Norwegen diskutiert über Verwendung der Superprofite aus Öl und Gas

Norwegische Offshore-Anlage
Norwegische Offshore-Anlage Copyright Haekon Mosvold Larsen/AP
Von Hans von der BrelieRasmus
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Ein Viertel ihrer Erdgasimporte bezieht die Europäische Union nunmehr aus Norwegen. Dort gibt es eine Debatte über Superprofite: sparen oder helfen?

WERBUNG

Der Krieg in der Ukraine beschert Öl- und Gasfirmen gigantische Gewinne: der norwegische Staatskonzern Equinor hat im zweiten Quartal 2022 seine Einnahmen im Vergleich zum Vorjahr glatt verdreifacht - von knapp zwei auf nun fast sieben Milliarden US-Dollar.

Jetzt gibt es eine Polemik, wie die Profite verwendet werden sollten, eine Debatte die mit harten Bandagen geführt wird, schließlich geht es um einen Verteilungskonflikt der Extra-Klasse, ein Streit um viele Milliarden Euro. Sollen damit die Gehälter erhöht, der Staatsfonds gefüllt, Stromrechnungen subventioniert oder Hilfsprojekte im Ausland finanziert werden?

Kriegsgewinnler

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki heizte die Debatte an mit der Bemerkung, Norwegen sei indirekt ein "Kriegsgewinnler", womit er ganz direkt auf die seit Kriegsbeginn rasant steigenden Profite der norwegischen Öl- und Gasindustrie anspielte.

Euronews-Reporter Hans von der Brelie fragte Berit Lindeman, die frisch ernannte Generalsekretärin des norwegischen Helsinki-Komitees, eine internationale Menschenrechtsorganisation: "Der polnische Regierungs-Chef hat Norwegen aufgefordert, mit den Profiten aus Öl und Gas den am härtesten betroffen Ländern zu helfen, vor allem der Ukraine. Ist das eine Einmischung in innnernorwegische Angelegenheiten oder eine berechtigte Bitte?"

Berit Lindeman: "Damit hat er durchaus Recht: Norwegen verdient mit Öl und Gas zusätzliche 60 Milliarden Euro allein in diesem Jahr - und doch hat Norwegen seine Hilfe für die Ukraine gerade einmal um eine Milliarde Euro erhöht. Das ist in ein paar wenigen Tagen verdient. Wir glauben, dass wir angesichts der riesigen Öl- und Gas-Einnahmen was drauflegen und viel, viel mehr zahlen müssen."

Zusammen mit weiteren Mitstreitern hatte Lindeman vor einigen Wochen Proteste vor dem Parlament in Oslo organisiert, wo sie ihrer Forderung öffentlich Nachdruck verlieh - was zu einem teilweise Umsteuern der Regierung führte.

Die allermeisten Norweger befürworten die Idee, Menschen in Not zu helfen, vorallem in der Ukraine. Doch es mehren sich auch Stimmen, die daran erinnern, dass es auch daheim Probleme gibt, wie steigende Stromkosten. Bäuerin Marianne Rönning aus Torresvangen Gardsysteri produziert braunen Ziegenkäse und fordert Hilfe vom Staat:

"Wenn Unternehmen und Kollegen bei uns in der Nachbarschaft schließen müssen, dann hat niemand was davon. Der Staat kann nicht einfach nur dasitzen und zusehen. Die sollten eingreifen und was tun."

Streikverbot

Als unlängst Arbeiter der Öl- und Gasindustrie in Streik traten und mit ihrer Aktion drei Offshore-Felder lahmlegten, machte die Regierung in Oslo von der Möglichkeit Gebrauch, den Streik zu untersagen - und Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor ein Streitschlichtungskomitee zu verweisen.

Insgesamt könnte Norwegen mit fossilen Energieträgern in diesem Jahr 97 Milliarden Dollar einnehmen - dreimal soviel wie im Vorjahr. Der Löwenanteil wird in Norwegens Staatsfonds landen, ein dickes Sparkonto, um die Zeit nach dem Öl zu finanzieren.

Sparen oder helfen

Jetzt tobt die Debatte im Land, ob man heuer nicht weniger auf die hohe Kante legen und mehr Geld für Soziales und Hilfsprogramme in- oder außerhalb Norwegens ausgeben sollte. Das norwegische Helsinki-Komitee sagt, es sei genug Geld für beides da.

"Tut Norwegen genug, um die Ukraine zu unterstützen - verglichen mit anderen Ländern in Europa?", wollte Euronews von der Chefin des norwegischen Helsinki-Komitees wissen.

Berit Lindeman: "Norwegen steht nicht schlecht da, doch angesichts der enormen Bedürfnisse könnten wir sehr viel mehr zahlen - dafür bräuchten wir nur einen kleinen Teil der Extra-Einnahmen aus Öl und Gas."

Neue Pipeline nach Polen

Unterdessen sind die Bauarbeiten an der Untersee-Pipeline zwischen Norwegen und Polen wieder aufgenommen worden. Die Baltische Pipeline soll im Herbst teilweise in Betrieb gehen. Ihre volle Kapazität wird die Gasleitung Anfang des kommenden Jahres erreichen.

Europas Bitte um mehr Gas kommt Norwegen schon jetzt nach, die Regierung in Oslo händigte den Fördergesellschaften umgehend weitere Lizenzen aus, weshalb kurzfristig das Fördervolumen gesteigert werden konnte. Norwegens Solidarität mit den EU-Nachbarn und der Ukraine zeigt sich also ganz konkret daran, dass das rohstoffreiche Land quasi im Handumdrehen einspringt, um zumindest einen Teil der russischen Erdgaslieferungen zu ersetzen.

Aus dem Stand die gesamte russische Erdgaslieferung umzustellen auf Gas aus Norwegen, ist natürlich innerhalb weniger Wochen und Monate nicht möglich. Allerdings sollen später im Jahrzehnt weitere norwegische Projekte verwirklicht werden... keine gute Nachricht für den Klimawandel.

Derzeit beziehen die EU-Mitgliedstaaten als Ganzes betrachtet etwa ein Viertel ihrer Erdgas-Importe aus Norwegen, das sind acht Prozent mehr als im Vorjahr.

Bei seinem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hatte Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Stoere zugesagt, bis 2023 eine Milliarde Euro Hilfe zu leisten, eine Summe, die sowohl militärische wie auch humanitäre Hilfe und Geld für Wiederaufbauprojekte addiert.

Journalist • Hans von der Brelie

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

"Beschämender Tag für Norwegen" - Parlament billigt Tiefseeschürfungen

Extremismus: Massenmörder Breivik verklagt den norwegischen Staat

Norwegen will Tiefseebergbau in eigenen Hoheitsgewässern genehmigen