Bulgarien wählt schon wieder: Kiril Petkow oder Boiko Borissow?

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Von Sergio Cantone
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Während die Sicherheit in Europa in einer tiefen Krise steckt, wird in Bulgarien zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren gewählt. Euronews hat die beiden Kandidaten der stärksten politischen Kräfte interviewt, Kiril Petkow und Boiko Borissow.

Während die Sicherheit in Europa in einer tiefen Krise steckt, wird in Bulgarien zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren gewählt. Euronews hat die beiden Kandidaten der stärksten politischen Kräfte in einer besonderen Global Conversation-Sendung interviewt, Kiril Petkow und Boiko Borissow.

Bei keiner Wahl der vergangenen beiden Jahre kam eine tragfähige Regierungsmehrheit zustande. Wird die nächste Wahl endlich die dringend benötigte Stabilität bringen? Und wie wird sich das Wahlergebnis auf Bulgariens Engagement als Mitglied der EU und NATO vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs auswirken?

Sollten sie Ministerpräsident werden, was würden die beiden Kandidaten jeweils tun, um eine 6. Wahl zu vermeiden, wollte Euronews von Petkow und Borissow wissen. Denn die Instabilität Bulgariens könnte in Kriegszeiten auch ein Risiko für die westliche Flanke Europas sein.

Petkow sehe bei diesen Wahlen, dass etwas anders sei, sagt er. Es beginne, sich eine "Einheit um die Idee eines pro-europäischen, starken Bulgariens zu bilden, wie es bei den vorherigen vier Wahlen nicht der Fall war", so Petkow von der liberalen PP. Seine Partei nennt sich "Wir setzen den Wandel fort".

Petkow zieht eine Minderheitsregierung mit der DB vor. "Wir glauben, dass eine klare, transparente Minderheitsregierung besser ist als eine undurchsichtige große Koalition, bei der niemand weiß, wer was kontrolliert."

Als proeuropäisch und euroatlantisch orientiert gelten beide Parteien. Boiko Borissow kann sich mit seiner GERB eine gemeinsame Koalition vortsellen. "Ich war dreimal Ministerpräsident. Aber ich hoffe, dass wir nach den Wahlen am Sonntag mit den Parteichefs, die erklären, sie seien euro-atlantischen Unterstützer, auch wenn sie ein bisschen lügen, gemeinsam eine Regierung bilden können", so Borissow.

Denn laut Umfragen wird auch diesmal keine Partei eine eigene Mehrheit bekommen.

Jetzt ist es nicht nur Gott, sondern ein zufälliger Richter, der die Schritte des Generalstaatsanwalts verfolgt
Kiril Petkow

Der Staatsanwalt ist ein großes Problem, wie Sie sagten. Glauben Sie, dass Sie mit den wenigen Abgeordneten im Parlament in der Lage sein werden, dieses Problem zu lösen?

Kiril Petkow: "Wir werden in zwei Schritten vorgehen. Der erste Schritt ist das, was der Plan für Wiederaufbau und Widerstandsfähigkeit vorschreibt. Diese Bedingung wurde übrigens von unserer Regierung gestellt. Das war keine Forderung der EU. Sie besagt, dass der Chefankläger einer richterlichen Aufsicht unterliegen sollte. Es sollte einen Richter geben, der nach dem Zufallsprinzip gegen den Chefankläger ermitteln kann. Das gibt es bisher nicht, im Moment sagt der Chefankläger, dass nur Gott über ihm steht. Und jetzt ist es nicht nur Gott, sondern ein zufälliger Richter, der seine Schritte verfolgt.

Das ist die Grundlage der Rechtsstaatlichkeit.

Kiril Petkow: "Ganz genau. Wir glauben, dass dieser erste Schritt gelingen wird, denn 5 Milliarden Euro sind an diese Reform gebunden. Es wäre also sehr schwer für eine politische Partei zu erklären, warum sie diese 5 Milliarden Euro nicht für die bulgarischen Bürgerinnen und Bürger bereitstellen will."

Warum gibt es diesen direkten Zusammenhang zwischen der Zentralisierung der Ermittlungen durch den Generalstaatsanwalt und dem Korruptionssystem?

Kiril Petkow: "Es gibt keine Kontrolle über die Gedanken eines Staatsanwalts, ob er Ermittlungen durchführen sollte oder nicht. Es ist ein interner Prozess in seinem eigenen Kopf. Und auch das müssen wir kontrollieren. Aber das größere Problem ist, dass der Chefankläger die Kontrolle über jeden einzelnen Staatsanwalt hat, und er kann sie ans andere Ende des Landes schicken und sagen: 'Geh für die nächsten vier Jahre dahin und ermittle dort'. Deshalb würde kein normaler Staatsanwalt mit einer normalen Anreizstruktur Ermittlungen gegen einen der großen Korruptionsskandale aufnehmen wollen."

