Spaniens mühsamer Weg aus der Krise

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Die spanische Wirtschaft erholt sich, aber nur auf dem Papier. Die konservative Regierung erklärt die Krise für beendet. Aber die Mittelklasse, die unter den Kürzungen leidet, kommt nicht über die Run

Die Rentner versorgen die Familie

Spanien wählt im Dezember. Es heißt, dass die Partei, die in der Region Aragon gewinnt, auch im ganzen Land gewinnt. Die Wirtschaft erholt sich, für 2016 rechnen die Experten mit einem Wachstum von drei Prozent. Die Regierung spricht vom Ende der Krise. Aber die Stimmung auf der Straße ist bedrückt.

Charo Martín ist Rentnerin und lebt im Arbeiterviertel von Saragossa, im Nordosten des Landes. Mit ihrer Rente kommt sie gerade so über die Runden wenn sie sparsam ist. Sie muss auch ab und zu ihren 36-jährigen Sohn unterstützen. Er ist ein arbeitsloser Informatiker. Sie hat Freunde, bei denen die erwachsenen Kinder und manchmal deren Partner wieder zu Hause eingezogen sind, weil sie keine Arbeit finden. Sie erzählt: “Unsere Kinder sind arbeitslos. Ich habe eine Freundin, sie mußte ihre Tochter, deren Ehemann und die drei Kinder bei sich aufnehmen. Fünf Personen insgesamt. Gott sei dank halten die Familien in Spanien, wie auch in den anderen Mittelmeerländern, noch zusammen. Es gibt eine wirkliche Solidarität.”

Was als Übergangslösung gedacht war, ist für viele zum Dauerzustand geworden. Charo’s Generation hat früh Familien gegründet. Heute warten die jungen Spanier immer länger, bevor sie Kinder bekommen. “Wenn sie arbeitslos und von Sozialhilfen abhängig sind, dann geht es nur ums Überleben. Aber die Zeit vergeht, aus Monaten werden Jahre. Sie finden keinen Job und keine Stabilität. Sie können sich kein Leben aufbauen. Es macht sie fertig. Ich finde das System, in dem wir leben, unmenschlich,” so Charo.

Viele fragen sich, wer in Zukunft für die Renten bezahlen wird, denn das System ist bereits überlastet. Für die Älteren fallen bereits Extrakosten an: Arztbesuche, Hörgeräte und Brillen und jetzt müssen sie noch ihren Kindern unter die Arme greifen. Charo ist besorgt:
“Wir bekommen immer weniger Rente. Und wer weiß, was mit unseren Renten in der Zukunft passiert. Es wird viel für private Rentenversicherungen geworben, aber es gibt keine Arbeit. Niemand findet dauerhaft Arbeit. Dann kann man auch kein Geld in eine private Rentenversicherung einzahlen.”

Die Erwachsenen verzweifeln

Pablo López liegt seinen Eltern nicht auf der Tasche. Selbst wenn sie wollten, könnten sie ihm nicht helfen. Der 41-Jährige ist seit einem halben Jahr arbeitslos. Er bekommt nur eine kleine Rente für eine Behinderung. Er geht fast jeden Tag in das Zentrum Zaragoza Activa. Dort wird ihm bei seiner Arbeitssuche geholfen. Er sagt, es gibt nur wenig offene Stellen.

Die Menschen in seiner Altersklasse, die zuvor schnell einen Job finden konnten, haben nun große Schwierigkeiten. “Derzeit gibt es Hilfen, wenn sie jemanden einstellen, der zwischen 20 und 30 Jahre alt ist, oder sogar 35. Aber wenn sie zwischen 35 und 45 Jahre alt sind, gibt es keine Hilfen. Wir haben genügend Arbeitserfahrung, aber das zählt nicht. Es gibt erst wieder Subventionen für die über 45-Jährigen. Unsere Altersklasse, die erfahren ist, bekommt nicht die Hilfe, die sie verdient,” so Pablo.

Pablo hat in mehreren Sektoren gearbeitet. Er würde gerne einen Job finden, um wieder ein normales Leben zu führen. Das Einzige, was er sich derzeit noch gönnt, ist einen Kaffee in seiner Stammkneipe. Er sagt: “Wenn man arbeitslos ist, dann muss man mit seinem Arbeitslosengeld oder was auch immer man bekommt wirtschaften. Man muss täglich sparen. Denn man muss schon für so viel aufkommen: Miete, Strom, Wasser, Lebensmittel, Kleidung usw. Andere Sachen, die du gerne gemacht hast, kannst du nicht mehr machen. Ins Sportstudio gehen, ein Wochenende mit Freunden verbringen oder einfach nur Kaffee trinken. Sogar die Arbeitssuche ist teuer, denn wenn du unterwegs bist, gibst du automatisch etwas aus.”

