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Afghanistan: Warum Deutschland nicht allen Ortskräften hilft

ARCHIV – Arefeh (40), eine afghanische Frau verlässt eine Untergrundschule in Kabul, 30. Juli 2022
ARCHIV – Arefeh (40), eine afghanische Frau verlässt eine Untergrundschule in Kabul, 30. Juli 2022 Copyright  AP Photo/Ebrahim Noroozi, File
Copyright AP Photo/Ebrahim Noroozi, File
Von Johanna Urbancik
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Halima arbeitete für die deutsche Luftwaffe, heute lebt sie in Angst vor den Taliban und bekommt keine Antwort aus Berlin.

Tausende afghanische Ortskräfte warteten nach dem Abzug der internationalen Truppen auf Hilfe aus Deutschland. Viele blieben zurück – so wie die 63-jährige Halima, die für die deutsche Luftwaffe arbeitete und nun um ihr Leben fürchtet.

Sie arbeitete in Afghanistan fünf Jahre lang für die deutsche Luftwaffe im Sicherheitsbereich. Aus Sicherheit wurde ihr Name geändert.

Für ihre Arbeit wurden ihre Daten und biometrische Scans ihres Gesichtes erfasst und gespeichert. Im Jahr 2012 wurde das Arbeitsverhältnis aus gesundheitlichen Gründen beendet.

2021 kamen die Taliban zurück – und mit ihnen die Angst. Aufgrund ihrer damaligen Zusammenarbeit mit der Bundesregierung war sie zur Zielscheibe für die radikalislamistische Terror-Gruppe geworden.

Die ersten Tornados vom Aufklärungsgeschwader 51 "Immelmann" der Luftwaffe im Feldlager Marmal in Mazar-i-Sharif in Afghanistan, Apr 5, 2007
Die ersten Tornados vom Aufklärungsgeschwader 51 "Immelmann" der Luftwaffe im Feldlager Marmal in Mazar-i-Sharif in Afghanistan, Apr 5, 2007 Michael Kappeler/dapd

Afghanische Ortskräfte: Zurückgelassen nach dem Abzug

Bereits im Jahr 2015 hatte die Bundesregierung ihr Unterstützung versprochen. Sie erhielt eine E-Mail-Adresse des Auswärtigen Amts, die sie nach dem Truppenabzug mehrmals vergeblich kontaktierte.

Für Halima brach eine Welt zusammen: Trotz ihrer langjährigen Arbeit hat sie bislang keinerlei Unterstützung von Deutschland erhalten – stattdessen muss sie um ihr Leben fürchten und fühlt sich im Stich gelassen.

Nach Angaben des Auswärtigen Amts wurden seit 2021 mehr als 33.000 besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland aufgenommen. Doch viele Ortskräfte, die vor 2021 arbeiteten, fallen offenbar durchs Raster.

Zudem stehe der Dienstleister der Regierung mit allen betroffenen Personen in Afghanistan in Kontakt.

"Sofern erforderlich und gewünscht, erfolgt eine Unterbringung, Verpflegung sowie erforderliche medizinische Betreuung. Der Dienstleister der Bundesregierung ist bestrebt, die Sicherheit der Personen zu gewährleisten", heißt es.

Ob Ortskräfte, die vor 2021 schon nicht mehr für die Regierung gearbeitet haben, in dem Programm enthalten ist, ist unklar.

Ein Soldat der deutschen Bundeswehr steht auf dem Geleande des PRT (Provincial Reconstruction Team) in Kunduz im Norden Afghanistans am 10. Oktober 2005
Ein Soldat der deutschen Bundeswehr steht auf dem Geleande des PRT (Provincial Reconstruction Team) in Kunduz im Norden Afghanistans am 10. Oktober 2005 DANIEL ROLAND/AP2005

Halima ist geschockt und entrüstet. Ihre Arbeit mit der Luftwaffe macht sie neben ihrem Geschlecht zu einem Ziel für die Taliban. Ohne jegliche Unterstützung kann sie das Land nicht verlassen, da Frauen ohne männlichen Begleiter weder das Haus verlassen können, noch reisen dürfen.

"Ich sehe keine Hoffnung auf Leben, insbesondere für Frauen. Wir sind völlig isoliert", so Halima. Jahrelang glaubte und kämpfte sie für ein gerechtes Afghanistan – nun bezahlt sie dafür mit ihrer Sicherheit.