Die bulgarische Gesellschaft und die bulgarische öffentliche Meinung sind extrem polarisiert zwischen pro-russischen und pro-westlichen Orientierungen. Was ist zu tun?

Kiril Petkow: "Als wir an die Macht kamen, standen über 60 % der Menschen Russland nah, wir haben es in den Umfragen gesehen. In der Vergangenheit. Heute, aufgrund der Kriegsereignisse, sind es nur noch 20 bis 25 %, ein starker Rückgang. (...) Und das hat mit zwei Dingen zu tun. Erstens haben die Menschen angefangen, zwischen der Geschichte Russlands und dem derzeitigen Putin-Regime zu unterscheiden. Zweitens, was noch wichtiger ist, habe ich festgestellt, dass die Bulgaren Angst hatten, dass wir ohne Russland nicht überleben könnten. Wir dachten: Oh, wir sind völlig abhängig vom Gas, völlig abhängig vom Öl. Es gab also eine tief verwurzelte Angst. (...) Und ich glaube, dass das wahrscheinlich eines der größten Probleme war, mit denen unsere Gesellschaft zu kämpfen hatte. Ich sage nicht pro- oder antirussisch. Ich sage nur, dass es keine Angst gibt, keine Angst, eine unabhängige Position zu wichtigen Dingen einzunehmen. In verschiedenen Berichten heißt es, dass Bulgarien eines der ersten Länder war, das der Ukraine geholfen hat. Die Menschen empfanden ein Gefühl des Stolzes darauf, dass Bulgarien dieses Mal auf der richtigen Seite der Geschichte stand, dass es früh dabei war und dass ds gesehen wurde."

Der Präsident von Bulgarien war nicht sehr glücklich über Ihre Entscheidung, Munition und Waffen an die Ukraine zu verkaufen.

Kiril Petkow:"Wir haben mit Partnern aus den USA, Großbritannien, Rumänien und Polen zusammengearbeitet. Bulgarien hat die Waffen an die USA und Großbritannien verkauft. Wir sind also in der Anfangszeit kein direktes Risiko eingegangen. Sie haben den Ukrainern diese Waffen kostenlos zur Verfügung gestellt, es war wirklich eine Win-Win-Situation. Die Ukrainer haben also schon früh wichtige Waffen bekommen. Wir haben einen sehr großen Teil davon geliefert. Die USA hatten einen stabilen Nachschub und Großbritannien und die bulgarische Industrie haben sehr gut gearbeitet. Das ist ein Beispiel dafür, wie alle profitieren können und man auf der richtigen Seite agiert oder sich einem direkten Risiko auszusetzen."

Das russische Unternehmen Lukoil besitzt offiziell immer noch die wichtigste Ölraffinerie des Landes in Burgas. Es gibt also immer noch starke Beziehungen zu Russland und Interessen.

Kiril Petkow: "Ja, das stimmt. Wir haben das im besonderen Interesse Bulgariens getan, weil wir keine zweite Raffinerie haben. Auch wenn das Schwarze Meer ein Meer ist, der Bosporus ist ein Hochrisikogebiet. Es kann jederzeit zu einem Ausfal kommen. Und die russischen Anlagen wurden für den Betrieb mit russischem Öl entwickelt. Es müssen erhebliche Änderungen vorgenommen werden, um mit Brent-Öl arbeiten zu können. Wir konnten mit unseren EU-Partnern aushandeln, eine eineinhalbjährige Ausnahmeregelung für die Lieferung zu erhalten. Das ist es, was die Bulgaren jetzt sehen."

Doch die EU hat Nabucco abgelehnt, das heißt, sie hat das Gas durch die Türkei und Griechenland geleitet, unter Umgehung Bulgariens. Und ich war damit nicht einverstanden.
Bojko Borissow

Euronew: Die Venedig-Kommission sagt, das Justizsystem es ist immer noch ein sowjetisches Modell. Würden Sie zustimmen, die Befugnisse des Generalstaatsanwalts zu beschneiden oder drastisch zu reduzieren?

Bojko Borissow: "Wir haben ein sehr gut entwickeltes System der Justizreform, bei dem das Schlüsselelement die Kontrolle der Institutionen über den Generalstaatsanwalt ist. Und das wird im nächsten Parlament verabschiedet. (...) Deshalb gibt es jetzt einen nationalen Konsens darüber, dass das System geändert werden muss."

Euronews: Glauben Sie, sie können eine große Koalition mit Kiril Petkovs Partei "Continue the Change" bilden?

