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Verhandlungen in Istanbul: Mehr Theater als Substanz?

Mykola Bielieskov in Berlin, 13.05.2025
Mykola Bielieskov in Berlin, 13.05.2025 Copyright  Johanna Urbancik
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Sanktionen oder Verhandlungen? Der ukrainische Sicherheitsexperte Mykola Bielieskov über die geplanten Gespräche in Istanbul, die Rolle der USA und die Unsicherheit Europas.

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Diese Woche richtet sich Europas Aufmerksamkeit auf die geplanten Gespräche in Istanbul. Nachdem der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vergangenes Wochenende ein Ultimatum gestellt hatte – eine Waffenruhe bis Ende Montag, andernfalls Sanktionen – schlug Putin Gespräche in Istanbul vor.

US-Präsident Donald Trump, der zunächst das europäische Sanktionsultimatum unterstützte, zeigte sich später offen für die Möglichkeit von Verhandlungen in Istanbul. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte seine Teilnahme und erklärte, er werde in der Türkei auf Putin warten.

Bislang deutet jedoch wenig darauf hin, dass Putin die Reise antreten wird. Da er Selenskyj nicht als rechtmäßigen Staatschef anerkennt, könnte dies laut Experten als Grund für seine Absage genannt werden. Stattdessen soll eine russische Delegation anreisen, wobei unklar ist, ob Selenskyj sich mit dieser treffen wird, da er nur bereit ist, Putin persönlich zu sprechen.

Fest steht, dass der US-Außenminister Marco Rubio anreisen wird.

Als Trump an Bord der Air Force One auf dem Weg nach Katar im Rahmen seiner Nahost-Reise zu Reportern sprach, sagte er, dass er "vielleicht in die Türkei fliege". "Putin will, dass ich auch komme. Wenn ich nicht gehe, wird Putin nicht gehen. Also werde ich vielleicht im Rahmen meines Nahost-Besuchs in die Türkei reisen", so Trump.

Die (ungewisse) Zukunft der Sanktionen

Während die Planungen für das Treffen in der Türkei weiterlaufen, bleibt in Europa die Frage offen, wie mit den angekündigten Sanktionen verfahren werden soll. Diese sollten bis Montag in Kraft treten, falls Russland nicht einer 30-tägigen Waffenruhe zustimmt. Da dies bislang nicht geschehen ist, wollen die Europäer Putin nun noch etwas mehr Zeit geben.

Für eine Einschätzung der Situation hat Euronews den ukrainischen Experten Mykola Bielieskov in Berlin getroffen. Bielieskov arbeitet seit 2019 am Nationalen Institut für Strategische Studien in Kyjiw und ist seit 2022 leitender Analyst für die ukrainische NGO Come Back Alive.

Euronews: Denken Sie, dass das mögliche Treffen in Istanbul zwischen Selenskyj und Putin am Donnerstag etwas ändern könnte?

Bielieskov: Aus meiner Sicht verlieren wir uns in Nebensächlichkeiten. Natürlich sind all diese Treffen wichtig, aber sie müssen auch mit etwas Konkretem unterfüttert sein. 

Im Moment rechnet Russland damit, dass es auch ohne Einigung handeln kann und wird. Sie tun auch gar nicht so, als wäre das anders. Sie haben den Preis dafür ja längst bezahlt. Ich verstehe also sehr gut, warum die Ukraine dieses Spiel mitspielt.

Euronews: Glauben Sie, dass die Ukraine dieses Spiel für Russland oder die USA spielt?

Bielieskov: Es ist mehr für die USA. Die transatlantischen Beziehungen sind derzeit nicht in bester Verfassung, aber es gibt immer noch ein gemeinsames Verständnis zwischen den USA, Europa und der Ukraine: dass es einen 30-tägigen Waffenstillstand als Ausgangspunkt geben muss.

Von dort aus können wir ihn ausweiten und erst dann beginnen, die inhaltlichen Differenzen zu erörtern.

Das ist der Grund, warum wir beschlossen haben, uns an diesem Prozess zu beteiligen. Es herrschte ein Gefühl der Einigkeit, das als Druckmittel gegen Putin eingesetzt werden kann. Natürlich ist das nicht genug und die Einigkeit muss durch Schutzmaßnahmen gestützt werden.

