Könnten Russlands Schuldner in Europa die Kriegsopfer entschädigen?

Das völlig zerstörte Werk von Chezara in Tschernihiv, im Norden der Ukraine.
Das völlig zerstörte Werk von Chezara in Tschernihiv, im Norden der Ukraine. Copyright Chezara
Copyright Chezara
Von Marta Rodriguez Martinez
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Der ukrainische Zulieferer für die Raumfahrtindustrie, Chezara, versucht, auf einem ungewöhnlichen Weg an Kriegsentschädigung von Russland zu kommen. Könnten deutsche Unternehmen zur Kasse gebeten werden?

WERBUNG

"Es gab eine Zeit, in der sie ohne uns keine Raumfahrtindustrie hatten".

Das ukrainische Unternehmen CheZaRa, war für die russische Raumfahrtindustrie in der Vergangenheit so wichtig, dass nach 2014, als die Mitarbeiter:innen einstimmig beschlossen, ihre Technologie angesichts der Annexion der Krim nicht mehr zur Verfügung zu stellen, die Zahl der Unfälle bei Starts von russischen Raumfahrtraketen zunahm, erzählt Vitaliy Kucherenko, Geschäftsführer des Raumfahrt-Zulieferers.

Die Entscheidung führte zu schweren Verlusten für das in Tschernihiw - im Norden der Ukraine - ansässige Unternehmen, das seit mehr als sechs Jahrzehnten im Geschäft ist: Es verlor mehr als 86 % seiner Bruttoeinnahmen.

Der entscheidende wirtschaftliche Rückschlag kam jedoch fast ein Jahrzehnt später mit der vollständigen russischen Invasion in der Ukraine.

Im April 2022 griff die russische Armee Tschernihiw einen Monat lang ohne Unterbrechung an. Der New Yorker beschrieb die Offensive als "eine städtische Todesfalle".

Chezara war in vielen Fragen immer ein Vorreiter.

"Bei den Luftangriffen und dem Beschuss des Werks wurden die meisten Gebäude zerstört", sagt Kucherenko, der glaubt, dass Russland das das Potenzial seines Unternehmens kannte und unter anderem die Zerstörung des Werks zum Ziel hatte.

"Die Ausrüstung wurde beschädigt, die gesamte Infrastruktur, die technischen Netze, die Stromversorgung... wurden vollständig zerstört", zählt Kutscherenko auf. "Es ist fast unmöglich, in einem solchen Unternehmen zu arbeiten. Daher sind jetzt nur noch die kritischen Stellen, die für Ordnung und den Erhalt des Eigentums sorgen, besetzt".

Von den 15.000 Mitarbeitern von CheZaRa sind nur noch etwa 300 übrig, ein Verlust, den Kucherenko auf 530 Millionen Euro beziffert. Allerdings hofft er, eine juristische Formel gefunden zu haben, um trotz der Weigerung Russlands an Reparationszahlungen zukommen.

Ein kreativer juristischer Ansatz

Kucherenko möchte das Geld von westlichen Unternehmen einfordern, die früher mit Russland Geschäfte gemacht haben und aufgrund der Sanktionen nicht in der Lage sind, ihre Schulden gegenüber dem Land zu begleichen.

"Russland ist nicht bereit, Reparationen zu zahlen, es ist nicht bereit, Schadenersatz zu leisten. Aber es gibt Unternehmen, Staaten, die Russland Geld oder andere Dinge schulden, weil es nach internationalem Recht nicht verboten ist, diese Schulden im Rahmen eines Abtretungsvertrags abzutreten. Diese normalen europäischen Unternehmen und Staaten können uns in Höhe ihrer Schuld an Russland entschädigen".

Um dies zu erreichen, muss CheZaRa zunächst vor ukrainischen Gerichten klagen - und gewinnen. Dann muss der Fall in den Ländern augenommen werden, in denen sie Geld fordern: Italien, Deutschland, Polen und Frankreich.

Experten halten dies für möglich. Die größte Hürde: die staatliche Immunität.

Chezara
Zerstörung wo einst die Fertigung von Chezara war: Das ukrainische Unternehmen versucht an Reparationszahlungen von Russland zu gelangen, indem es russische Schulden eintreibtChezara

"Es gibt die generelle Annahme, dass Staaten gleich sind, so dass die Gerichte eines Staates nicht gegen einen anderen Staat vorgehen können", erklärt Holger Hestermeyer, Professor für internationales und EU-Recht am King's College London, gegenüber Euronews.  

"Das bedeutet in der Regel, dass in Fällen, in denen ein anderes Land verklagt wird, dieses Land seine Immunität geltend macht und der Fall damit erledigt ist."

Doch im Fall Russland sei die Immunität "nicht mehr absolut".

Die Anwälte von CheZaRa argumentieren, dass Russland aufgrund einer UN-Resolution von der Immunität ausgenommen ist. Diese besagt, dass die Immunität nicht gilt, wenn ein Land die international garantierten Grundfreiheiten und Menschenrechte grob verletzt.

Hestermeyer erklärt, dass dies nicht der erste Präzedenzfall ist, in dem ein Investor ein Urteil gegen Russland erwirkt und dann das Geld durch weltweite Suche nach seinem Geschäftsvermögen einfordert.

"Das wird alles nicht einfach sein", räumt er ein. "Es wird unglaublich hohe Hürden auf dem Weg dorthin geben. Und es ist nicht unbedingt wahrscheinlich, dass sie sich durchsetzen werden. Aber bisher hat die Ukraine auch sehr sorgfältig eine rechtliche Strategie ausgearbeitet. Und ich würde nicht von vornherein sagen, dass es überhaupt keine Chance gibt."

WERBUNG

"CheZaRa war in vielen Fragen immer ein Vorreiter", sagt Kucherenko. "Ich denke, dass unsere Anwälte auch hier an vorderster Front stehen werden."

Einen Plan B gibt es sowieso: "Wenn es nicht klappt, werden wir, wie alle anderen auch, auf den Sieg der Ukraine und die Wiedergutmachung warten."

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Warum so viele Firmen weiter in Russland Geschäfte machen - und der Rückzug schwer ist

Hat Evan Gershkovich spioniert? Washington fordert konsularischen Zugang zum US-Journalisten

Kiew will Sanktionen gegen Russlands Atomsektor - aber die EU zieht nicht mit