In Würde sterben

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Von Euronews
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In dieser Woche beantwortet Dr. Bernard Devalois Fragen zur Sterbehilfe. Hier bei I talk mit Alex Taylor.

A. Taylor: “Darf ein Mensch, der an einer unheilbaren Krankheit leidet auf Sterbehilfe zurückgreifen? In manchen Ländern gibt es diese Möglichkeit, in anderen nicht. Das Thema wird heftig diskutiert. Die Frage lautet oft, ob man in Würde sterben darf.
Unser Gast, Dr. Bernard Devalois, leitet die Abteilung für Palliativmedizin in einem Krankenhaus in der Nähe von Paris, und steht uns heute in I talk Rede und Antwort. Ein ernstes Thema, doch ich werde Sie trotzdem darum bitten sich bei Ihren Antworten kurz zu fassen.”

Alexandre: “Ich, als Franzose bin daran interessiert, weil in Frankreich viel über Sterbehilfe diskutiert wird, insbesondere über die Ähnlichkeit zwischen aktiver Sterbehilfe und Selbstmord. Es wird kein Gesetz verabschiedet, sei es auf französischer oder europäischer Ebene, um das Ganze zu harmonisieren und den Leuten zu erlauben, in Würde zu sterben. Es wird immer mehr thematisiert, wann gibt es also endlich ein europäisches Gesetz, das den Menschen einen würdigen Tod ermöglicht?”

A. Taylor: “Eine sehr wichtige Frage. Die Länder einigen sich nicht untereinander. Was ist Europas Einstellung zu der Frage?”

Dr. Devalois: “Das Thema ist sehr schwierig und aus diesem Grund gibt es keine europäische Haltung. In Würde sterben entspricht nicht Mithilfe am Selbstmord oder einer tödlichen Injektion. Das sind unterschiedliche Dinge. Die Betreuung todkranker Menschen ermöglicht einen würdevollen Tod. In Frankreich gibt es diesbezüglich ein Gesetz…”

A. Taylor: “Aber warum gibt es nicht die gleiche Rechtslage in allen Ländern?”

Dr. Devalois: “Erst einmal ist es wichtig die richtigen Begriffe zu verwenden. Erstens Mithilfe am Selbstmord, zweitens eine tödliche Injektion, die von einem Arzt gemacht wird und drittens in Würde sterben mithilfe von Palliativmedizin. Ich fände es jedoch in der Tat wichtig, dass es eine europäische Regelung gibt.”

A. Taylor: “Zeichnet sich eine ab?”

Dr. Devalois: “Ich weiß es nicht. Von den 500 Millionen Einwohnern leben rund 30 Millionen in Ländern, wo die tödliche Injektion legal ist. Rund 470 Millionen leben in Ländern, wo es mehr oder weniger legal ist, die Behandlung einzustellen, aber tödliche Injektionen sind illegal.”

A. Taylor: “Eine zweite Frage für Dr. Devalois.”

Nicolas: “Hallo, ich bin Nicolas Theissen. Ich bin aus Deutschland und 22 Jahre alt. Mich würde interessieren, was ist der Unterschied zwischen Selbstmord und Euthanasie?”

A. Taylor: “Man spricht von Sterbehilfe, wenn es ein anderer macht und von Selbstmord, wenn man keinen Selbstmord begehen kann?”

Dr. Devalois: “Selbstmord ist eine freie Entscheidung, aber es ist kein Recht. Wenn man von Recht auf Selbstmord spricht, dann meint man Mithilfe zum Selbstmord. Das versteht man allgemein unter Sterbehilfe, aber in Belgien bezeichnet man mit Sterbehilfe, das was vom Gesetz her erlaubt ist. Die tödlichen Injektionen, die nicht im rechtlichen Rahmen geschehen, fallen dort nicht unter Sterbehilfe. In Frankreich versteht man unter Sterbehilfe alle tödlichen Injektionen. Es gibt also wirklich ein Problem bei den Begriffen und ihrer Bedeutung.”

