Der Gipfel von Versailles - Europa ringt um seine Russland-Politik

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Von Stefan Grobe
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Krieg und Kriegsverbrechen: Warum ist es so kompliziert, Putin persönlich zur Verantwortung zu ziehen? Fragen an Marti Flacks vom CSIS in Washington.

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Die alliierten SIeger des Ersten Weltkriegs einigten sich 1919 in Versailles auf einen Friedensvertrag für Europa, der am Ende nur den Grundstein für noch mehr Blutvergießen 20 Jahre später legte.

In dieser Woche fand an gleicher Stelle ein EU-Gipfel statt, während der Krieg vor der östlichen Haustür in seine dritte Woche ging. Schwerpunkt in Versailles: Wie kann Russland ohne Schaden für die europäische Wirtschaft weiter bestraft werden?

Tage zuvor hatte die EU-Kommission Pläne vorgelegt, die russischen Energieimporte bis zum Jahresende um zwei Drittel zu kürzen. Einige wollten mehr, doch hat die eigene wirtschaftliche Opferbereitschaft in den Mitgliedsstaaten Grenzen.

“Ich bin gegen ein Ende russischer Öl- und Gasimporte. Das ist unmöglich, denn wir brauchen diese Versorgung. Das ist die unbequeme Wahrheit", sagte der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte.

Eine andere unbequeme Wahrheit ist, dass eine Bewaffnung der Ukraine leichter gesagt als getan ist. Kiew hat wiederholt die Lieferung von Kampfflugzeugen gefordert. Doch die USA wiesen ein Angebot Warschaus zurück, polnische MiG-29-Jets in die Ukraine zu schicken. Dieser Vorschlag würde "ernste Probleme" für die gesamte NATO mit sich bringen.

Andere westliche Regierungen machten ebenfalls klar, dass sei kein Interesse haben, die ukrainische Luftwaffe zu verstärken.

Die Ukrainer argumentieren indes mit dem, was sie als russische Grausamkeiten betrachten, etwa den Angriff auf ein Kinderkrankenhaus in Mariupol. Die örtlichen Behörden dort sprachen von einem "nicht zu rechtfertigenden Kriegsverbrechen".

Doch was genau ein Kriegsverbrechen ist, ist präzise definiert - und hart zu beweisen. Und ob Wladimir Putin persönlich jemals vor Gericht gestellt werden kann, ist angesichts der Umstände äußerst unwahrscheinlich.

Dazu ein Interview mit Marti Flacks, Direktorin der Menschenrechtsinitiative des Zentrums für Strategische und Internationale Studien in Washington.

Euronews: Der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen wegen möglicher russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine eingeleitet. Doch eine Anklage Putins scheint kaum möglich. Wie läuft das Verfahren ab, warum ist es so kompliziert, Putin vor Gericht zu bringen?

Flacks: Das internationale Recht ist eindeutig, dass Staatsoberhäupter keine Strafimmunität vor internationalen Gerichten genießen. Doch gegen einen Staatschef Anklage zu erheben und zugleich seine Kooperation in einem Strafprozesse zu sichern, sind zwei sehr verschiedene Dinge. Der Standard für eine Verurteilung vor einem internationalen Strafgericht ist äußerst hoch. In einem Prozess wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird von der Aklageseite erwartet, persönliche Verantwortung nachweisen oder beweisen zu können, dass der Angeklagte eine Politik formuliert und betrieben hat, die für diese Verbrechen verantwortlich ist. Dies kann aber sehr schwierig sein, wenn man nicht mit der Kooperation des Staates rechnen kann, dessen Oberhaupt der Angeklagte war. Im Falle Russlands ist diese Kooperation mehr als unwahrscheinlich.

Euronews: Wie lange dauern Ermittlungen des Strafgerichtshofs?

Flacks: Sie können sehr lange dauern. Die Ermittlungen, die der Strafgerichtshof 2014 nach der russischen Invasion der Krimhalbinsel einleitete, dauern heute noch an. Und selbst einige Anklagen, die in den ersten 2000er Jahren erhoben wurden, sind noch immer nicht abgeschlossen. Natürlich verlangt jede Strafverfolgung eine dichte Beweisführung, Zeugenaussagen sowie Dokumentation und Kontext des Sachverhalts. Dies während eines anhaltenden Krieges zu ermitteln, macht die Sache aber sehr schwierig.

Euronews: Wie würde sich die Anklage auf den Krieg und Putins persönlichen Spielraum auswirken?

Flacks: Ich denke, es ist unwahrscheinlich, dass wir kurzfristige Auswirkungen einer Anklage auf den Krieg erleben. Eine Anklage könnte aber erheblichen Druck auf Mitglieder der russischen Armeeführung oder auf Putins politische Position ausüben, denn ein Haftbefehl oder eine Anklage würden etwa Reisen stark beeinträchtigen. Denn alle 123 Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs wären verpflichtet, Putin zu verhaften und an das Gericht auszuliefern.

Euronews: Gibt es andere Möglichkeiten, Putin zur Verantwortung zu ziehen?

Flacks: Ich denke, kurzfristig sollten wir darüber nachdenken, wie wir jemanden auf anderen Feldern zur Verantwortung ziehen können, welche anderen Konsequenzen die Invasion haben könnte. Dazu gehören finanzielle Konsequenzen, Reputationsschäden, die Beschlagnahme von Eigentum, das Einfrieren von Geldern, dann die Art von internationalem Paria-Status, den wir Putin und seiner Führungsspitze auferlegt haben. Das sind Dinge, die auch danach weitergehen und zeigen müssen, dass dieses Verhalten inakzeptabel war.

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