Kann die Ukraine Russland mit westlichen Waffen schlagen?

Ein ukrainischer Panyer in der Donetzk-Region, 9. Juni 2022
Ein ukrainischer Panyer in der Donetzk-Region, 9. Juni 2022 Copyright Bernat Armangue/Copyright 2022 The Associated Press. All rights reserved
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Von Stefan Grobe
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Im Ukraine-Krieg konzentrierte sich diese Woche die Aufmerksamkeit auf das politische Handgemenge um die bedrohten Lebensmittellieferungen. Im schwer umkämpften Donbass behält Russland die Oberhand - noch.

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Im Ukraine-Krieg konzentrierte sich diese Woche die Aufmerksamkeit auf das politische Handgemenge um die bedrohten Lebensmittellieferungen.

Die Ukraine ist ein wichtiger Produzent von Weizen, Mais und Sonnenblumenöl, und die Befürchtung wächst, dass russische Bombardierungen von Anbaugebieten und Blockaden von Häfen eine ernsthafte Lebensmittelkrise in einigen Drittländern auslösen könnten.

Russland, selbst ein bedeutender Getreidelieferant, machte die westlichen Sanktionen für die Probleme verantwortlich. Etwas, dass EU-Ratspräsident Charles Michel vor der UNO so entschieden zurückwies, dass Moskaus Botschafter den Saal verließ:

"Russland ist allein für diese Lebensmittelkrise verantwortlich, ganz allein, trotz der Propaganda-Kampagne des Kremls, seiner Lügen und Desinformation. Millionen Tonnen von Getreide in Containerschiffen werden durch russische Kriegsschiffe an der Auslieferung gehindert, Russland greift zudem die Transportwege an. Und russische Panzer, Bomben und Landminen hindern die Ukraine an der Bestellung ihrer Felder. (…) Verlassen Sie ruhig den Raum, Herr Botschafter, es ist Ihnen leichter, die Wahrheit nicht zu hören."

Auf einer Pressekonferenz in der Türkei, wo er über Pläne über einen Getreideexportkorridor diskutierte, geriet der russische Außenminister leicht außer Fassung, als ihn ein ukrainischer Journalist mit Getreidediebstahl konfrontierte. Hier ist Sergej Lawrows wütende und unsinnige Antwort:

Frage: “Welche von der Ukraine gestohlene Güter hat Russland neben Getreide bis heute verkaufen können?”

Lawrow: "Oh, bloß weil Sie immer dabei sind, etwas zu stehlen glauben Sie, dass alle andere genauso handeln? Wir sind sehr damit beschäftigt, unsere öffentlich verkündeten Ziele zu erreichen, nämlich die Ost-Ukraine vom Joch des Neonazi-Regimes zu befreien."

Unterdessen hält der Stellungskrieg mit schweren Gefechten im Osten der Ukraine an. Das Schicksal der Donbass-Region dürfte sich in der Stadt Sieverodonietzk entscheiden, so Präsident Selenskyj, wo die Ukraine ihre stärksten Verteidigungsstellungen konzentriert hat.

Dazu ein Interview mit Neil Melvin, Direktor der Abteilung für Internationale Sicherheitsstudien am Royal United Services Institute in London.

Euronews: Seit geraumer Zeit schon versucht Russland, den Donbass unter seine Kontrolle zu bringen, doch kommt der militärische Erfolg nur langsam voran. Warum hat Russland so viele Schwierigkeiten?

Melvin: Ich denke, wir sehen, wie sich der Konflikt in der Ukraine verändert. Wir sind nun in der zweiten Phase. In der ersten Phase hatte Russland enorme Probleme und verlor die Schlacht um Kiew, worauf es sich auf den Donbass konzentrierte, wo es seine Stärken ausspielen konnte. Diese Stärken sind Artillerie und Luftangriffe, aber das bedeutet nur langsames Vorrücken, oft nur einen Kilometer pro Tag. Dabei werden viele Städte und Dörfer zuerst zerstört, bevor die Infanterie einrückt.

Euronews: Gibt es etwas, was Sie als Grundfehler der russischen Strategie betrachten würden?

Melvin: Zunächst einmal hat Russland die Stärke des ukrainischen Widerstandes deutlich unterschätzt. Darauf war die russische Armee nicht vorbereitet. Nun wird versucht, sich dem anzupassen, aber es gibt dabei große Schwierigkeiten. Russland hat einfach nicht die Personalstärke, die es braucht, nicht genug Truppen, um einen Durchbruch zu erzielen. Dann hat der Krieg enthüllt, dass die Modernisierung der russischen Armee nicht ansatzweise so erfolgreich war, wie der Kreml geglaubt hat. Die russischen Fähigkeiten blieben in vielen Bereichen hinter den Erwartungen zurück.

Euronews: Der Westen hat das ukrainische Arsenal mit immer moderneren Waffensystemen aufgerüstet, welche Folgen wird das für das miliärische Kräfteverhätnis haben?

Melvin: Die Ukraine ist derzeit vor allem in zwei Bereichen schwach, in denen sie sich nicht mit Russlands Fähigkeiten messen kann, nämlich Artillerie und Luftwaffe. Russland greift die Ukrainer im Donbass aus 30 oder 40 Kilometer langer Entfernung an. Und darauf können die Ukrainer nicht wirklich reagieren, weswegen wir relativ hohe Opferzahlen unter den ukrainischen Soldaten haben, etwa 100 Tote und 500 Verletzte pro Tag.

Die westliche Unterstützung soll diese Situation ändern, indem die Ukraine mit Raketensystemen ausgerüstet wird, die russische Artillerieziele in 50 bis 80 Kilometer Entfernung treffen können.

Euronews: Kann also die ukrainische Armee mit Hilfe dieser westlichen Waffen die Russen im Donbass zurückschlagen?

Melvin: Das ist die große Frage, nämlich kann die Ukraine tatsächlich eine großangelegte Gegenoffensive starten, durch die die Russen ihre Gebietsgewinne wieder verlieren? Ich denke, ja. Ich bin aber skeptisch, dass die Ukraine Russland komplett aus ihrem Land wird vertreiben können, einschließlich der Krim-Halbinsel. Aber ein erzwungener Rückzug könnte in Russland eine Erosion des politischen Willens einleiten, den Krieg zu verlängern. Dadurch könnte ein diplomatischer Prozess gestartet werden, durch den eine Friedenslösung möglich wird.

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