Es herrschte ein Gefühl der Einigkeit, das als Druckmittel gegen Putin eingesetzt werden kann.
Mykola Bielieskov

Wir haben zudem eine – gelinde gesagt – einzigartige Person im Weißen Haus. Man muss also einen einzigartigen Weg finden, damit umzugehen.

US-Vizepräsident Vance spricht mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, 28. Februar 2025, Weißes Haus.
US-Vizepräsident Vance spricht mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, 28. Februar 2025, Weißes Haus. AP Photo

Wir haben gelernt, was es bedeutet, eine öffentliche Meinungsverschiedenheit mit ihm zu haben. Deshalb versuchen wir, diesen Fehler nicht zu wiederholen. Wir streben so viel Einigkeit wie möglich an, um jede Störung zu vermeiden, die Russland ausnutzen könnte.

Das ist im Wesentlichen die Logik der Ukraine. Wenn man die Abfolge der Ereignisse rekonstruiert, begann alles mit dem Besuch der britischen, deutschen, französischen und polnischen Regierungschefs.

Es war ein starkes Bild, ein Symbol der Einheit, das Putin nicht einfach abtun konnte.

Euronews: Die fünf haben Trump in Kyjiw sogar am Telefon gehabt.

Bielieskov: Ganz genau. Dieses Bild der Einigkeit, kombiniert mit Ultimaten und starken Erklärungen, ließ Putin wenig Spielraum. Also schlug er stattdessen ein persönliches Treffen vor, dem wir zustimmten. So ist es ihm gelungen, in den Prozess einzugreifen.

Trump selbst hat angedeutet, dass, wenn beide Seiten kämen, er auch teilnehmen könnte. Für Putin ist es jetzt noch komplizierter, sich zurückzuziehen. Tut er es doch, kann man ihn verantwortlich machen. Das ist natürlich keine Garantie für echte Fortschritte.

Polens Premier Tusk, der ukrainische Präsident Selenskyj, Großbritanniens Premier Starmer, Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzler Merz am 10. Mai 2025 in Kyjiw.
Polens Premier Tusk, der ukrainische Präsident Selenskyj, Großbritanniens Premier Starmer, Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzler Merz am 10. Mai 2025 in Kyjiw. Evgeniy Maloletka/Copyright 2025 The AP. All rights reserved

Das eigentliche Problem ist, dass Russland bereit ist, eine weitere längere Kampfperiode durchzustehen. Wenn es keine Einigung gibt, ist das für sie in Ordnung. Sie können den Krieg aufrechterhalten und gleichzeitig versuchen, die Wahrnehmung – sowohl innerhalb der Ukraine als auch international – zu beeinflussen. Was wir momentan besprechen ist Theatralik, meiner Meinung nach.

Bei Verhandlungen gibt es im Grunde zwei Wege, den Gegner zur Annahme von Bedingungen zu bewegen: Anreize oder Druck. Putin zu geben was er will ist keine Option. Wir können weder Souveränität noch Sicherheit aufgeben. Bestenfalls können wir zustimmen, die Front einzufrieren.

Das heißt, wir müssen Druck ausüben, um Russlands Kalkül zu ändern. Und hier liegt die Schwachstelle. Aus Westeuropa kam auch bereits Druck, dass wenn Russland dem 30-tägigen Waffenstillstand nicht zustimmt, schwere Sanktionen verhängt werden. Jetzt ist der Moment, zu zeigen, dass sie es ernst meinen.

Euronews: Bundeskanzler Friedrich Merz hat Russland ein Ultimatum bis vergangenen Montag gestellt. Sieht dieses Ultimatum jetzt nicht aus wie eine leere Drohung?

Bielieskov: Wenn wir uns ein Szenario vorstellen, in dem es keine Einigung gibt und die Kämpfe weitergehen, wird die größte Herausforderung sein, eine sinnvolle Beteiligung der USA zu erreichen. Ein Engagement um seiner selbst willen ist sinnlos. Es muss strategisch sein.

