Die Regierung hat Ortskräften versprochen, sie nach der Machtübernahme der Taliban zu retten. Wie viele Menschen sind noch auf die Hilfe Berlins angewiesen?
2021 endete der über ein Jahrzehnt andauernde Einsatz westlicher Truppen in Afghanistan.
Zehntausende Afghaninnen und Afghanen haben bis zum US-Truppenabzug 2021 für deutsche Institutionen gearbeitet – als Übersetzer, Sicherheitskräfte oder Mitarbeitende in Entwicklungsprojekten.
Während der Luftbrücke im August 2021 wurden rund 4.000 Menschen per Notvisa evakuiert, bis Ende 2022 kamen etwa 26.000 weitere über Sonderprogramme nach Deutschland.
Laut der Nachrichtenagentur Reuters wurden bis Mitte 2025 36.500 gefährdete Afghanen aufgenommen.
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass sich in Pakistan noch rund 1.850 Personen befinden. In Afghanistan sind es rund 210 Personen aus den verschiedenen Aufnahmeverfahren.
In Pakistan verteilen sich die Personen wie folgt auf die verschiedenen Programme: Ortskräfteverfahren mit circa 220 Personen, Menschenrechtsliste mit circa 60 Personen, Überbrückungsprogramm mit circa 590 Personen und das Bundesaufnahmeprogramm mit circa 980 Personen.
Elena Singer, Sprecherin des BMI, bestätigt auf Euronews-Anfrage, dass die Bundesregierung beschlossen hat, freiwillige Aufnahmeprogramme so weit wie möglich zu beenden.
"Die Bundesregierung bietet afghanischen Staatsangehörigen in Pakistan Unterstützungsoptionen an, wenn diese nach Afghanistan zurückkehren wollen. Ziel ist es, den Personen eine Perspektive einzuräumen, die nicht mit einer Aufnahme in Deutschland rechnen können. Es erfolgen weiterhin Sicherheitsüberprüfungen in Pakistan. Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, die Bundesländern bei regelmäßige Abschiebungen nach Afghanistan zu unterstützen. Um dies zu ermöglichen, befindet sich die Bundesregierung auf technischer Ebene in Gesprächen mit der afghanischen de-facto Regierung", so Singer.
Eine vor kurzem veröffentlichte Recherche der ARD besagt, dass die Bundesregierung Afghanen offenbar Geld angeboten hat, wenn sie dafür auf ihre Einreise nach Deutschland verzichten. Betroffen sollen Menschen sein, die in Pakistan auf ihre Ausreise warten.
Die afghanische Politikerin Shukria Barakzai, die aufgrund der Talibanherrschaft im Exil lebt, kritisiert die Geldangebote und fragt, ob die Regierung damit die Menschen kauft oder verkauft. Geld könne ihrer Meinung nach keine Sicherheit vor den Taliban kaufen.
"Man kann ein Bett kaufen. Schlaf kann man jedoch nicht kaufen", erklärt sie und beschreibt damit die Situation für die Menschen in Afghanistan unter den Taliban, die ihrer Meinung nicht als Frieden oder friedlich beschrieben werden könne. "Sie haben die Würde der Frauen zerstört", sagt sie zu Euronews.
Mehrmals kommen ihr die Tränen, als sie an ihre Heimat denkt. Sie wollte Afghanistan nie verlassen, doch ein Leben unter der Herrschaft der Taliban kam für sie nicht infrage.
Gespräche mit den Taliban
Offiziell erkennt Berlin die Taliban nicht an, trotzdem verhandelt die Bundesregierung mit der Terror-Miliz über Abschiebungen.
Mindestens 81 afghanische Männer soll die Bundesregierung in diesem Jahr nach Afghanistan abgeschoben haben. Das bestätigte das Bundesinnenministerium im Juli 2025. Nach Angaben von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) handelt es sich dabei um ausreisepflichtige Personen, die wegen schwerer Straftaten – darunter Totschlag, schwere Körperverletzung, Sexualdelikte und Drogenhandel – verurteilt worden sind.
Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden im Jahr 2024 bundesweit insgesamt 5.837.445 Straftaten erfasst. Unter den Tatverdächtigen waren 913.196 nichtdeutsche Personen, davon besaßen 49.427 die afghanische Staatsangehörigkeit.
Abschiebungen von Straftätern sollen jedoch erst der Anfang sein: Berichten zufolge plant die Bundesregierung, künftig nicht mehr nur Straftäter nach Afghanistan abzuschieben. Eine Delegation des Innenministeriums soll dazu bereits in der afghanischen Hauptstadt Kabul Gespräche geführt haben.
Barakzai stimmt der Abschiebungen krimineller Afghanen zu, fordert jedoch, dass Ortskräfte, die mit der Bundesregierung gearbeitet haben, gerettet werden. Um die innere Sicherheit zu gewährleisten, soll die Regierung ihrer Meinung nach sorgfältige Sicherheits- und Hintergrundchecks durchführen.
Eine Anerkennung der Taliban lehnt sie jedoch strikt ab.
Bislang hat lediglich Russland die Taliban als offizielle Regierung Afghanistans im Juli dieses Jahres anerkannt.
Das russische Außenministerium begründete die Entscheidung mit dem Potenzial für eine "kommerzielle und wirtschaftliche" Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft und Infrastruktur. Zusätzlich werde Moskau Kabul weiterhin "im Kampf gegen die Bedrohungen durch Terrorismus und Drogenhandel" unterstützen.
Im September 2025 bestätigte Vize-Regierungssprecher Steffen Meyer, dass "die bestehenden technischen Kontakte in keinster Weise damit gleichzusetzen sind, die De-facto-Regierung in Afghanistan als politisch rechtmäßige Regierung anzuerkennen. Deutschland unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban, und das wird sich auch nicht ändern, solange grundlegende Menschenrechte dort mit Füßen getreten werden."