Der Internationale Strafgerichtshof - bedroht von einer Austrittswelle?

Der Internationale Strafgerichtshof - bedroht von einer Austrittswelle?
Von Julika Herzog
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Er gilt als das Gewissen der Welt, doch nachdem nun auch Russland seine Zustimmung zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) widerrufen hat, ist das Gericht von einer Austrittswelle bedroht.

WERBUNG

Er gilt als das Gewissen der Welt, doch nachdem nun auch Russland seine Zustimmung zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) widerrufen hat, ist das Gericht von einer Austrittswelle bedroht. Drei afrikanische Staaten haben bereits im Oktober ihren Austritt erklärt, auch die Philippinen drohen mit dem Austritt. Das Fundament des Weltgerichts bröckelt. Sollten dem IStGH weitere Mitglieder abhanden kommen, könnte seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden.

Was ist der Internationale Strafgerichtshof?

Vor 14 Jahren startete das Weltstrafgericht mit Sitz in Den Haag in den Niederlanden seine Arbeit, um Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit zu verfolgen. Der Internationale Strafgerichtshof wird nur dann aktiv, wenn die nationale Strafverfolgung bei derart ernsten Verbrechen nicht greift.

Er wurde 1998 durch das sogenannte Römische Statut gegründet, das 2002 in Kraft getreten ist. Der Gerichtshof kann nur über Individuen und nicht über Staaten zu Gericht sitzen. Insgesamt sind 124 Staaten dem Rom-Statut beigetreten, 31 Staaten unterzeichneten das Statut, ratifizierten es aber nicht. Von den 5 ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates ratifizierten die USA, Russland und die Volksrepublik China das Statut nicht.

Was hat der Internationale Strafgerichtshof bisher für uns getan?

In 14 Jahren hat der Internationale Strafgerichtshof bislang ganze fünf Urteile gesprochen – alle betrafen afrikanische Täter, aus dem Kongo, dem Sudan (Dafur) und Kenia.

Weiterhin laufen fünf Gerichtsverfahren und vier befinden sich in Vorbereitung wegen Kriegsverbrechen in Darfur (Sudan), Uganda, der Elfenbeinküste, der Zentralafrikanischen Republik und der Demonkratischen Republik Kongo. Darunter fällt auch der bekannte Fall des sudanesischen Präsidenten Omar al Bashir, der seit 2009 wegen Völkermordes in Darfur angeklagt werden soll, gegen ihn besteht ein Internationaler Haftbefehl.

Es gibt 10 laufende Ermittlungen (Situations under investigation): Georgien (seit Januar 2016), Zentralafrikanische Republik II (Mai 2014), Mali (Januar 2013), Elfenbeinküste (Februar 2013), Libyen (März 2011), Kenia (Mai 2010), Darfur (Juni 2005), Zentralafrikanische Republik (Mai 2007), Uganda (Juli 2004) und Demokratische Republik Kongo.

Zu 10 weiteren Fällen laufen Voruntersuchungen (Preliminary examinations ), darunter Ermittlungen zu Übergriffen von britischen Soldaten im Irak 2003, Kriegsverbrechen in Gaza, der Ukraine und möglichen von der US-Armee begangenen Kriegsverbrechen in Afghanistan.

The #ICC Prosecutor, Fatou #Bensouda, issues her annual Report on Preliminary Examination Activities (2016) https://t.co/uUWZmFYEVvpic.twitter.com/51OWahAII2

— Int'l Criminal Court (@IntlCrimCourt) 14 November 2016

Laufende Prozesse betreffen ebenfalls ausschließlich Afrikaner. ### Kritik und Austrittswelle

Gambia, Burundi und Südafrika kündigten im Oktober den Grundlagenvertrag, das sogenannte Römische Statut. Kenia gilt
als folgender Austrittskandidat. Ein Dominoeffekt wird befürchtet, denn die Austrittswelle ist keine Überraschung. Seit Jahren begehren afrikanische Länder gegen die aus ihrer Sicht im Erbe der Kolonialzeit stehende Justiz auf. Es sei ein «internationales, weißes
Gericht zur Verfolgung und Demütigung Farbiger, insbesondere von Afrikanern», zürnte im Oktober der gambische Informationsminister
Sheriff Baba Bojang.

Burundi

Burundi erklärte seinen Austritt als erster afrikanischer Staat im Oktober 2016, offiziell wegen der einseitigen, auf afrikanische Staaten konzentrierten Ermittlungen. Human Rights Watch argumentiert allerdings, dass Burundis Austritt durch im April eingeleitete Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs gegen das Land begründet ist.

Südafrika

Als zweites Land kündigte Südafrika die Mitgliedschaft. 2015 besuchte der sudanesische Präsident Omar al-Bashir das Land und wurde trotz Internationalem Haftbefehl nicht festgesetzt. Nach heftiger Kritik aus Den Haag erklärte Südafrika die Verpflichtungen des Internationalen Strafgerichtshofs seien nicht mit nationalen Gesetzten zu vereinbaren, die einem ausländischen Staatsoberhaupt diplomatische Immunität zugestehen würden.

Gambia

Als drittes afrikanisches Land hat Gambia die Mitgliedschaft gekündigt. Es warf dem Strafgerichtshof “die Verfolgung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe vor”. Der Gerichtshof würde Kriegsberbrechen der westlichen Welt völlig ignorieren und bezeichnete ihn als “Internationalen Gerichtshof der Weißen”.

Bislang gab es in Den Haag nur Prozesse zu Verbrechen in afrikanischen Ländern und fast allen laufenden Verfahren und Ermittlungen richten sich gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Afrika. Die Kritik aus Afrika ist daher gerechtfertigt, auch wenn die meisten Verfahren erst auf Initiative der Länder selbst in Gang gesetzt worden waren.

Reaktionen aus Den Haag

Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshof Fatou Bensouda reagierte auf besondere Weise und ermittelt nun auch gegen US-Streitkräfte und CIA-Angehörige. Tatsächlich kann Bensouda US-Bürger anklagen, auch wenn das Land selbst kein Mitgliedsstaat ist. Denn die mutmaßlichen Verbrechen wurden in Staaten begangen, die dem Gericht beigetreten sind. Doch ob es jemals einen Prozess geben wird ist fraglich. Die USA werden im Falle einer Anklage kaum Soldaten oder CIA-Beamte nach Den Haag ausliefern.

Die Initiative von der aus Gambia stammenden Chefanklägerin ist aber ein wichtiges Signal, dass das Gericht auch den Westen im Visier hat.

WERBUNG

Der Austritt Russland – beziehungsweise die Widerrufung der Zustimmung, denn Russland hatte den Vertrag wie die USA und Israel nie ratifiziert – bestätigt, dass sich der Gerichtshof mehr auch außerafrikanischen Verbrechen annehmen will. Denn obwohl Moskau den Rückzug offiziell mit Vorermittlungen des Gerichtshofs zu Südossetien begründet, sehen viele den wahren Grund dafür in der Ankündigung der Chefermittlerin auch den Ukraine-Konflikt und Russlands Rolle näher zu untersuchen.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

UN-Gericht weist Ukraines "Terror"-Klage gegen Russland ab

Krieg in der Ukraine: Russischer Beschuss nimmt kein Ende

Polen: Eurokorps-Kommandeur nach Spionageverdacht entlassen