Glaubwürdigkeit ist entscheidend, vor allem für die Europäer, insbesondere Deutschlands neuem Kanzler, Friedrich Merz. Wenn sie anfangs schwach oder unzuverlässig wirken, riskieren sie, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und dann wird man ihnen nicht mehr vertrauen. Glaubwürdigkeit ist die Währung internationaler Beziehungen. Man sagt etwas – dann muss man es auch tun. Wenn nicht, trägt man selbst die Konsequenzen.

Glaubwürdigkeit ist die Währung internationaler Beziehungen.
Mykola Bielieskov
Merz spricht während eines Treffens mit der ukrainischen Regierung im Mariinsky-Palast in Kyjiw, Ukraine, Samstag, 10. Mai 2025.
Merz spricht während eines Treffens mit der ukrainischen Regierung im Mariinsky-Palast in Kyjiw, Ukraine, Samstag, 10. Mai 2025. Vitalii Nosach/Copyright 2025 The AP. All rights reserved

Im Kern geht es darum, die Denkweise des Kremls zu ändern. Aus Putins Sicht gibt es derzeit keine Signale, die Anlass zur Sorge geben und er fühlt sich nicht unter Druck gesetzt. Sicher, Russland ist nicht allmächtig, dennoch machen sie weiter.

Die eigentliche Tragödie ist, dass Putin seit über drei Jahren keine Signale erhalten hat, die ihn zum Umdenken bewegen würden. Sein ursprüngliches Ziel war – und ist – die Zerstörung der Ukraine.

Euronews: Können die USA oder Trump denn Putin stoppen? Trump hat gesagt, er würde vielleicht an dem Treffen in Istanbul teilnehmen aber zugleich hat auch sein Sondergesandter, Steve Witkoff, gesagt, dass die USA sich zurückziehen, sollte kein Fortschritt erreicht werden.

Bielieskov: Das würde uns in neues und unsicheres Gebiet führen. Ich glaube nicht, dass die USA die Tür wirklich zuschlagen. Sie werden es wahrscheinlich diplomatischer formulieren.

Selbst Trump würde sich die Ausrede bewahren wollen, dass er es versucht hat, aber gescheitert ist, weil niemand kompromissbereit war.

Eine große Veränderung seit Februar oder März ist, dass nicht mehr Russland, sondern zunehmend die Ukraine von amerikanischer Seite kritisiert wird. Europa muss sich mit dieser Realität abfinden, egal wie es ausgeht.

Der russische Präsident Wladimir Putin, rechts, und der Sondergesandte von US-Präsident Donald Trump, Steve Witkoff, in St. Petersburg, Russland, 11. April 2025.
Der russische Präsident Wladimir Putin, rechts, und der Sondergesandte von US-Präsident Donald Trump, Steve Witkoff, in St. Petersburg, Russland, 11. April 2025. AP Photo

Allen drei Szenarien des US-Engagements fehlt eine klare Vision. Wenn die USA sagen: "Hier ist unser Plan, wir kommen später wieder", setzt das voraus, dass wir diesen Rahmen akzeptieren, was nicht sicher ist. Es könnte sein, dass Europa die Verantwortung übernehmen muss. Oder die USA reden weiter, ohne neue Hilfspakete.

Das Hauptproblem für Europa ist: Wie hält man die USA bei der Stange? Eine Idee: den USA sagen, wir beschaffen Waffen für die Ukraine: "Verkauft sie uns, für euch ist das Geschäft und Geopolitik."

Die Herausforderung für Europa, vor allem mit diesem US-Präsidenten, der kein großer NATO-Fan ist: Wie organisiert man Sicherheit unabhängig? Es wäre ideal für Europa, die Verantwortung für die eigene Verteidigung zu übernehmen. Der Schlüssel ist zu verstehen, wie und ob die USA involviert bleiben.

Euronews: Gibt es ein Szenario, in dem sich Europa, auch die Ukraine, von der Abhängigkeit von den USA löst?

Bielieskov: Ich glaube nicht, dass wir das je aktiv anstreben würden. Wir tun alles, um eingebunden zu bleiben.

Wir werden nicht sagen: "Entweder ihr seid für uns oder gegen uns." Es ist ein zweigleisiger Prozess: Wir bereiten uns auf den NATO-Gipfel vor und gleichzeitig auf eine Zukunft, in der die USA nicht mehr erste, sondern letzte Instanz sind. Das ist ein Mentalitätswandel.

