5 Jahre Brexit-Votum: "Für Euroskeptiker ist es schwieriger geworden"

5 Jahre Brexit-Votum: "Für Euroskeptiker ist es schwieriger geworden"
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Von Shona Murray
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Wie hat sich Europa seit dem Brexit-Votum vor 5 Jahren verändert? Zu Gast in "The Global Conversation" bei euronews sind die Professorin Brigid Laffan vom Europäischen Hochschulinstitut und der Professor und Historiker Niall Ferguson.

Fünf Jahre ist es her, dass Großbritannien per Votum entschieden hat, die Europäische Union zu verlassen, doch die Brexit-Politik dominiert Brüssel noch immer. Wie hat das Europa nach fünf Jahren verändert? Zu Gast in The Global Conversation sind die Professorin Brigid Laffan vom Europäischen Hochschulinstitut und der Professor und Historiker Niall Ferguson.

Euronews:

Wird der Brexit eine historische Entscheidung sein? Werden er und seine Auswirkungen in 20 oder 30 Jahren von entscheidender Bedeutung für die EU und Großbritannien sein?

Birgid Laffan, Europäisches Hochschulinstitut:

"Als der Brexit passierte, die Abstimmung, das war ein Schock, man fürchtete einen Domino-Effekt. Man war besorgt, dass das der Anfang vom Ende der Integration war oder dass der Austritt Großbritanniens die Spaltung der europäischen Seele nach sich ziehen würde. Und genau das ist NICHT passiert. Tatsächlich war die EU sehr geeint, sehr konsequent in der Art und Weise, wie sie mit dem Brexit umgegangen ist, und sie ist entschlossen, weiterzumachen."

Ist es eher schwieriger geworden für die harten Euroskeptiker in ganz Europa.
Birgid Laffan, Professorin am Europäischen Hochschulinstitut

"Aus Sicht der EU ist der Brexit ein Verlust. Es wäre viel besser für die EU, wenn das Vereinigte Königreich ein Mitgliedsstaat wäre. Aber angesichts der Entscheidung Großbritanniens die EU zu verlassen - sie wird respektiert. Aber sie wird keinen langfristigen Einfluss darauf haben, wohin sich die EU entwickeln wird.

In der Tat ist es eher schwieriger geworden für die harten Euroskeptiker in ganz Europa. Plötzlich plädiert sogar Marine Le Pen nicht mehr für einen französischen Austritt oder Salvini nicht mehr für einen Austritt Italiens aus dem Euro. Ich denke, es ist auf lange Sicht zwar ein Verlust, ein geopolitischer - es bedeutet, dass die EU mit einem widerspenstigen Nachbarn umgehen muss. Aber wird es tatsächlich eine Bremse für das europäische Projekt sein? Oder für das, was die 27 oder eine größere EU wollen? Ich denke nicht."

Niall Ferguson, Professor und Historiker:

"Natürlich wird es das, denn sich nach 50 Jahren vom europäischen Projekt abzuwenden, war ein großer Einschnitt in der britischen Politik. Aber ich denke, die noch größere Bedeutung des Brexit ist, dass er den verbleibenden 27 Mitgliedern eines der größten Hindernisse für die weitere Integration nimmt, nämlich das Vereinigte Königreich selber. Großbritannien leistete von allen Mitgliedsstaaten den größten Widerstand gegen eine fiskalische Integration und größere Verschiebungen in Richtung eines föderalen Europas."

Euronews:

Aber was ist dann der Gewinn des Brexit für Großbritannien?

Niall Ferguson, Professor und Historiker:

"Das ist eine der Fragen, die ich schon 2016 gestellt habe, denn ein Freihandelsabkommen mit Australien kann wohl kaum ein Ersatz für die Vollmitgliedschaft im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion sein. Ich denke, die Schlüsselfrage ist die, die Dominic Cummings vor seinem politischen Untergang aufgeworfen hat: Könnte das Vereinigte Königreich das Ausscheiden aus der EU nutzen, um seinen eigenen öffentlichen Sektor neu zu gestalten?"

Aber dann stellen sie fest, dass viele der Dinge, von denen sie dachten, sie seien Probleme der Ehe, eigentlich persönliche Probleme sind.
Niall Ferguson, Professor und Historiker

"Eines der kuriosen Dinge an der Brexit-Debatte war, dass die breite Öffentlichkeit nicht erkannt hat, wie viele Dinge, die sie an der britischen Bürokratie frustrierend fanden, eigentlich eher britisch als europäisch waren. Als ich 2016 gegen den Brexit argumentiert habe, sagte ich, dass die Menschen bei einer Scheidung oft denken, dass sie ihre Probleme lösen, indem sie sich trennen. Aber dann stellen sie fest, dass viele der Dinge, von denen sie dachten, sie seien Probleme der Ehe, eigentlich persönliche Probleme sind.

