Schwedischer Wein: wie die globale Erwärmung auch Nordeuropa zur Weinregion macht

Die Weinkennerin Emma Berto kontrolliert die Trauben auf dem Thora Vingård, Gemeinde Båstad, Schweden, Juli 2023.
Die Weinkennerin Emma Berto kontrolliert die Trauben auf dem Thora Vingård, Gemeinde Båstad, Schweden, Juli 2023. Copyright AP Photo/Pavel Golovkin
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Von Euronews Green mit AP
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Skandinavischer Wein könnte das nächste große Ding werden. Denn in Südeuropa wird das extreme Wetter zunehmend unberechenbar.

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Skandinavien bot bisher nicht gerade das, was Kenner als erstklassige Voraussetzungen für den Weinanbau bezeichnen würden. Doch mit dem Klimawandel, der für wärmere und längere Wachstumsperioden sorgt, gewinnt der schwedische Weinbau an Fahrt.

Dürre, zunehmende Hitze und andere extreme Wetterereignisse zwingen die traditionellen Weinbauregionen, ihre Methoden zu überdenken, und der schwedische Weinbau wandelt sich von einer überwiegend von kleinen Amateuren betriebenen Branche zu einer Industrie mit hoch gesteckten Zielen.

Kullabergs Vingård ist ein Weingut, das Schweden als Weinanbauland neu definieren will. 

Der größte Teil der 14 Hektar großen Anbaufläche wurde vor weniger als einem Jahrzehnt mit Reben bepflanzt. Bis zum Jahr 2022 hat das Weingut eine Jahresproduktion von über 30.000 Flaschen erreicht - hauptsächlich Weißweine, die in Spitzenrestaurants von Europa bis Japan angeboten werden und mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurden.

"Wo der Weinbau in traditionelleren Ländern leidet, gewinnen wir an Schwung", sagt Felix Åhrberg, ein 34-jähriger Önologe und Winzer, der im Jahr 2017 nach Schweden zurückkehrte, um Kullabergs Vingård zu leiten. Zuvor hatte er auf Weingütern in verschiedenen Ländern gearbeitet. 

AP Photo/Pavel Golovkin
Weinprobe auf dem Gut Kullabergs Vingård, Schweden, Juli 2023AP Photo/Pavel Golovkin

Treibhauseffekt verändert die europäische Weinindustrie

Weinreben können Hitze und Trockenheit vertragen, und in Teilen Europas wird daher sogar traditionell ohne Bewässerung angebaut. Doch im vergangenen Jahrzehnt wurden die heißesten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen verzeichnet, und Experten rechnen mit einer weiteren Erwärmung. Das kann sich auf den Wein auswirken. Denn schon geringe Wetterschwankungen können den Zucker-, Säure- und Tanningehalt der Trauben verändern.

Der Klimawandel kann dazu führen, dass Gebiete, die einst ideal für bestimmte Rebsorten waren, immer ungeeigneter werden. Extreme Hitze lässt die Trauben schneller reifen, was entweder zu früheren Ernten führt, die die Qualität beeinträchtigen können, oder zu stärkeren, weniger ausgewogenen Weinen, wenn man sie denn zu lange reifen lässt.

In den vergangenen Jahren wurden Weinreben immer weiter nördlich angepflanzt. So entstanden in Norwegen und Dänemark kommerzielle Weinberge, und andere, auch im amerikanischen Westen, expandierten in einst kühlere Klimazonen. Im Vereinigten Königreich, das eher für sein Bier berühmt ist, rechnet man damit, dass sich die Rebflächen in den nächsten zehn Jahren verdoppeln werden - angeheizt durch die Nachfrage nach britischen Schaumweinen.

"So haben sich die Grenzen verschoben. Trauben wachsen am besten an ihrer kühlsten Grenze", sagt Felix, während er durch die neu gebaute Kellerei von Kullabergs Vingård geht.

