Die Stärkung der Handelsbeziehungen mit der Ukraine und den Mercosur-Ländern könnte sich für Europa im Falle eines Handelskriegs mit den Vereinigten Staaten als vorteilhaft erweisen, erklärte EU-Landwirtschaftskommissar Christophe Hansen gegenüber Euronews.
Ein Handelsabkommen mit dem lateinamerikanischen Block - bestehend aus Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay - und die fortschreitende Integration der Ukraine in den gemeinsamen Agrarmarkt, insbesondere im Hinblick auf ihren potenziellen EU-Beitritt, bieten Chancen, die die EU angesichts der weltweiten Handelsspannungen nicht außer Acht lassen kann, so EU-Agrarkommissar Christophe Hansen gegenüber Euronews' Europe Conversation.
Die europäischen Landwirte befürchten, dass das ehrgeizige EU-Handelsabkommen besonders anfällige landwirtschaftliche Sektoren beeinträchtigen könnte, aber der luxemburgische Kommissar sagte, dass diese strategischen Schritte die Abhängigkeit Europas von US-Importen verringern könnten, insbesondere bei eiweißreichen Nutzpflanzen, die der EU-Block weiterhin in großen Mengen einführt.
„Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, um unsere Landwirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen“, so Hansen, der darauf hinwies, dass Handelsabkommen dabei eine Schlüsselrolle spielen könnten.
Insbesondere die Integration der Ukraine bietet geopolitische Vorteile, da die damit verbundene Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion die Position Europas als Global Player in diesem Sektor stärken könnte.
„Es ist eine Mischung aus Herausforderungen und Chancen. Es ist wie bei einer Ehe- es gibt immer Herausforderungen und man muss Zugeständnisse machen, aber man bekommt auch Vorteile“ so Hansen.
Die Ukraine und die GAP-Reform
Der EU-Beitritt der Ukraine rückt näher, aber er erfordert eine Reform des Agrarsubventionsprogramms der Union.
„Es gibt in der Ukraine landwirtschaftliche Betriebe mit einer Fläche von 600.000 Hektar. Das entspricht der doppelten Produktion von Luxemburg. Dies muss also sehr ernst genommen werden“, sagte Hansen.
Im Rahmen der derzeitigen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden Direktzahlungen pro Hektar gewährt. Angesichts der Tatsache, dass die ukrainischen Betriebe im Durchschnitt 485 Hektar groß sind - im Vergleich zu 30 Hektar in Frankreich und nur acht Hektar in Polen - könnte dieses System die GAP erheblich stören.
„In meinem Missionsschreiben heißt es ganz klar, dass ich die [nächste] Gemeinsame Agrarpolitik auf die künftige Erweiterung vorbereiten muss, und zwar nicht unbedingt nur für die Ukraine, sondern auch für andere neue Mitgliedstaaten, die aufgenommen werden sollen“, fügte er hinzu.
Der erste Schritt besteht in der Aushandlung eines neuen Handelsrahmens mit der Ukraine, der auch als „erste Phase der Angleichung der Produktionsstandards“ dienen wird.
Die derzeitige Handelsregelung, die so genannten Autonomen Handelsmaßnahmen (ATM), sieht die vorübergehende Aussetzung aller Zölle und Kontingente für ukrainische Agrarexporte nach der russischen Invasion im Jahr 2022 vor.
Diese Rahmenvereinbarung läuft im Juni dieses Jahres aus und kann nach einer bereits erfolgten Verlängerung nicht erneut verlängert werden, sondern muss durch ein echtes Freihandelsabkommen ersetzt werden. Die derzeitige Regelung stößt auf Widerstand, vor allem in Frankreich und Polen, wo der Anstieg der ukrainischen Einfuhren infolge der Aufhebung der Kontingente und Zölle Besorgnis hervorruft.
„Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diesen ersten Schritt der Annäherung vor der Erweiterung schaffen können“, sagte Hansen.
Mercosur-Abkommen als strategische Alternative
Ebenso spricht ein möglicher Handelskrieg mit den USA für den Abschluss des seit langem verhandelten EU-Mercosur-Abkommens.
Hansen erläuterte, dass einige europäische Agrarerzeugnisse - wie Wein, Spirituosen und Milchprodukte - von besonderer strategischer Bedeutung sind, da sie die wichtigsten „Exportschlager“ der EU sind und als solche geschützt werden müssen.
„Wenn die Vereinigten Staaten solche Produkte ins Visier nehmen würden, hätten wir [dank eines EU-Mercosur-Abkommens] alternative Möglichkeiten, unsere Produkte zu verkaufen, die [unseren Landwirten] Stabilität garantieren“, sagte er.
Dennoch birgt das Mercosur-Abkommen Risiken, insbesondere für besonders anfällige Sektoren wie Geflügel, Zucker und Rindfleisch. Hansen räumte diese Bedenken ein, wies aber auf vorgesehene Schutzklauseln hin, die die europäischen Landwirte absichern sollen.
„Zum ersten Mal in einem solchen Abkommen haben wir Schutzklauseln innerhalb der Zollkontingente“, sagte er und bezog sich dabei auf ein Instrument zur Regulierung von Einfuhren, bei dem eine bestimmte Menge von Waren zu einem niedrigeren Zollsatz eingeführt werden kann, während Einfuhren, die dieses Kontingent überschreiten, mit höheren Zöllen belegt werden.
Die Botschaft des EU-Agrarchefs ist jedoch klar: Durch die Nutzung von Handelsabkommen mit der Ukraine und dem Mercosur erwartet die EU-Exekutive, sowohl wirtschaftliche Unsicherheiten als auch geopolitische Herausforderungen zu bewältigen und gleichzeitig einen wettbewerbsfähigen Agrarsektor zu erhalten.