A. Taylor: “Gibt es keine europäischen Regelungen? Könnte man nicht für Klarheit sorgen?”

Dr. Devalois: “Man müsste die Begriffe und ihre Bedeutung klären, damit alle sich untereinander verstehen. Zudem müssten alle Patienten im Endstadium, das Recht auf ein Sterben in Würde haben. Aber das heißt nicht, dass sie durch die tödliche Injektion eines Arztes sterben, so wie es mehrere Länder erlauben: Belgien, Luxemburg und natürlich die Niederlande.”

A. Taylor: “Emmanuelle hat uns über Webcam eine Frage gestellt.”

Emmanuelle: “Hallo, ich heiße Emmanuelle und ich lebe in Paris. Ich habe folgende Frage: Ich habe mehrere Debatten zur Sterbehilfe verfolgt und ich habe viele Argumente der Anhänger des Rechts auf einen würdevollen Tod gehört.
Demnach darf im Rahmen des Gesetzes Leonetti die Ernährung eingestellt werden, auf Anfrage des Patienten oder seiner Angehörigen, wenn er nicht darum bitten kann. Aber ich habe auch gehört, dass die Menschen verdursten und verhungern. Ist das wirklich so? Und wenn das der Fall ist, könnte man nicht verhindern, dass sie leiden?”

A. Taylor: “Das Recht auf einen würdevollen Tod. Was sind die erlaubten Behandlungsmethoden?”

Dr. Devalois: “Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass die Menschen nicht verhungern oder verdursten, weil sie keinen Hunger oder Durst haben. Wenn man keine künstliche Ernährung einführt, vespüren die Menschen keinen Hunger.”

A. Taylor: “Wenn jemand beschließt zu sterben oder um Sterbehilfe bittet, gibt es da keine menschlicheren Methoden?”

Dr. Devalois: “Die Einstellung der Lebenserhaltung durch eine künstliche Ernährung ist sehr menschlich.
Die Anhänger der Legalisierung der Sterbehilfe bedienen sich manchmal der Gefühle, die Worte wie verdursten oder verhungern hervorrufen. Aber diese Begriffe treffen nicht zu. Es ist weitaus weniger unmenschlich durch eine Einstellung der künstlichen Ernährung zu sterben, als durch eine Injektion von
Kaliumchlorid, bei der die Herzzellen explodieren.”

A. Taylor: “Eine Frage, die uns zugesendet wurde:
“Warum sollte man sich für den Tod entscheiden, wenn man sehr krank ist, obwohl heute die meisten Krankheiten heilbar sind.
Sterbehilfe zu legalisieren nur weil die Krankheit eines Patienten schwer auszuhalten ist, ist meiner Ansicht nach eine ungerechte und unangemessene Lösung für einen Arzt. Halten Sie die Sterbehilfe für eine Lösung der Medizin des XXI. Jahrhunderts?”

Dr. Devalois: “Ich sage noch einmal, ich verstehe unter Sterbehilfe eine tödliche Injektion, die von einem Arzt durchgeführt wird. Ich halte das eher für eine Lösung, die der Vergangenheit angehört und nicht der Zukunft.
Die Lösung der Zukunft ist, sich um den Patienten im Endstadium zu kümmern und die palliative Betreuung zu verbessern. Aber das kostet Geld, es müssen also politische Entscheidungen getroffen werden. Sterbehilfe, die tödliche Injektion ist eine Technik, und sie zeigt letztendlich unsere mangelnde Solidarität mit todkranken Patienten.”

A. Taylor: “Sie benutzen das Wort Würde. Was verstehen Sie darunter?”

Dr. Devalois: “Für mich ist Würde etwas absolut Unerlässliches. Es ist etwas, was den Menschen ausmacht. In diesem Sinne ist der Begriff auch in der Menschenrechtserklärung enthalten. Es ist etwas, was den Menschen ausmacht.”