Für Deutschland ist es Zeit zu akzeptieren, dass das Nachkriegsmodell – Sicherheitsabhängigkeit von den USA – ausläuft. Deutschland hat zu lange darauf verzichtet, Mitteleuropa selbst zu verteidigen. Dieses Modell trägt nicht mehr. Ich glaube, in Berlin wächst das Bewusstsein dafür.

Euronews: Sind Sie zuversichtlicher in die neue schwarz-rote Regierung unter Merz als die Ampel-Regierung unter Olaf Scholz?

Zunächst einmal: Trotz aller Kritik und Meinungsverschiedenheiten finde ich, dass das, was in den vergangenen drei Jahren geleistet wurde, beachtlich ist. Wenn man sich anschaut, was Länder konkret an Substanz liefern, dann stellt man fest: Deutschland schnürt regelmäßig sinnvolle, gehaltvolle Hilfspakete.

Dazu gehören Artilleriegeschosse, Flugabwehrmunition, unterschiedliche Arten von gepanzertem Gerät und mehr. Im Moment ist Deutschland in der Lage, eine Führungsrolle zurückzugewinnen, sowohl inhaltlich als auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Bisher wurden häufig Großbritannien oder Frankreich stärker gewürdigt, vor allem in diplomatischer Hinsicht, und das ist auch nachvollziehbar. Aber heute zeigt sich Führungsstärke in der Ukraine vor allem durch Hardware, also Munition.

Trotz Widersprüchen in der Politik früherer Regierungen wurde inzwischen eine solide Grundlage geschaffen, auf der sich die Verteidigungsproduktion ausweiten lässt. Und Deutschland kann diese Führungsrolle nun übernehmen.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj während eines offiziellen militärischen Empfangs im Kanzleramt in Berlin, 14. Mai 2023.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj während eines offiziellen militärischen Empfangs im Kanzleramt in Berlin, 14. Mai 2023. Matthias Schrader/Copyright 2023 The AP. All rights reserved

Euronews: Merz hat vor kurzem gesagt, dass Deutschland künftig keine Details mehr dazu veröffentlichen will, welche Waffen Deutschland an die Ukraine liefert. Was halten Sie davon?

Bielieskov: Wenn es tatsächlich um operative Sicherheit geht, und nicht darum, dass die Lieferungen kleiner oder weniger relevant werden...

Euronews: Der ukrainische Botschafter, Oleksii Makeiev, sagte bereits, er wisse, was geliefert werde, und sei zufrieden damit.

Bielieskov: Das spricht dafür, dass es wirklich um Sicherheitsgründe geht.

Wir leben in einer Welt, in der Informationen sofort erwartet werden. Das war auch seit Beginn des russischen Großangriffs der Fall. Anfangs wurden mehrere Lieferungen im Voraus öffentlich angekündigt, teils sogar, bevor das Material überhaupt in der Ukraine angekommen war.

Das hat Vor- und Nachteile. Auf der einen Seite kann man damit ein Signal an Russland senden und Entschlossenheit demonstrieren. Auf der anderen Seite leidet darunter die operative Sicherheit. Ich denke , dass Deutschland hier klassisch im Sinne der operativen Sicherheit handelt.

Euronews: Mit Merz' Ankündigung wurde hierzulande auch wieder die Taurus-Debatte entfacht. SPD-Generalsekretär, Matthias Miersch, hat jedoch gesagt, dass die Marschflugkörper nicht an die Ukraine geliefert werden.

Bielieskov: Das ist eine vielschichtige Frage. Taurus wäre ein echter Zugewinn, denn dieser Krieg hat ganz klar gezeigt, wie wichtig weitreichende Waffen sind.

Wenn man an der Front etwas bewegen will, muss man tief ins feindliche Hinterland schlagen und dort gezielt Strukturen zerstören. Wenn wir also tatsächlich Taurus erhalten und einsetzen könnten, wäre das bedeutend.

