Waisenkinder aus der Ukraine sollen in Russland durch ein Abkommen mit den Separatistenregionen jetzt offenbar im Schnellverfahren adoptiert werden können. Das ukrainische Außenministerium schlägt Alarm.
Verschleppt Russland Kinder aus der Ukraine, deren Eltern im Krieg ums Leben gekommen sind, und lässt sie auf der anderen Seite der Grenze im Schnellverfahren adoptieren? Die ukrainische Regierung beschuldigt den Kreml staatlich organisierter Entführungen und hat die Vereinten Nationen gebeten, "schnell Maßnahmen" durchzusetzen, um ukrainische Kinder wieder zurück ins Land zu bringen.
In einer Mitteilung des ukrainischen Außenministeriums ist von einer "unverhohlene Drohung mit der illegalen Adoption ukrainischer Kinder durch russische Staatsbürger ohne Einhaltung aller in den ukrainischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Verfahren" die Rede.
Man sei besonders besorgt über Informationen, wonach das russische Bildungsministerium "Abkommen" mit den abtrünnigen ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk plane, die eine "Überführung von illegal aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine verschleppten Waisenkindern in russische Familien ermöglichen würde".
Vor dem UN-Sicherheitsrat sagte der ukrainische Vertreter Serhij Kyslyzja, die "Eindringlinge" hätten bereits mehr als 121.000 Kinder aus der Ukraine verschleppt, die meisten von ihnen aus der derzeit schwer umkämpften und von russischen Truppen eingekesselten Hafenstadt Mariupol.
Von dort aus brächte man die Kinder in das von den Separatisten gehaltene Donezk und nach Taganrog, einer nahe gelegenen russischen Stadt am Asowschen Meer.
Ende März sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor dem Europarat, dass seit Beginn der russischen Invasion mindestens 2.000 Kinder entführt wurden. "Wir wissen nicht, wo unsere Kinder sind", so der Präsident in einer Videoansprache vor den Abgeordneten.
Mit den zuvor erwähnten "Abkommen" würden Adoptionsverfahren sowohl für entführte Waisenkinder aus der Ukraine, als auch für diejenigen, die noch Eltern oder andere Verwandte haben, vereinfacht und beschleunigt, warnte Kyslytsya vor den Diplomat:innen in New York.
Die ukrainischen Behörden würden in die Adoptionsverfahren der "deportierten Kinder" in Russland nicht eingebunden, so die ukrainische Ombudsfrau für Menschenrechte Lyudmila Denisova auf Facebook.
"Ich bitte die Generalstaatsanwaltschaft, die illegale Abschiebung ukrainischer Kinder nach Russland zu untersuchen", so Denisova. Entführungen habe es auch schon nach der russischen Annexion der Krim 2014 gegeben.
"Die Versuche des Kremls, seine kriminellen Handlungen auf dem Territorium der Ukraine zu 'legitimieren', sind eine zynische Missachtung der grundlegenden Gesetze und Gebräuche der Kriegsführung und der allgemein anerkannten Menschenrechte", so das ukrainische Außenministerium.
Sollten sich die Anschuldigungen der "gewaltsamen Verschleppung" als wahr erweisen, könnten die Entführungen teil eines "Völkermords" an der ukrainischen Bevölkerung sein, so die Menschenrechtsanwältin Gissou Nia von der NGO Atlantic Council gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
"Das würde das Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Abschiebung darstellen", so Nia.
Nach Informationen der UN-Menschenrechtskommission wurden bis zum Montag im Krieg in der Ukraine 142 tote und mindestens 229 verletzte Kinder erfasst. Die tatsächlichen Zahlen seien möglicherweise um einiges höher, befürchtet Manuel Fontaine, Leiter für Notfälle des UN-Kinderhilfswerks Unicef.