Auch das Leben ihrer Töchter, Amira (45), Mariam (43) und Yasmin (28), hat sich mit dem US-Truppenabzug grundlegend verändert. Alle drei haben studiert – eigentlich stünde ihnen die Welt offen. Doch unter der Herrschaft der Taliban können sie ihren Berufen nicht nachgehen. Von Freiheit kann auch bei ihnen nicht die Rede sein.

"Eine meiner Töchter hatte eine gute Position am Berufungsgericht, eine andere arbeitete im Finanzministerium, und die dritte hat gerade ihr Ingenieurstudium beendet", erzählt Halima.

Wegen ihrer früheren Arbeit stehen Amira und Mariam unter Aufsicht der Taliban. Sobald sie das Haus verlassen, riskieren sie, dass Taliban-Kämpfer ihre Handys durchsuchen. Aus Sicherheitsgründen wurden auch ihre Namen geändert.

Frauen wie Halima und ihre Töchter gehören zu den am stärksten gefährdeten Gruppen unter der Taliban-Herrschaft. Sie dürfen das Haus kaum verlassen, verlieren ihren Beruf und leben in ständiger Angst vor Gewalt.

EU-Gericht stärkt Rechte afghanischer Frauen auf Schutz

Ende 2024 hat der Europäische Gerichtshof deshalb entschieden, dass Frauen aus Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts von Verfolgung bedroht sind und daher Anspruch auf Schutz haben. Afghaninnen müssen demnach keine zusätzlichen Fluchtgründe nachweisen.

Frauen wie Halima und ihre drei Töchter haben somit ein Anrecht auf Schutz. Dafür müssen sie jedoch nach Deutschland reisen - etwas, das unter der Herrschaft der Taliban unmöglich ist.

Afghanische Frauen unter den Taliban: Gefangen im eigenen Haus

Seit der Machtübernahme der radikalislamistischen Taliban im August 2021 sind Frauen und Mädchen in Afghanistan systematisch aus fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens entfernt worden und seitdem isoliert.

Die Schulbildung ist für Mädchen nach der sechsten Klasse verboten. Auch von Universitäten und Studiengängen wie Medizin oder Hebammenwesen sind sie ausgeschlossen. Lediglich über informelle oder Angebote im Internet hat ein Bruchteil der afghanischen Mädchen Zugang zu Bildung.

Archiv– Afghanische Mädchen ion einer religiösen Schule in Kabul, Afghanistan, 11. August 2022
Archiv– Afghanische Mädchen ion einer religiösen Schule in Kabul, Afghanistan, 11. August 2022 AP Photo

Öffentliche Orte, wie Parks oder Sportvereine, sind Männern vorbehalten. Frauen dürfen das Haus nur in Begleitung eines männlichen Angehörigen verlassen – selbst, wenn sie medizinische Hilfe brauchen. Gleichzeitig dürfen sie nur von Frauen behandelt werden, doch da weibliches Personal kaum noch arbeitet, bleiben viele Patientinnen unbehandelt.

Archiv– Afghanische Frauen warten auf Lebensmittelrationen von einer humanitären Hilfsorganisation in Kabul, Afghanistan, 23. Mai 2023
Archiv– Afghanische Frauen warten auf Lebensmittelrationen von einer humanitären Hilfsorganisation in Kabul, Afghanistan, 23. Mai 2023 AP Photo/Ebrahim Noroozi, File

Die psychische Belastung durch Isolation, Angst und Perspektivlosigkeit hat in Afghanistan zu einer massiven psychischen Gesundheitskrise unter Frauen geführt. Seit der Rückkehr der Taliban im August 2021 sind Suizidversuche und Suizidraten Berichten zufolge besonders unter jungen Menschen drastisch angestiegen.

Offizielle Angaben der Taliban gibt es hierzu nicht. Medienberichte, darunter von der investigativen afghanischen Exil-Zeitung Etilaat Roz, berichteten von mindestens 213 Suiziden zwischen April 2022 und April 2023. Im Folgejahr registrierte das Innenministerium unter Taliban-Aufsicht 360 Fälle, was einen Anstieg zeigt.

Euronews konnte die Zahlen nicht unabhängig überprüfen.

Wenn Sie selbst unter Depressionen leiden oder Suizidgedanken haben, suchen Sie bitte umgehend Hilfe. Die Telefonseelsorge ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar – telefonisch unter 0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116 123, sowie online unter www.telefonseelsorge.de.

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet werktags tagsüber Unterstützung unter 0800 / 33 44 533.

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