Nach Angaben des Schwedischen Instituts für Meteorologie und Hydrologie sind die Temperaturen in Südschweden in den vergangenen 30 Jahren um etwa zwei Grad Celsius gestiegen, verglichen mit den 30 Jahren davor. Und die Vegetationsperiode hat sich um etwa 20 Tage verlängert.

Neue krankheitsresistente Rebsorten beflügeln Schwedens Weinkellereien

Die weit verbreitete Einführung neuer krankheitsresistenter Rebsorten ist ebenfalls für den Aufstieg des schwedischen Weins verantwortlich. Die meisten Weingüter haben eine 1975 in Deutschland entwickelte Rebsorte namens Solaris gepflanzt, die an das kühlere Klima angepasst und resistenter gegen Krankheiten ist. Dadurch können die meisten Weingüter auf den Einsatz von Pestiziden verzichten.

"Solaris ist so etwas wie die nationale Rebsorte hier in Schweden", sagt Emma Berto, eine junge französische Önologin und Winzerin auf Thora Vingård auf der Halbinsel Bjäre, etwa 20 Kilometer nördlich von Kullabergs Vingård.

Sie und ihr Partner Romain Chichery zogen kurz nach Abschluss ihres Weinbaustudiums in Frankreich nach Schweden, weil sie umgehend ein Weingut leiten wollten.

Ihr Ziel: Eine traditionelle Weinherstellung mit Rücksicht auf die Umwelt. So verzichten sie auf Pestizide und setzen auf den Einsatz von extensiven Kulturpflanzen zur Verbesserung der Bodenqualität und zur Förderung von nützlichen Insekten und der Artenvielfalt.

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Winzer Romain Chichery probiert einen Wein, Thora Vingård, Båstad, Schweden, Juli 2023AP Photo/Pavel Golovkin

Schweden ist weniger anfällig für unberechenbares Wetter

Schweden sei weniger anfällig für extreme klimatische Ereignissen, so die beiden Winzer. Daheim in Frankreich führen wärmere Winter dazu, dass die Reben frühe Knospen bilden, die anfällig für Frost sind. Auch heftige Hagelstürme zerstören dort immer wieder die Arbeit eines ganzen Jahres. Romain sagt, sie hätten in Schweden eine größere Freiheit. Experimente eher möglich als in Frankreich und anderen Ländern, die sehr von Traditionen und Vorschriften geprägt seien. 

Die Arbeit unter kühleren und feuchteren Bedingungen hat das Erlernen neuer Methoden erforderlich gemacht. Während in wärmeren Klimazonen die Blätter am Weinstock belassen werden, um der Sonne etwas entgegenzusetzen, werden die Blätter in Schweden eher entfernt, um die Trauben der Wärme auszusetzen und eine Stauung von Feuchtigkeit zu vermeiden. 

Maarten van Aalst, Generaldirektor des Königlichen Niederländischen Meteorologischen Instituts und Professor für Klima- und Katastrophenschutz an der Universität Twente, sieht den Wachstumsoptimismus beim schwedischen Wein als Indikator dafür, wie schnell sich das Weltklima verändert. "Die Unternehmen haben ein gutes Gespür dafür", sagt er, und bezeichnet dies als positiv. Der Klimawandel sei also etwas, an das sich der Mensch teilweise anpassen könne. 

Van Aalst verweist jedoch auf die tagelangen sintflutartigen Regenfälle, die Anfang August über Skandinavien niedergegangen waren, die Dämme überfluteten, Straßen zerstörten, Tausende zur Evakuierung zwangen und Schäden in Höhe von über 137 Millionen Euro verursachten. Der vom Menschen verursachte Klimawandel führe dazu, dass solche extremen und zerstörerischen Wetterereignisse immer häufiger auftreten.

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Sowohl Kullabergs Vingård als auch Thora haben besagten Sturm ohne größere Schäden überstanden und können sich nun dem widmen, was Unternehmen tun - sie versuchen zu wachsen.

