Ukrainische Truppen ziehen sich aus Awdijiwka zurück

Ein ukrainischer Soldat in seiner Stellung in Awdijiwka in der ukrainischen Region Donezk, 18. August 2023
Ein ukrainischer Soldat in seiner Stellung in Awdijiwka in der ukrainischen Region Donezk, 18. August 2023 Copyright Libkos/Copyright 2023 The AP. All rights reserved.
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Von Christoph Debetseuronews Russia mit AP
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Der ukrainische Oberbefehlshaber hat am frühen Samstag erklärt, dass er seine Truppen aus der heftig umkämpften ostukrainischen Stadt Awdijiwka abziehen werde. Die Lage in Awdijiwka hatte sich in den vergangenen Tagen dramatisch verschlechtert. Im Oktober hatte Russland einen Großangriff gestartet.

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Die Ukraine gibt Awdijiwka auf. Die Oberkommandierende der ukrainische Streitkräfte befahl seinen Truppen, sich aus der umkämpften Stadt zurückzuziehen. 

In einer kurzen Erklärung, die am frühen Samstag auf Facebook gepostet wurde, teilte Generaloberst Oleksandr Syrskyi mit, er habe die Entscheidung getroffen, eine Einkesselung zu vermeiden und „das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen“.

Der Oberbefehlshaber fügte hinzu, dass die Truppen auf „günstigere Linien“ vorrücken würden.

„Unsere Soldaten erfüllten ihre militärischen Pflichten mit Würde, taten alles, um die besten russischen Militäreinheiten zu vernichten, und fügten dem Feind erhebliche Verluste an Mensch und Material zu“.

„Wir ergreifen Maßnahmen, um die Situation zu stabilisieren und unsere Positionen zu behaupten“, heißt es in Generaloberst Syrskyis Erklärung.

Die Entscheidung über das Vorgehen in Awdijiwka war Syrskyjs erster großer Test seit seiner Ernennung zum neuen Oberkommandierenden der Ukraine letzte Woche.

In seiner vorherigen Position als Kommandeur des ukrainischen Heeres war er dafür kritisiert worden, dass er die Stadt Bachmut neun Monate lang verteidigt hatte. Die Schlacht um Bachmut wurde zur längsten und blutigsten Schlacht des Krieges. Die Ukraine erlitt schwere Verluste, konnte aber auch die russischen Angreifer deutlich schwächen.

Lage in Awdijiwka hatte sich dramatisch verschlechtert

In den letzten Tagen verstärkten sich Meldungen, die Lage der ukrainischen Truppen in Awdijiwka habe sich dramatisch verschlechtert.

Major Rodion Kudriashov, stellvertretender Kommandeur der 3. Angriffsbrigade, hatte am Freitag erklärt, dass die ukrainischen Truppen dem Ansturm von etwa 15.000 russischen Soldaten immer noch standhielten, er jedoch damit rechne, dass die Situation „bald kritisch“ werde.

„Der Feind versucht, in unsere Verteidigung einzudringen und an einigen Stellen unsere Stellungen zu umgehen“, sagte Major Kudriashov der Nachrichtenagentur Associated Press.

Die 3. Brigade teilte am Freitag auf ihrem Social-Media-Konto mit, dass sich ihre Soldaten in der riesigen Kokerei von Awdijiwka befänden. Russische Kampfflugzeuge würden täglich etwa 60 Bomben abwerfen, das Gebiet unermüdlich beschießen und hätten nun einen kombinierten Angriffe mit Panzern und Infanterie gestartet.

Ein Video zeigte dichten schwarzen Rauch über der Fabrik, der vermutlich durch brennendes Heizöl entstanden ist. In dem Beitrag hieß es: „Giftiger Smog breitet sich im gesamten Werk aus.“

Russische Medien berichteten, dass die Streitkräfte des Kremls in großem Umfang Gleitbomben von Flugzeugen abwerfen, um ukrainische Stellungen anzugreifen. Die Gleitbomben fliegen in einem flacheren Winkel auf ihr Ziel.

