Nowhorodske in der Ukraine will künftig New York heißen

Novhorodske in der Ukraine (links) will seinen Namen in New York (rechts) ändern.
Novhorodske in der Ukraine (links) will seinen Namen in New York (rechts) ändern. Copyright AP Photo
Von Stefan Weichert und Emil Filtenborg
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Eine kleine Stadt Nowhorodske im kriegerschütterten Osten der Ukraine hofft, ihren Namen in New York ändern zu können. Was steckt dahinter`?

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Eine kleine Stadt im vom Krieg erschütterten Osten der Ukraine hofft, ihren Namen in New York ändern zu können. Doch was hat Nowhorodske, so heißt die Stadt jetzt noch, mit New York City gemeinsam?

Absolut nichts: Es gibt dort weder Wolkenkratzer noch gelbe Taxis oder weltberühmte Museen. Aber das hat die Einwohner von Nowhorodske nördlich von Donezk nicht davon abgehalten, die Namensänderung einzuleiten.

Ein parlamentarisches Komitee hat die Änderung des Namens bereits genehmigt, jetzt muss sie noch vor alle Abgeordneten in Kiew gehen.

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Nowhorodske liegt in der Nähe von DonezkEuronews

Was ist die Geschichte der Stadt Novhorodske?

Die Stadt wurde von deutschen Siedlern gegründet und erstmals 1846 unter dem Namen New York auf der Landkarte verzeichnet. Die einstige Siedlung mit nur ein paar Menschen entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Zentrum für deutsche Siedler.

Ihre Bewohner:innen sollen sehr religiös gewesen und ein von anderen abgeschiedenes Leben geführt haben. Sie hatten ihre eigenen Schulen und Geschäfte. Mit Lebensmittelhandel und der Herstellung landwirtschaftliche Maschinen kamen sie zu Reichtum.

Die Deutschen begannen die Ukraine erst nach der russischen Revolution zu verlassen und wurden dann während des Zweiten Weltkriegs von den Sowjets vertrieben.

In der Nachkriegszeit und mit dem Beginn des Kalten Krieges wurde der Name der Stadt geändert. Aus New York wurde 1951 Novhorodske.

"Wir wissen nicht, warum der Name geändert wurde, aber wir denken, dass es wegen der politischen Situation während des Kalten Krieges war", sagte Nadiya Gordiuk, eine Lehrerin für Kinder mit besonderem Förderbedarf. "Es konnte nicht mehr New York heißen."

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Nadiya Gordiuk ist Lehrerin und Fremdenführerin in der Stadt. Sie ist stolz auf die Arbeit der Stadt, um die Zukunft zu verändern.Emil Filtenborg

Nowhorodske entwickelte sich zu einer blühenden Industriestadt und wuchs bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre weiter.

Drei Jahrzehnte später befindet sich die Stadt mit 10.000 Einwohner:innen in einem desolaten Zustand. Die Industrie ist kaputt und die Stadt liegt nahe der Frontlinie eines Krieges, der rund 13.000 Menschen das Leben gekostet hat.

"Wir haben hier schon viel bessere Zeiten gesehen", sagt Gordiuk. "Viele sind seit dem Krieg weggezogen, und wir haben hier nur noch eine Fabrik, die in Betrieb ist, aber wir hoffen, dass wir an dieser Situation [durch die Umbenennung der Stadt] etwas ändern können."

"Früher hatten wir viele Fabriken und haben sogar einige Autos, Fliesen und Papier produziert", fügt sie hinzu. "Vieles hat sich verändert."

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Nowhorodske war einst eine blühende Industriestadt. Jetzt gibt es dort nur noch eine einzige Fabrik.Emil Filtenborg

Der Niedergang von Nowhorodske ist ein Schicksal, das viele andere Städte in der Donbass-Region teilen. Durch den Konflikt haben sie den Zugang sowohl zum russischen Markt als auch zu den wichtigsten Städten der Region wie Donezk und Horlivka verloren, die derzeit von den von Russland unterstützten Separatisten besetzt sind. Horliwka ist nur fünf Kilometer entfernt.

Warum wollen die Menschen, dass ihre Stadt New York heißt?