Die Jungen wandern aus

Es sieht schwarz aus, das finden auch die Studenten in Spanien. Der 20-jährige Nacho Serrano studiert Rechtswissenschaften. Mehr als die Hälfte der unter 24-Jährigen ist arbeitslos. Um Anwalt zu werden, muss er einen Masterabschluss machen. Das würde 2500 Euro kosten, aber selbst mit diesem Master, ist es noch lange nicht sicher, dass er einen Job findet.
Er überlegt sich, danach einen Master in europäischem Recht zu machen, um ins Ausland zu gehen.

Er sagt, dass viele seiner Freunde sich Sorgen machen, andere denken lieber nicht an Morgen und versuchen im Hier und Jetzt zu leben: “Die meisten sind eher pessimistisch. Sie sind nicht sehr zuversichtlich, was ihre Zukunft anbelangt. Sie sagen: “Jetzt geht es, ich habe ein Dach über dem Kopf, von meinen Eltern bekommen ich Taschengeld, ich studiere, ich habe einen Nebenjob und verdiene ein wenig Geld. Sie wollen nicht daran denken, was auf sie zukommt. Ich kann das verstehen, denn es sieht nicht gut aus.”

Wir begleiten ihn zur Universität, wo er sich mit seinen Freunden trifft. Raul Losantos studiert Ingenieurswissenschaften, Alexandra Gomez ist auch Jurastudentin und Javier Royo macht einen Abschluss in Geschichtswissenschaften. Sie erzählen, dass die Generation ihrer Eltern es einfacher hatte. Sie alle überlegen sich, das Land zu verlassen.

#Krise in #Spanien: #Armut oder Auswandern http://t.co/dSGcND5SI8

— FAZ Wirtschaft (@FAZ_Wirtschaft) 27. September 2015

Javier meint: “Die vorherigen Generationen hatten vielmehr Möglichkeiten. Sie hatten quasi die Wahl. Es war nicht immer einfach, aber sie hatten mehr Möglichkeiten. Und ihre Gehälter waren höher. Wenn sie anfingen zu arbeiten, haben sie ein Gehalt bekommen, das ihnen Unabhängigkeit garantierte. Sie konnten von Zuhause ausziehen. Heute ist das unmöglich.”

Raúl will seine Karriere so gut es geht planen: “Wenn ich einfach irgendeinen Job annehme, der aber nicht meiner Ausbildung entspricht, dann schadet mir das. Denn wenn ich mich als Ingenieur bewerbe, dann zählt meine Arbeitserfahrung. Für mich ist es sehr wichtig, in meinem Feld zu arbeiten, wenn ich eines Tages wirklich eine Stelle als Ingenieur finden will. Es ist besser, ins Ausland zu gehen und in deinem Bereich zu arbeiten, weiter zu studieren und Erfahrungen zu sammeln, als hier zu bleiben und nur genug zum Leben zu verdienen.”

Alexandra fügt hinzu: “Ich würde nur ins Ausland gehen, wenn man mir eine feste Anstellung anbieten würde und ich dort bleiben könnte. Ansonsten bleibe ich lieber hier in Spanien, verdiene ein wenig Geld und studiere weiter. Die Ausbildung ist sehr teuer, aber vielleicht kann ich mit Hilfe eines guten Abschlusses eine Festanstellung im Ausland finden.”

Aber auch das Ausland hält nicht immer das was es verspricht. Raúl erzählt: “Während meines Erasmusaufenthalts habe ich einen Belgier getroffen, der auch Ingenieurswissenschaften studierte. Er sagte mir, dass spanische Ingenieure wie Aussätzige behandelt werden, weil sie bereit sind, für die Hälfte oder für ein Viertel des Gehaltes zu arbeiten, das ein belgischer Ingenieur normalerweise bekommt. Im Ausland sind die Zustände besser als hier, aber es ist auch nicht wunderbar.”

Die junge Generation in Spanien ist auf dem besten Wege, in die Fußstapfen ihrer Großeltern zu treten, die in den 1960er und 1970er Jahren massiv ausgewandert sind. Allein in der ersten Hälfte von 2015 haben mehr als 50.000 Menschen das Land verlassen.

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