Gleichzeitig denke ich, dass die ganze Debatte um Taurus inzwischen überdimensioniert ist. Viele haben sich so sehr daran festgebissen, dass sie den größeren Zusammenhang aus den Augen verlieren. Die Erwartungen sind extrem hoch und wenn sie dann nicht erfüllt werden, droht Enttäuschung und Frustration – eine Art bitterer Nachgeschmack.

Zwei Frauen halten Plakate mit der Forderung nach Taurus-Marschflugkörpern und -Jets für die Ukraine in Berlin, 24. August 2023.
Zwei Frauen halten Plakate mit der Forderung nach Taurus-Marschflugkörpern und -Jets für die Ukraine in Berlin, 24. August 2023. Markus Schreiber/Copyright 2023 The AP. All rights reserved

Für mich ist die strategische, langfristige Perspektive entscheidender. Es geht um echte, verlässliche Langzeitunterstützung. Die Bundesregierung ist für vier Jahre gewählt und wenn in dieser Zeit ein klares, dauerhaftes Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine erfolgt, wäre das ein sehr viel stärkeres Signal als jede einzelne Waffenlieferung.

Taurus wäre also hilfreich, ja. Aber wir sollten uns davon nicht ablenken lassen. Wenn wir auf einen dauerhaften, stabilen Frieden hoffen, brauchen wir auch ein dauerhaftes, stabiles Engagement – gerade beim Ausbau der Verteidigungsindustrie.

Wenn wir auf einen dauerhaften, stabilen Frieden hoffen, brauchen wir auch ein dauerhaftes, stabiles Engagement.
Mykola Bielieskov

Das ist der einzige Weg nach vorn. Ein langfristiges, jährlich zugesichertes Engagement hätte ein deutlich größeres strategisches Gewicht. Es würde der Ukraine und ihren Partnern Planungssicherheit geben und den Aufbau strukturierter Verteidigung ermöglichen.

Viel zu oft verfallen wir in so eine Art "Marketing-Logik" und jagen der nächsten großen Schlagzeile oder einer symbolischen Lieferung hinterher. Das erzeugt Aufmerksamkeit, aber es schafft keine nachhaltige Sicherheit. Was wir brauchen, ist strategische Geduld und Verlässlichkeit.

Euronews: Was bedeutet für Sie ein ukrainischer Sieg?

Bielieskov: Das ist eine schwierige Frage. Leider gibt es in der Ukraine keine Einigkeit darüber. Doch ohne ein gemeinsames Verständnis von "Sieg" können wir weder eigene noch internationale Ressourcen gezielt einsetzen.

Ich glaube nicht an guten Willen allein. Jeder tragfähige Rahmen muss militärisch abgesichert sein.

Das oft genannte "koreanische Szenario" wird meist genutzt, um zu sagen: Die Ukraine soll akzeptieren, dass sie nicht alles zurückbekommt – die Frontlinie als Dauergrenze. Aber das funktioniert nur, wenn sie militärisch gesichert wird.

Erster Schritt: Die Front stabilisieren, damit Russland nicht weiter vorrücken kann. Zweitens: Eigene Fähigkeiten stärken und internationale Unterstützung langfristig absichern – also eine Abschreckungsstrategie.

Wenn es gelingt, Russland den Sieg zu verwehren und Bedingungen wie den Verzicht auf Souveränität abzulehnen, wäre das bereits ein Erfolg.

Wenn die Ukraine als souveräner Staat weiterbesteht, ist das ein klares Scheitern Putins. Er wollte sie zerstören: doch sie existiert, kontrolliert 80 Prozent des Landes, modernisiert sich und entwickelt Partnerschaften. Das allein ist schon ein Sieg.

Solange Putin an der Macht ist, wird es kein tragfähiges Abkommen geben. Aber selbst ohne ihn bliebe das Problem. Russland ist durch jahrelange Propaganda radikalisiert. Viele glauben, sie führen einen Verteidigungskrieg auf Feindesland. Mit so einem Weltbild ist kein Kompromiss möglich.

Deshalb braucht jeder künftige Weg militärische Stärke.

Das "koreanische Szenario" ergibt also nur Sinn mit glaubhafter Abschreckung und internationalen Garantien und nicht als Vorwand, um Gebiete aufzugeben.

Dieses Interview wurde redaktionell gekürzt und sprachlich überarbeitet.

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