Die EU und die USA wollen den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor Gericht bringen und ihn des internationalen Verbrechens der Aggression in der Ukraine beschuldigen. Dafür mus aber erst noch die geeignete Rechtsform gewählt und - vor allem - installiert werden.
Die Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha sind zum Synonym für mutmaßliche Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine geworden.
Die EU und die USA wollen die russische Staatsspitze wegen des internationalen Verbrechens der Aggression in der Ukraine juristisch zur Verantwortung ziehen, aber die Strafverfolgung gestaltet sich schwierig.
Der Brite Wayne Jordash ist ein auf Menschenrechte spezialisierter Anwalt, der gegenwärtig in Kiew arbeitet. Er erläuterte: _"_Was das Verbrechen der Aggression angeht, so ist der Internationale Strafgerichtshof leider nicht für die Ukraine-Russland-Situation zuständig. Russland ist kein Unterzeichnerstaat des Gerichtshofs. Die Ukraine hat zwar Erklärungen abgegeben, ist aber kein Unterzeichner des Rom-Statuts. Das bedeutet also, dass der Internationale Strafgerichtshof nicht für die Verfolgung von internationalen Verbrechen der Aggressionenen zuständig ist. Das ist das Hauptproblem."
Die EU-Kommission zieht zwei Möglichkeiten zur Strafverfolgung des Verbrechens der Aggression in Betracht: einen internationalen und unabhängigen Ad-hoc-Gerichtshof oder ein hybrides Sondergericht auf der Grundlage des ukrainischen Justizsystems, aber besetzt mit internationalen Richterinnen und Richtern.
Wayne Jordash: "Die EU-Kommission könnte natürlich ein Tribunal sponsern. Aber die Frage wird immer darauf hinauslaufen, ist das Tribunal international? Ist es aus einer internationalen Rechtsquelle entstanden, d.h. aus einem Abkommen, das als international gilt? Das offensichtlichste Beispiel ist das zwischen der UNO und der UNO-Ukraine. Ich vermute, dass es hier auch ein Abkommen zwischen der EU oder der EU-Kommission oder der OSZE, also europäischen multilateralen Organisationen, geben könnte.
Doch dann stellt sich die Frage, ob das Abkommen ausreichend international ist, denn es reicht nicht aus, dass es auf einem internationalen Instrument oder einer internationalen Rechtsquelle beruht, sondern es muss auch den Willen der internationalen Gemeinschaft repräsentieren, nicht nur der EU.
"Schwierig, genügend Staaten zu finden"
Das Abkommen muss eine weit verbreitete geografische, unterschiedliche Rechtskultur repräsentieren. Es geht also um den globalen Norden und den globalen Süden und um eine ausreichende Anzahl von Staaten, die ein solches Instrument unterstützen, damit die EU-Kommission tätig werden und ein Tribunal einrichten kann.
Konkret besteht die politische Schwierigkeit darin, genügend Staaten in der Generalversammlung der UNO zu finden, die einem solchen Tribunal, einem solchen Abkommen zustimmen. Es handelt sich also um ein politisches Problem, und es wird noch einige Auseinandersetzungen geben.
Andererseits hat ein Tribunal, das eher ein nationales Tribunal ist, sagen wir ein hybrides Tribunal auf der Grundlage des ukrainischen Rechts, mehr praktische Schwierigkeiten. Die ukrainische Verfassung lässt diese Art von ergänzenden Gerichten nicht zu. Sie lässt zwar internationale Gerichte zu, aber keine außerordentlichen Gerichte, die das System ergänzen."
Ergeht es Putin wie Milosevic?
Die Rechtslage ist also kompliziert. Aber es gibt auch prominente Beispiele für das Zustandekommen eines internationalen Sondertribunals, etwa gegen den früheren serbischen Staatschef Slobodan Milosevic und die Nürnberger Prozesse gegen führende Nazis.
Dazu sagte Wayne Jordash: "Ich meine, Milosevic hätte nie gedacht, dass er einmal vor einem Gericht stehen würde, aber Hermann Göring im Jahr 1942 hätte auch nie gedacht, dass er einmal vor einem Gericht stehen würde. Drei Jahre später standen er und die Architekten der Endlösung dann vor einem internationalen Gericht. Also, wissen Sie, wir beschäftigen uns nicht mit Fantasien, aber es gibt Präzedenzfälle dafür, dass Leute wie Putin ihre Tage in juristischen Kämpfen und Gerichtsverfahren beenden. Ich schließe die Installierung eines Sondertribunals also nicht aus, aber ich bin gleichzeitig realistisch."