Die Bundeswehr startet den neuen Wehrdienst mit verpflichtender Musterung und innovativer Ausbildung – die Rekrutierung bleibt jedoch eine Herausforderung.
Nach wochenlangen Verhandlungen hat die Regierung den neuen Wehrdienst der Bundeswehr beschlossen. Ziel ist es, mehr Verbindlichkeit zu schaffen und die Streitkräfte wieder stärker in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.
Ein zentraler Bestandteil des Modells ist die verpflichtende Musterung aller Männer ab dem Jahrgang 2008. Zusätzlich erfasst ein Fragebogen Motivation und Eignung der potenziellen Rekruten.
Der Wehrdienst bleibt zunächst freiwillig, jedoch wurden klare Zielmarken für den Personalaufbau der Bundeswehr definiert. Sollte die Zahl der Freiwilligen nicht ausreichen, kann der Bundestag eine Bedarfswehrpflicht beschließen.
Freiwilligkeit und attraktive Bedingungen
Verteidigungsminister Boris Pistorius betont, dass die Freiwilligkeit im Vordergrund steht. Gleichzeitig soll der Dienst durch attraktive Ausbildungsangebote, höhere Bezahlung und moderne Technik, wie Drohnen-Ausbildung, aufgewertet werden.
"Wir gestalten einen attraktiven Dienst, die Ausbildung verändert sich, die Bezahlung verändert sich. Das verändert sich gerade grundlegend bis hin zur Ausbildung an Drohnen. Es ist insgesamt ein völlig neues Bild des Wehrdienstes", so der SPD-Minister.
Oberst a.D. und Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Berlin, Ralph Thiele, befürwortet die Musterung im Gespräch mit Euronews. Seiner Meinung nach ist es dennoch "unglaublich", dass das nun fast vier Jahre nach dem Beginn der großangelegten russischen Invasion der Ukraine gedauert hat.
"Es ist nicht egal, wer in die Streitkräfte kommt", ergänzt Thiele und erklärt, dass die Person für den Dienst in der Bundeswehr geeignet ist und idealerweise auch die Bereitschaft mitbringt, Teil der Truppe zu werden. Ob die angepeilte Zahl mit der von Pistorius plädierten Freiwilligkeit erreicht wird, bezweifelt der Oberst a.D. jedoch.
"Der Versuch mit Freiwilligen, die Bundeswehr zu füllen, gelingt seit Jahrzehnten nicht", meint Thiele und begründet dies auch mit der fallenden Geburtenrate in Deutschland. Seit den Geburtenstarken Jahrgängen in den frühen 60er-Jahren ist diese nämlich stark gesunken.
Rekrutierung im Wettbewerb
Nicht nur die Bundeswehr hat Bedarf an jungen Menschen, so Thiele weiter. Auch staatliche Institutionen, darunter die Polizei, Feuerwehr oder Pflegedienste, sowie private Unternehmen brauchen Nachwuchstalente. Der Kampf für die Bundeswehr wird Thiele zufolge dadurch nur härter.
In einem wettbewerbsbasierten System müssen Institutionen mit "Hygienefaktoren" und "Motivatoren" werben, erklärt der Oberst a.D. Unter "Hygienefaktoren" versteht man die Grundlagen, wie das Gehalt, Unterkunft, oder auch der Führerschein, wie von Pistorius als Teil des "attraktiven Wehrdienstmodells" angekündigt. Bei den "Motivatoren" handelt es sich Thiele zufolge um Erfolgserlebnisse vor Ort, Aufstiegschancen im Beruf und Arbeitsgerät. Als "Motivator" des neuen Wehrdienstmodells hat der Verteidigungsminister die Ausbildung an Drohnen angekündigt.
Berichte zufolge treibt die Bundeswehr die Beschaffung verschiedener Drohnentypen voran: von Kleinstdrohnen über kamikaze‑/loitering‑Munition bis hin zur multinationalen "Eurodrohne". Konkrete, vollständig bestätigte Stückzahlen und feste Liefertermine liegen jedoch nicht für alle Typen vor.
Aufgrund der großangelegten russischen Invasion der Ukraine entwickeln sich die Drohnen rasant und werden fortlaufend optimiert. Je länger man bei Drohnen überlegt, desto schneller werden sie zu Zieldarstellungen die nur noch abgeschossen werden, erklärt Thiele.
Er nennt die Drohnenbeschaffung "zögerlich" und kritisiert genau diesen Innovationsmangel. "Der junge Mensch kommt gerne an einen Arbeitsplatz, der attraktiv ist", erklärt er und ergänzt, dass ein Gehalt und akzeptable Unterkünfte demnach nicht ausreichend seien.
"Man denkt im Grunde, das geht mit ein bisschen Mund-zu-Mund-Propaganda, ein paar tolle Werbebroschüren oder Motivationsfilmchen bei YouTube und dann ein bisschen mehr Geld und dann kommen die schon."
Doch genau diese Art der Anheuerung würde seiner Meinung nach dazu führen, dass Menschen in die Bundeswehr kommen, die schnell wieder gehen.
"Ich darf also nicht nur schauen, ob es gelungen ist, dieses Jahr mehr Verpflichtungen zu erreichen. Es interessieren mich die Leute, die bleiben und da haben wir tatsächlich eine negative Bilanz in den letzten Jahren gehabt. Das heißt: es sind überraschend viele nach kurzer Zeit wieder gegangen."
Durch reguläres Ausscheiden sowie durch Abbrüche in den ersten sechs Dienstmonaten muss die Bundeswehr zunächst ein Minus von bis zu 30.000 militärischen Angehörigen jährlich ausgleichen, erklärt eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln.
In Relation zu den über die Jahre sukzessiv angestiegenen Einstellungsumfängen haben sich die Abbrecherzahlen teilweise verringert: von 26 Prozent (4.900) im Jahr 2022 über 27 Prozent (5.000) im Jahr 2023 auf 24 Prozent (4.900) im Jahr 2024.
In einem Statement an Euronews erklärt die Sprecherin, dass vorzeitige Abgänge in den ersten sechs Monaten entstehen meist aus privaten oder beruflichen Gründen, etwa wegen großer Entfernung zum Dienstort, alternativen Jobangeboten oder weil der Dienst nur zur Überbrückung genutzt wurde.
Dem begegnet die Bundeswehr mit gezielten Maßnahmen wie Erwartungsmanagement, regionaler Planung, alternativen Dienstoptionen und neuen Kündigungsfristen. Personalgewinnungs- und -bindungsprogramme sollen helfen, Abgänge auszugleichen.
Ein Schritt von Tausend
Thiele ist überzeugt, dass nach der anfänglichen Welle, in der die Begeisterung etwas überschwappte, einige Menschen freiwillig bereit sein werden. "In einem Jahr wird man feststellen, dass die Freiwilligkeit nichts gebracht hat. Dann fängt die ganze Debatte wieder von vorne an", erklärt er.
So mag die Einigung für die Koalition ein Erfolg gewesen sein, doch ist er für den Oberst a.D. nur einer von Tausend Schritten, die wir schon in den vergangenen Jahren hätten gehen müssen.