Und ich denke, viele der Probleme Großbritanniens - insbesondere die dysfunktionale Arbeitsweise der Whitehall (Anmerkung: der Begriff bezieht sich auf die öffentliche Verwaltung in Großbritannien), etwas, worüber sich Dominic Cummings seit vielen Jahren beschwert hat - sind immer noch sehr präsent und werden durch den Brexit nicht gelöst."

Die Frage der schottischen Unabhängigkeit

Euronews:

Würden Sie sagen, dass ein unabhängiges Schottland ohne weiteres als EU-Mitgliedstaat akzeptiert werden würde?

Birgid Laffan, Europäisches Hochschulinstitut:

"Ich denke, es wäre kompliziert - wie immer bei Erweiterungen. Aber sie erfüllen die Kriterien, sie sind pro-europäisch und ich denke, sie würden relativ einfach beitreten können."

Euronews:

Aber würde zum Beispiel die spanische Regierung nicht Einspruch erheben, wenn es sich um ein legitimes Referendum handelt?

Birgid Laffan, Europäisches Hochschulinstitut:

"Nein, ich glaube nicht, dass die spanische Regierung das kann, denn die einzige Möglichkeit für Schottland wieder in die EU einzutreten, ist als unabhängiger Staat. Es ist nicht wie bei Katalonien, von dem Madrid fest entschlossen ist, es nicht in die Unabhängigkeit zu entlassen. Ich denke, dass es keine Möglichkeit für Spanien gibt, legitimerweise ein Veto gegen die schottische Mitgliedschaft in der EU einzulegen."

Streit um das Nordirland-Protokoll

Euronews:

Es gibt einen andauernden Streit über das Nordirland-Protokoll, das mühsam und unter Berücksichtigung des Karfreitagsabkommens ausgehandelt wurde. Alle sind sich einig darüber, was es bedeuten würde, Kontrollen an der Irischen See durchzuführen, und dennoch weigert sich die britische Regierung, das umzusetzen. Was denken Sie, sollten Großbritannien und die EU tun, um aus dieser Sackgasse zu kommen?

Niall Ferguson, Professor und Historiker:

"Es ist schwierig, eine schnelle Lösung dafür zu finden. Es war immer ein sehr, sehr schwieriges Problem, für das es keine Lösung gibt, die alle Seiten zufrieden stellt.

Joe Biden hat in Cornwall sehr deutlich gemacht, dass es in den USA keine Sympathie für jeden Versuch Großbritanniens gibt, das Nordirland-Protokoll aufzukündigen.

Ich denke, wir sollten es eher so sehen, wie die Beziehung der Schweiz zur EU. Diese Analogie ist viel hilfreicher als alle anderen, die in den letzten fünf Jahren bemüht wurden."

(...) kann es Johnson egal sein, wenn es in Nordirland kracht, weil es für ihn politisch viel, viel weniger bedeutend ist.
Niall Ferguson, Professor und Historiker

Euronews:

Aber es gibt die Gefahr einer Rückkehr zur Gewalt, eine sehr ernste Gefahr?

Niall Ferguson, Professor und Historiker:

"Boris Johnson ist der jüngste in einer langen Reihe britischer Politiker, die das nordirische Problem nicht besonders gut verstehen, nachdem sie fast ihr ganzes Leben in England verbracht haben. Irgendwann werden sie aber knallhart damit konfrontiert - und das ist es, was wir jetzt erleben.

Aus Boris Johnsons Sicht ist der Brexit ein Geschenk, aus seiner Sicht ist es das, was ihn an die Spitze gebracht hat. Er ist 2016 dieses Risiko eingegangen und hatte sich von David Camerons Regierung losgesagt. Und es hat für ihn funktioniert. Er hat gemerkt - und das ist wirklich wichtig -, dass das, was im Norden Englands gut läuft, seinen anhaltenden Erfolg garantiert.

Solange das der Fall ist, kann es Johnson egal sein, wenn es in Nordirland kracht, weil es für ihn politisch viel, viel weniger bedeutend ist. Das ist Risikobereitschaft. Es könnte zu einem Wiederaufflammen der Unruhen führen, an die wir uns alle mit einem unguten Gefühl erinnern."

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