Wie viel bleibt Arbeitnehmern von ihrem Gehalt? In sieben Ländern sorgen Inflation, Steuern und Sozialabgaben trotz steigendem Gehalt für einen niedrigeren Nettolohn als im Vorjahr.
Wie viel bleibt den Menschen vom Gehalt übrig? Das untersucht der OECD-Bericht "Taxing Wages 2025" und vergleicht dafür alle 27 Mitgliedsländer der EU.
In sieben Ländern kam es im Jahr 2024 zu einem Rückgang des realen Netto-Einkommens im Vergleich zum Vorjahr. Menschen in Italien, Estland, Tschechien, Frankreich, Griechenland, Belgien und Spanien waren vom Rückgang des Netto-Einkommens am stärksten betroffen.
Deutschland befindet sich im Mittelfeld und verzeichnet sogar einen leichten Zuwachs von 0,5 Prozent beim Gehalt, das dem Arbeitnehmer am Ende übrig bleibt.
Die Daten beziehen sich exemplarisch auf einen alleinstehenden Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Gehalt und ohne Kinder. Neben Abzügen durch Sozialabgaben und Steuern wurde in der vergleichenden Studie auch die Auswirkung von Inflation berücksichtigt. Übrig bleibt, was zum Ausgeben oder Sparen bleibt.
Warum bleibt weniger vom Gehalt übrig?
In Italien stieg der Durchschnittslohn im Jahr 2024 um 3,9 Prozent. Bei einer Inflationsrate von 1,2 Prozent entsprach dies einem Reallohnzuwachs von 2,7 Prozent vor Steuerabzügen. Der persönliche Durchschnittssteuersatz, der sowohl die Einkommenssteuer als auch die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer umfasst, stieg jedoch drastisch um 7,5 Prozent.
Dies führte zu einer erheblichen Diskrepanz zwischen dem Reallohnwachstum und dem Anstieg der Steuern. Ein Großteil des Nutzens aus den höheren Löhnen wurde dadurch aufgezehrt.
Cristina Enache, globale Steuerökonomin bei der Tax Foundation, wies auf die Auswirkungen der gestiegenen Sozialversicherungsbeiträge hin.
Dies verdeutlicht zwar eine wachsende Kluft zwischen Löhnen und Steuern, gibt aber keinen direkten Aufschluss darüber, wie stark sich das reale Einkommen nach Steuern verändert hat.
Auch in Estland und Tschechien stiegen die durchschnittlichen Steuersätze um mehr als 4,5 Prozent, was zu einem niedrigeren realen Einkommen nach Steuern im Jahr 2024 führte, da das reale Lohnwachstum nicht Schritt hielt.
Enache merkte an, dass der Anstieg der Steuerlast in Estland auf die Abschaffung bestimmter Steuerfreibeträge zurückzuführen sei. In der Tschechischen Republik lag der Anstieg in erster Linie an höheren Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.
In Frankreich stiegen die Reallöhne um 0,7 Prozent, aber der durchschnittliche persönliche Steuersatz erhöhte sich um 1,7 Prozent, was im Vergleich zu 2023 zu einem niedrigeren realen Netto-Einkommen führte.
Portugal, das Vereinigte Königreich und die Türkei verzeichnen die höchsten Zuwächse
2024 verzeichneten Portugal, das Vereinigte Königreich und die Türkei die höchsten Zuwächse bei den realen Einkommen nach Abzug der Steuern. In Portugal sank der durchschnittliche persönliche Steuersatz um 8 Prozent, während die Reallöhne um 4,7 Prozent stiegen.
"Portugal hat seine Einkommenssteuersätze für die ersten sechs Steuerklassen gesenkt und damit die Gesamtsteuerbelastung für den Durchschnittsverdiener verringert", erklärte Cristina Enache gegenüber Euronews.
Im Vereinigten Königreich sank der durchschnittliche Steuersatz um 8,7 Prozent, obwohl das reale Lohnwachstum mit 1,6 Prozent eher gering ausfiel.
In der Türkei führte ein erheblicher Anstieg der Reallöhne um 15,5 Prozent trotz eines Anstiegs des durchschnittlichen Steuersatzes um 3,9 Prozent zu einem deutlich höheren Realeinkommen nach Steuern.. Einige Kritiker haben dem nationalen Statistikamt jedoch vorgeworfen, die Inflationszahlen zu manipulieren.
Was bedeutet ein niedrigeres oder höheres "reales Einkommen nach Steuern"?
Cristina Enache erklärt, dass sich das "reale Einkommen nach Steuern" auf das inflationsbereinigte Einkommen bezieht.
Es handelt sich um den Betrag, den ein Arbeitnehmer mit nach Hause nimmt, nachdem Steuern und Sozialbeiträge abgezogen wurden. Auch die Inflation ist hierbei mit einberechnet.
"Ein niedrigeres reales Nach-Steuer-Einkommen bedeutet, dass die Person nach Steuern und Inflation weniger Geld zum Ausgeben hat. Ein Rückgang des realen Einkommens nach Steuern zwischen 2023 und 2024 bedeutet daher, dass ein Arbeitnehmer, der einen Durchschnittslohn verdient, an Kaufkraft verliert", sagte sie.
"Bracket Creep": Wenn das Netto-Gehalt nicht mehr werden kann
Ein "Bracket Creep" liegt vor, wenn Einkommenszuwächse dazu führen, dass Einzelpersonen im Laufe der Zeit höhere durchschnittliche Einkommenssteuersätze zahlen. Dies geschieht in der Regel, wenn die Inflation die Steuerzahler in höhere Steuerklassen drängt oder den Wert von Steuergutschriften, -abzügen und -befreiungen untergräbt. Nach Angaben der Tax Foundation führt das "Bracket Creep" zu höheren Einkommenssteuern, ohne dass das Einkommen wirklich steigt.
Eine Indexierung der Einkommenssteuer (und, je nach Ausgestaltung, der Sozialversicherungsbeiträge) an die Inflation würde das "Bracket Creep" vermeiden und könnte den Rückgang des realen Einkommens nach Steuern für Arbeitnehmer abmildern", so Enache.