USA: Der Ukraine geht die Munition aus

Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Admiral a. D. John Kirby sagte am Donnerstag, dass die russischen Streitkräfte damit begonnen hätten, die ukrainischen Verteidigungsanlagen zu überwältigen. Er sagte, Awdijiwka laufe Gefahr, an Russland zu fallen, eine Entwicklung, die er „zu einem großen Teil“ auf die Tatsache zurückführte, dass den ukrainischen Streitkräften die Artilleriemunition ausgeht.

Die Vereinigten Staaten sind der größte Einzelunterstützer der Ukraine, aber rund 60 Milliarden US-Dollar für Kiew werden durch politische Meinungsverschiedenheiten im Kongress aufgehalten.

Der ukrainische Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj war am Freitag nach Deutschland und Frankreich gereist, um die westlichen Verbündeten seines Landes um weitere militärische Unterstützung zu bitten.

Awdijiwka ist stark mit einem Netz aus Tunneln und Betonbefestigungen durchzogen. Es liegt in den nördlichen Vororten von Donezk, einer Stadt in der gleichnamigen Region, die zum Teil von russischen Truppen besetzt ist. Die Eroberung von Awdijiwka könnte Russland als mögliches Sprungbrett für ein tieferes Vordringen in die Region dienen.

Nach Angaben des Gouverneurs der Region Donezk, Wadym Filashkin, leben noch immer gut 1.000 Menschen in der Stadt. Die Kleinstadt mit einer Vorkriegsbevölkerung von etwa 31.000 Einwohnern ist heute nur noch ein ausgebombter Überrest dessen, was sie einst war.

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Schwere russische Verluste in der Schlacht um Awdijiwka

Russland versucht seit Beginn seiner umfassenden Invasion in der Ukraine, Awdijiwka einzunehmen, und hat im Oktober vergangenen Jahres einen groß angelegten Angriff auf die Stadt in der Nähe von Donezk gestartet. Nach Angaben der ukrainischen Behörden beliefen sich die Verluste der russischen Armee allein im ersten Monat der Offensive auf etwa 10.000. Das Institute for the Study of War, eine Washingtoner Denkfabrik, schätzte im vergangenen Dezember die russischen Verluste auf 13.000 Tote und Verwundete. Die russische Seite äußert sich nicht zu ihren Verlusten.

Luftaufnahmen von Awdijiwka, die die Nachrichtenagentur Associated Press im vergangenen Dezember erhalten hatte, zeigten apokalyptische Szenen und deuteten auf die schweren russischen Verluste hin. Die Leichen von etwa 150 Soldaten – die meisten trugen russische Uniformen – lagen verstreut entlang der Baumgrenzen, wo sie Schutz suchten.

Awdijiwka ist für beide Seiten von großer strategischer Bedeutung. Durch die Aufrechterhaltung von Stellungen in Awdijiwka hielt die Ukraine den Beschuss von Donezk aufrecht und drohte, die für die Logistik der russischen Truppen wichtige Straße zwischen Donezk und Luhansk abzuschneiden.

Im Januar drangen russische Truppen in die Stadt ein und begannen Straßenkämpfe. Im Februar wurde die Lage für die Verteidiger von Awdijiwka kritisch und es drohte eine Einkesselung. Am 15. Februar tauchten Berichte über den teilweisen Abzug ukrainischer Truppen aus der Stadt auf.

Eroberung Awdijiwkas "nur ein symbolischer Erfolg"

Das Institute for the Study of War wertete am Donnerstag eine mögliche Eroberung Awdijiwkas als einen eher symbolischen Erfolg für den Kreml, der allerdings keine wesentlichen Änderungen an der 1.500 Kilometer langen Frontlinie, die sich in den letzten Monaten kaum bewegt hat, mitsichbringen würde.

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„Die mögliche russische Einnahme von Awdijiwka wäre operativ nicht bedeutsam und würde dem Kreml wahrscheinlich nur unmittelbare informative und politische Siege bescheren“, heißt es in einer Einschätzung des Instituts.

„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die russischen Streitkräfte von Awdijiwka aus rasch operativ bedeutsame Vorstöße machen würden, wenn sie die Siedlung einnehmen würden, und die mögliche russische Einnahme von Awdijiwka würde allenfalls die Voraussetzungen für weitere begrenzte taktische Gewinne schaffen“, heißt es weiter.

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