Schweden zieht ausgebildete Winzer aus ganz Europa an

Die Anwerbung von ausgebildeten Weinfachleuten ist ebenso eine Hürde wie die Schwierigkeit, Weinfässer und andere Ausrüstungen zu beschaffen, um den Betrieb zu vergrößern.

Die Eigentümer von Thora Vingård, Johan und Heather Öberg, sagen, dass an schwedischen Universitäten nur wenig über Weinbau oder Weinkunde gelehrt wird, was sich hoffentlich bald ändern werde.

Im Moment kommen viele Talente aus dem Ausland - wie Iban Tell Sabate, der aus der Weinbauregion Priorat in Spanien stammt und seit Jahrzehnten in der Branche tätig ist.

Er habe über die schwedische Weinindustrie gelesen, wisse aber auch, dass diese in seinem Heimatland weitgehend unbekannt sei. Die Saison über arbeiter er nun auf dem Kullabergs Vingård zusammen mit Kollegen aus Frankreich und Österreich.

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"Italien, Griechenland, Spanien - all diese Länder werden Probleme bekommen. Es gibt nicht genug Wasser, und die Winter sind zu warm", sagt Iban. Und: "Mit der globalen Erwärmung ist Schweden in einer guten Position, und es ist auch ein guter Wein".

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Ein Traktor auf dem Weingut Kullabergs Vingård, Nyhamnsläge, Schweden, 25. Juli 2023AP Photo/Pavel Golovkin

Staatliche Unterstützung könnte Schwedens Weinindustrie zur Blüte verhelfen

Eine große Herausforderung für Schwedens junge Weinindustrie besteht darin, das Produkt zu den Verbrauchern in aller Welt zu bringen. Im Gegensatz zu Frankreich und anderen traditionellen Weinanbauländern gibt es hier keine staatliche Unterstützung. Die Weinkellerei ist streng reguliert und die Güter können aufgrund des schwedischen Staatsmonopols auf Alkoholverkauf nicht direkt an die Verbraucher verkaufen.

"Die Regierung hat das Potenzial der Weinindustrie noch nicht erkannt", sagt Mikael Mölstad, ein Weinjournalist und -kritiker. "Die Politiker sind nicht interessiert, weil sie Alkohol immer noch als soziales Problem betrachten."

Die Winzer hoffen nun, dass sich das mit der Ausweitung der Rebflächen ändern wird. Obwohl die Weinanbaufläche schnell wächst, sind es nur etwa 150 Hektar, winzig im Vergleich zu fast einer Million Hektar in Spanien und mehr als 800.000 Hektar in Frankreich.

"Die Anzahl der jährlich produzierten Flaschen ist sehr gering", sagt Henrik Edvall, der einen Online-Shop betreibt, der schwedischen Wein ins Ausland exportiert. Seine Verkäufe steigen jährlich um zehn Prozent. Die Verbraucher sind neugierig. 

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Göran Amnegård pflanzte vor über 20 Jahren seine ersten Rebstöcke, ein Experiment, von dem nur wenige glaubten, dass es gelingen würde. Doch seine Blaxsta-Reben brachten dann seltene Eisweine hervor, die bereits mit internationalen Spitzenpreisen ausgezeichnet wurden.

Göran sagt, er fühle sich durch den Erfolg der schwedischen Weine bestätigt und rechnet mit "weitaus mehr Weingütern", wenn sich das Klima weiter ändert.

"Ich sehe hier Dinge wachsen, die vor 30 oder 40 Jahren noch undenkbar waren", sagt Göran, während er auf seinen kleinen Weinberg blickt, der inmitten von Gletscherseen und dichten Wäldern liegt.

"Wir haben Obstbäume wie Pfirsiche und Aprikosen. Ich bekomme im August immer wunderschöne Pfirsiche", so Göran.

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