A. Taylor: “Und das bedeutet ohne Leiden?”

Dr. Devalois: “Ja, natürlich, deswegen muss man Wege finden, damit die Menschen nicht leiden. Ich kümmere mich täglich um Patienten und sorge dafür, dass sie keine Schmerzen haben und auch nicht psychisch leiden. Wir kümmern uns auch um die Angehörigen. Das ist die Lösung der Zukunft und nicht einfach zu sagen: “Da ich sie nicht heilen kann, werde ich ihnen eine tödliche Injektion verpassen.”

A. Taylor: “Und noch eine Frage für Dr. Devalois hier bei Euronews.”

Carlos: “Ich heiße Carlos und bin aus Portugal. Ich möchte wissen, inwiefern die Religion die Praxis von Sterbehilfe beeinflussen kann.”

A. Taylor: “Was ist die Einstellung der Religion zu der Frage?”

Dr. Devalois: “Es gibt in der Tat Religionen, die aus bestimmten Gründen, eine Pro-Life Haltung haben. Ich respektiere das. Es spielt keine Rolle, ob ich diese Einstellungen und diesen Glauben teile oder nicht.
Mein Anliegen in Bezug auf das Lebensende, also die Palliativ Medizin, das Begleiten des Sterbens, ist nicht etwas, was in Konflikt mit religiösen Fragen gerät.”

A. Taylor: “oder mit ethischen Fragen…”

Dr. Devalois: “Ich werde Ihnen ein Beispiel geben. In Italien, wo der Vatikan einen großen Einfluss hat und starken Widerstand leistet, ging es vor kurzem um die Frage der Einstellung der künstlichen Ernährung. Wie ich bereits erklärt habe, halte ich es für sehr wichtig, dass man die künstliche Ernährung einstellen kann. Das ist eine Haltung mit der die katholische Kirche nicht einverstanden ist.
Manchmal gibt es also Probleme mit Patienten, aber wenn ein gläubiger Patient uns sagt, dass er die künstliche Ernährung nicht einstellen möchte, dann respektieren wir das. Man muss den Glauben der Menschen respektieren.”

A. Taylor: “Eine letzte Frage hier bei I talk.”

Irene: “Hallo ich heiße Irene, ich bin 1965 in Etterbeek geboren. Eine meiner Kusinen ist in Würde gestorben und das war sehr teuer. Ich wollte wissen, ob die Krankenkasse zahlt oder ob die Europäische Union einspringt, denn es ist sehr teuer.”

A. Taylor: “Der Preis.”

Dr. Devalois: “Ich habe nicht verstanden woher sie kommt…”

A. Taylor: “…Etterbeek, das ist in Belgien.”

Dr. Devalois: “In Belgien…nun sie benutzt den Begriff in Würde sterben und es ist nicht klar was genau sie damit meint. Meint sie damit Tod durch eine tödliche Injektion? Soweit ist weiß, ist das nicht besonders teuer in Belgien. Es gibt allerdings eine Mithilfe zum Selbstmord in der Schweiz, die sehr teuer ist und die von dem Verein der Selbstmordhelfer angeboten wird. Ich kenne nicht den genauen Preis einer tödlichen Injektion in Belgien, kann also auf diese Frage nicht antworten.
Was ich allerdings sagen kann, ist, dass die palliative Betreuung nicht von der Familie sondern von der Gesellschaft getragen werden sollte. Man sollte den Menschen, die im Sterben liegen, beistehen. Man sollte keine Kosten scheuen und zusätzliche Krankenschwestern und Pfleger einstellen. Das kostet wahrscheinlich mehr als eine tödliche Injektion, aber ich glaube es lohnt sich.”

A. Taylor: “Dr. Devalois, vielen Dank für ihre präzisen und kurzen Antworten bei einem so schwierigen Thema. Bis zum nächsten I Talk, hier im Europäischen Parlament in Brüssel.”

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