Kriegsexperten warnen: Trotz jüngster Fortschritte steht kein ukrainischer Durchbruch bevor

Ein ukrainischer Soldat springt am 15. Oktober 2023 am Ufer des Dnipro in der Nähe von Cherson aus dem Boot.
Ein ukrainischer Soldat springt am 15. Oktober 2023 am Ufer des Dnipro in der Nähe von Cherson aus dem Boot. Copyright Mstyslav Chernov/Copyright 2023 The AP. All rights reserved.
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Von Euronews mit AFP
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Der ukrainischen Armee ist am Dnipro ein Achtungserfolg gelungen. Dennoch steht kein Durchbruch im Krieg gegen Russland bevor, warnen Experten.

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Die jüngsten Fortschritte der ukrainischen Armee bedeuten nach der monatelangen erfolglosen Gegenoffensive laut Militärexperten noch keinen echten Durchbruch im Krieg gegen Russland.

Am Sonntag gab die ukrainische Regierung bekannt, dass die eigenen Truppen das von der russischen Armee besetzte linke Ufer des Dnipro erreicht hätten.

Die ukrainischen Truppen hätten die russischen Streitkräfte in der Region Cherson drei bis acht Kilometer vom linken Flussufer zurückgedrängt, hieß es.

Das wäre der größte Vorstoß der ukrainischen Armee gegen Russland seit der Rückeroberung von Robotyne in der Region Saproischschja im August. Im Juni war die Gegenoffensive eingeleitet worden.

Der Befehlshaber des von Russland besetzten Cherson, Wladimir Saldo, gab zu, dass "etwa anderthalb Kompanien" ukrainischer Soldaten - möglicherweise Hunderte von Männern - in der Nähe des Dorfes Krynky auf der anderen Seite des Dnipro Stellung bezogen hätten, spielte die Bedeutung des Vorstoßes jedoch herunter.

Dem kremlnahen Militärexperten Alexander Chramtschichin zufolge sei das zurückeroberte Gebiet "mikroskopisch klein" und erlaube es den ukrainischen Streitkräften nicht, militärische Ausrüstung einzusetzen.

"Ohne Ausrüstung keine Offensive, nur Verluste", fasst er zusammen.

Russland hat Ende Oktober Berichten zufolge den Kommandeur der russischen Militärgruppe "Dnipro", die in dem Gebiet operiert, aufgrund der schwierigen Lage vor Ort ausgetauscht.

Der französische Militärexperte Michel Goya erklärt, die ukrainische Operation sei "ziemlich begrenzt" und "ziemlich symbolisch", erlaube es aber, "nach dem Scheitern der Hauptoffensive kleine Siege zu verkünden".

Die ukrainische Armee braucht schwere Geschütze und Brücken

Um den Erfolg in einen großen Durchbruch umzuwandeln, müsste es der ukrainischen Armee gelingen, ihre Truppen auf der anderen Seite des Flusses zu stationieren. Dazu müsste sie das große natürliche Hindernis, den Dnipro, überqueren und dann während der Regenzeit in einem sumpfigen Gebiet manövrieren.

Das erste Ziel Kiews sei es, "die russischen Nachschubwege zu kappen", erklärt der russische Journalist Michael Nacke.  "Um dies zu erreichen, bauen sie Brückenköpfe auf, sie sind nicht nur in Krynky, sie bewegen sich", so der Journalist weiter. Er betont, dass Russland in dieser Region "nicht über die professionellsten Einheiten" verfüge.

Die ukrainische Operation "hält den Druck auf die Russen aufrecht, die gezwungen sind, einen Teil ihrer Reserven an den Dnipro zu verlegen, was zu Lasten anderer Frontabschnitte geht", fügt der französische Analyst Goya hinzu.

Die Einnahme tieferer Positionen im Süden könnte es Kiew auch ermöglichen, einen größeren Angriff auf die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim zu starten. Experten schätzen jedoch, dass dafür Tausende von Männern und Fahrzeugen benötigt werden.

"Brücken über den Dnipro sind [für eine solche militärische Bewegung] notwendig, aber jeder Ponton wäre anfällig für die russische Feuerkraft zu Lande und in der Luft, die noch nicht vollständig ausgeschaltet ist", sagte Mykola Bielieskov, ein ukrainischer Militäranalyst.

Er wies auch auf das Risiko russischer Drohnen hin, die nur schwer abzuwehren seien.

Nur über Brücken könnten schwere Ausrüstung und Logistik passieren, erklärt er. "Wenn wir mehrere Dutzend Kilometer in die Tiefe vordringen wollen, müssen wir auch unsere Artillerie vorschieben, sonst sind wir von jeglicher Unterstützung abgeschnitten", so Goya.

"Die Ukrainer, die übergesetzt haben, sind Infanteristen und Marinekommandos. Sie haben ein paar Fahrzeuge, sind aber insgesamt sehr leicht. Sie werden hauptsächlich durch ihre Artillerie geschützt, die auf der anderen Seite des Flusses bleibt", fügte er hinzu.

Mehrere Militärquellen weisen darauf hin, dass Krynky von den Russen als "zweitrangig" betrachtet wird, die ihre Streitkräfte auf Awdijiwka konzentrieren. Die russischen Streitkräfte versuchen die Industriestadt im Osten einzuschließen.

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