Bojko Borissow: "Ich weiß nicht, ob sie gebildet werden kann, aber ich weiß, dass, wenn sie sehr schnell gebildet wird, Bulgarien sehr schnell aus der politischen Krise herauskommen wird. Dank der Selbstbeherrschung, die die Parteien innerhalb der Koalition haben, werden viele richtige und gute Dinge für Bulgarien getan werden. (...) Darin (Papier vom Nationalen Statistischen Institut Bulgariens) heißt es, dass sich die wirtschaftliche Abhängigkeit Bulgariens von Russland in fünf Monaten verdreifacht hat. Nach all diesen Diagrammen. Wir haben aus Russland Waren für fast 5 Milliarden Lew, also zweieinhalb Milliarden Euro, importiert, und die Einfuhren aus Russland sind um 158 % gestiegen."

Euronews: Glauben Sie, dass Sie in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, indem Sie vielleicht zu viele Verbindungen mit Russland für die Gasversorgung aufgebaut haben?

Bojko Borissow: "Tut mir leid, da muss ich Ihnen widersprechen. Ich habe 'South Stream' gestoppt, es war meine Regierung. (...) Putin und Lawrow waren in Ankara und Athen und haben es durch die Türkei und Griechenland geleitet. Erinnern Sie sich? Wenn wir in der Zeit zurückgehen, es war die Pipeline, die von Aserbaidschan aus kommen sollte, Nabucco sollte durch Bulgarien gehen. Doch die EU hat Nabucco abgelehnt, das heißt, sie hat das Gas durch die Türkei und Griechenland geleitet, unter Umgehung Bulgariens. Und ich war damit nicht einverstanden."

Euronews: Wie wollen Sie die pro-russischen Wähler dazu bringen, für Sie zu stimmen?

Bojko Borissow: "Mindestens 10 % wird meine Partei wegen ihrer pro-ukrainischen Politik verlieren. Vor dem Krieg in der Ukraine haben wir versucht, eine ausgewogene Politik auf dem Balkan zu machen. Von dem Moment an, als Putin die Ukraine angriff, haben wir unsere Haltung nicht geändert. Putin ist der Aggressor, nicht das russische Volk, und Putin muss gestoppt werden. Das ist ein großer Unterschied. Gefühle sind Gefühle, aber in dem Moment, in dem sie das unschuldige ukrainische Volk angegriffen haben, zögern wir nicht im Geringsten. Und diejenigen, die mir glauben, das sind Hunderttausende von GERB-Leuten, die hinter mir stehen."

Euronews: Russland spricht von einer existenziellen Bedrohung, von einer Eskalation, bis hin zu einem, wie viele sagen, dritten Weltkrieg? Oder halten Sie das für einen Bluff.

Bojko Borissow: "Ob das ein Bluff ist, weiß ich nicht. In den letzten zwei Jahren hat sich Präsident Putin wie ein anderer Mensch verhalten als der, den wir in der Vergangenheit kannten. Der Westen, zu dem auch ich gehöre, darf das nicht zulassen. Natürlich müssen auch alle diplomatischen Mittel eingesetzt werden, um dieses Blutvergießen zu beenden. Die Menschen sterben dort."

Glauben Sie, dass Bulgarien durch diesen Krieg bedroht ist?

Bojko Borissow: "Natürlich besteht das Risiko. Aber wenn wir das Risiko nicht eingehen, würde das bedeuten, dass wir Putin erlauben, morgen nach Bulgarien oder nach Polen zu kommen. Deshalb sind alle Gesetze, die wir verabschiedet haben, für eine vollständige Diversifizierung weg von Russland im Energiesektor, Rüstung … in allem."

Wenn ich die Chance bekomme, werde ich das Land auch in die Eurozone bringen. Vor zwei Jahren hatten wir alle technischen Kriterien erfüllt. Seitdem sind zwei Jahre vergangen - und jetzt herrscht das Chaos.
Bojko Borissow

Wie ist es um die bulgarische Wirtschaft bestellt? Es wurde erwartet, dass das BIP stärker wachsen würde, als es tatsächlich der Fall ist.

Bojko Borissow: "Die bulgarische Nationalbank sagt, dass es eine riesige Verschuldung gibt. 90 Milliarden Levs. Das sind 45 Milliarden und etwas mehr Euro an Auslandsschulden in einem Jahr. Sie sind um 10 % gestiegen. Als ich Ministerpräsident war, hielten wir zusammen mit Estland den Rekord für die niedrigste Auslandsverschuldung."

Wie sieht es mit dem Euro aus? Glauben Sie, dass das Land bereit ist, den Euro bald einzuführen?

Bojko Borissow: "Als ich das Land regierte, traten wir der Europäischen Bankenunion und dem Wartesaal der Eurozone bei. Andere müssen nachdenken. Ich bin ein Mann der Tat. Wir wären bereits in der Eurozone, zusammen mit Kroatien."

"Ich habe das Land in den Wartesaal der Eurozone und der Europäischen Bankenunion gebracht. Wenn ich die Chance bekomme, werde ich das Land auch in die Eurozone bringen. Vor zwei Jahren hatten wir alle technischen Kriterien erfüllt. Seitdem sind zwei Jahre vergangen - und jetzt herrscht das Chaos."

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