Sie hoffen, dass der neue Name ihnen einen Neuanfang ermöglicht und hilft, Touristen anzuziehen.

Zur Zeit der deutschen Siedler hieß die Hauptstraße "Gartenstraße". Hier sind auch heute noch die Spuren der Geschichte sichtbar, wie zum Beispiel mehrere alte Backsteinhäuser. Auch eine alte, vom Krieg beschädigte Papierfabrik und mehreren alte Schulgebäude stammen aus der Zeit der deutschen Siedler. Das sind die Attraktionen, von denen sich die Einheimischen erhoffen, dass sie Besucher anlocken.

In der Nähe wird gerade ein neues Kulturzentrum fertiggestellt. In einem kleinen Museum sollen Fotos der deutschen Siedler und alten Landkarten zeigen, wie die Stadt im Laufe der Jahre von nur einer Handvoll Siedler zu einer bedeutenden Stadt heranwuchs.

Emil Filtenborg
Die Stadt von ihrem Friedhof auf dem Hügel ausEmil Filtenborg

Tatiana Krasko, Sekretärin des örtlichen Stadtrats, zeigt die alten Fotos und die neuen Pläne für das Kulturzentrum. Auf die Frage, warum es wichtig ist, den Namen der Stadt zu ändern, sagt Krasko, es gehe um die Touristen.

"Es wird ein Neuanfang für uns sein", sagt Krasko, "Wir hoffen, dass es uns Investitionen bringt und dass Touristen hierher kommen und unsere Geschichte erleben können."

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Für andere geht es darum, die Stadt zu ihren Ursprüngen zurückzuführen. Kristina Shevchenko ist die Leiterin der Jugendgruppe der Stadt, der Initiative "Youth of the Ukrainian New York". In Anlehnung an die Geschichte hat sie geholfen, den Friedhof der deutschen Siedler zu restaurieren, der auf einer Anhöhe über Nowhorodske liegt.

"Wir hoffen, dass der neue Name die Aufmerksamkeit auf unsere Stadt lenkt, und wir haben viele Pläne, sie für eine bessere Zukunft zu restaurieren", sagte sie und fügte hinzu, dass es bei der Namensänderung darum geht, die historischen Wurzeln der Stadt hervorzuheben, anstatt eine Nachbildung von New York City zu sein.

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Kristina ShevchenkoEmil Filtenborg

Den russischen Einfluss loswerden

Schewtschenko sagt, dass sie den Namen Nowhorodske nicht mag, weil er für den russischen und sowjetischen Einfluss auf die Stadt steht.

Der Konflikt führt dazu, dass Russland in den Köpfen der Menschen sehr präsent ist. Die Frontlinie ist nur wenige Kilometer entfernt, gelegentlich kommt es am Stadtrand zu Beschuss.

"Es ist wichtig, dass wir den russischen Einfluss hier loswerden", sagt Schewtschenko, die sich im ukrainischen Parlament in der Hauptstadt Kiew für die Namensänderung eingesetzt hat.

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Denn unsere Geschichte ist keine russische Geschichte, sondern unsere Geschichte. Eine europäische Geschichte.
Kristina Shevchenko, Leiterin der Jugendgruppe in Nowhorodske

"Wenn wir den Namen ändern, können wir der ganzen Welt zeigen, dass unsere Stadt keine Basis in Russland hat. Denn unsere Geschichte ist keine russische Geschichte, sondern unsere Geschichte. Eine europäische Geschichte."

"Wir denken, dass dieser neue Name uns neue Investitionen, Arbeitsplätze und mehr Touristen bringen kann", sagte sie und äußerte die Hoffnung, dass die Namensänderung bald genehmigt wird. "Viele Menschen sind seit dem Krieg weggezogen, und das wollen wir ändern."

Aufgrund der Covid-19-Beschränkungen hat die Stadt viele Pläne verschoben, unter anderem ein New-York-Festival als große Feier für die neue Zukunft der Stadt zu veranstalten.

Damit Nicht-Ukrainer daran teilnehmen können, bräuchten sie allerdings eine Genehmigung der ukrainischen Armee. Nowhorodske gilt immer noch als Kriegsgebiet.

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