Im Mittelpunkt des eintägigen Gipfels werden sowohl der Nahe Osten und Russlands Krieg gegen die Ukraine stehen, aber auch Wettbewerbsfähigkeit und Klimaziele.
Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union sind in Brüssel zu einem voraussichtlich eintägigen Gipfel eingetroffen. Bei dem Gipfel wird es um den Konflikt zwischen Israel und dem Iran, die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen, den Einmarsch Russlands in der Ukraine und den angeschlagenen Zustand des transatlantischen Bündnisses in der neuen Ära von Donald Trump gehen.
Zölle, Migration, Wettbewerbsfähigkeit und das 2040-Ziel im Rahmen des Green Deal werden bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen am Donnerstag ebenfalls zur Sprache kommen.
Der Gipfel findet zwei Tage nach Trumps Ankündigung eines vorläufigen Waffenstillstands zwischen Israel und dem Iran statt. Diese Ankündigung wurde von den Europäern sehr begrüßt, die ein gefährliches Übergreifen mit unvorhersehbaren Folgen befürchteten.
Die Einstellung der Feindseligkeiten wird es ermöglichen, sich stärker auf ein anderes Thema im Nahen Osten zu konzentrieren, das den Block weiterhin spaltet: Israels Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen.
Vergangene Woche legte der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) seine mit Spannung erwartete Überprüfung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel vor. In dem Bericht heißt es, dass es "Anzeichen" dafür gibt, dass das Land gegen seine Menschenrechtsverpflichtungen gemäß Artikel 2 verstoßen hat.
Aufbauend auf der Arbeit internationaler Organisationen enthält der siebenseitige Bericht eine umfangreiche Liste von Verstößen, darunter die Blockade humanitärer Hilfe, militärische Angriffe auf Krankenhäuser, die Zwangsvertreibung der palästinensischen Bevölkerung, Massenverhaftungen, willkürliche Inhaftierungen und Gewalttaten israelischer Siedler.
Die Mitgliedstaaten sind sich jedoch uneins über das weitere Vorgehen: Einige Länder plädieren für eine konkrete Reaktion, während andere es vorziehen würden, keine Maßnahmen zu ergreifen.
Die jüngste Version der Schlussfolgerungen, die Euronews vorliegt, spiegelt das interne Dilemma wider: Der Text nimmt die Überprüfung lediglich "zur Kenntnis" und "lädt" die Außenminister zu einer "Follow-up"-Diskussion Mitte Juli ein.
"Es hat eine Überprüfung stattgefunden, die nicht zu leugnen ist", sagte ein hochrangiger Diplomat unter der Bedingung der Anonymität. "Es wird in der EU niemals einen Konsens geben, das Abkommen auszusetzen. Aber man muss bestimmte Dinge tun, weil es ein Problem gibt. Es gibt 55.000 tote Menschen."
Ein Diplomat aus einem anderen Land forderte Brüssel auf, in einen Dialog mit Israel einzutreten, um Wege zur Verbesserung der humanitären Lage in Gaza zu finden. Er warnte aber, dass Mitte Juli "Maßnahmen" ergriffen werden könnten, wenn es keine greifbaren Fortschritte vor Ort gebe.
Orbán und Fico arbeiten zusammen
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine wird ebenfalls einen großen Teil der politischen Debatte am Donnerstag einnehmen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird sich per Videokonferenz an die Staats- und Regierungschefs wenden, um über die jüngsten Entwicklungen an der Front, die finanzielle Lage seines Landes und die Dringlichkeit einer verstärkten militärischen Unterstützung zu sprechen.
Ein weiteres wichtiges Thema, das Selenskyj in seiner Rede wahrscheinlich ansprechen wird, ist die EU-Kandidatur der Ukraine. Diese liegt aufgrund des unanfechtbaren Vetos Ungarns praktisch auf Eis.
Die Pattsituation wird sich noch verschärfen, wenn Ministerpräsident Viktor Orbán die Ergebnisse einer umstrittenen nationalen Konsultation vorlegt, die seine Regierung eingeleitet hat, um die Meinung der ungarischen Bürger über den Beitritt der Ukraine zu erfahren.
Der Konsultation ging eine vom Ministerpräsidenten selbst geführte Hetzkampagne voraus, die mit Anschuldigungen gegen "Bürokraten" aus Brüssel gespickt war.
Gleichzeitig wird Orbán zusammen mit dem slowakischen Ministerpräsident Robert Fico, seinem immer engeren Verbündeten, gegen den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Fahrplan für den vollständigen Ausstieg aus der Einfuhr russischer fossiler Brennstoffe bis Ende 2027 argumentieren.
Beide Binnenländer sind nach wie vor auf russische Energie angewiesen und warnen davor, dass der Ausstieg ihre Energiesicherheit gefährden und die Verbraucherpreise in die Höhe treiben könnte.
Die Slowakei hat nicht näher bezeichnete "Garantien" zur Bewältigung möglicher "negativer Auswirkungen" gefordert. Das ist eine Formulierung, die von einigen in Brüssel als Forderung nach Geld oder Ausnahmen - oder beidem - interpretiert wird.
Erschwerend kommt hinzu, dass Orbán und Fico den Ausstieg an die Verabschiedung des nächsten Sanktionspakets gegen Russland geknüpft haben, das nach tagelangen, intensiven Verhandlungen bereits in den Startlöchern steht.
Sollten die beiden Ministerpräsidenten am Ende des Donnerstags zufrieden sein, könnten die Botschafter die Beschränkungen bereits am Freitag formell genehmigen.
"Wir wollen, dass dieses (Paket) eine direkte und entscheidende Wirkung hat. Nicht nur darauf, wie wir Druck auf Russlands Einnahmen und den Zugang zu Produkten ausüben können, sondern auf unser unmittelbares Ziel, nämlich einen Waffenstillstand", sagte ein dritter Diplomat.
Ein wichtiges Element der Sanktionen wird jedoch mit ziemlicher Sicherheit wegfallen: die Revision der Preisobergrenze für russisches Öl von 60 auf 45 Dollar pro Barrel.
Nachdem sich die USA auf dem G7-Gipfel geweigert hatten, die Initiative zu unterstützen, und die Krise im Nahen Osten für Turbulenzen auf den Ölmärkten gesorgt hatte, bekamen einige Mitgliedstaaten kalte Füße angesichts der Aussicht auf einen Alleingang. Infolgedessen gilt die Obergrenze von 45 Dollar als praktisch tot.