EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas hat zehn Handlungsoptionen vorbereitet - darunter die Aussetzung der Visumfreiheit und die Blockierung von Importen aus den jüdischen Siedlungen - um Israel zu einem Umdenken im Gazakrieg zu zwingen. Doch die EU-Mitgliedsstaaten zögern bislang.
EU-Spitzendiplomatin Kaja Kallas wird bei einem Treffen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel in dieser Woche eine umfassende Liste von zehn Maßnahmen vorlegen, mit denen die EU auf Israels Vorgehen im Gazastreifen reagieren könnte.
Der Haken? EU-Diplomaten sagen gegenüber euronews allerdings, dass die Mitgliedsstaaten derzeit wenig Interesse daran hätten, Maßnahmen gegen Tel Aviv zu ergreifen.
Kallas' zehn Optionen beinhalten die Aussetzung des visafreien Reiseverkehrs und die Blockierung von Importen aus den jüdischen Siedlungsgebieten als Reaktion auf Israels Bruch des Assoziierungsabkommens mit der EU, wie aus einem von Euronews eingesehenen Dokument aus Kallas' Büro hervorgeht.
Zu den Vorschlägen, die mit ihrer Rechtsgrundlage und dem für ihre Annahme erforderlichen Verfahren aufgelistet sind, gehören die Aussetzung des gesamten Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, der Abbruch des politischen Dialogs mit Israel oder der Ausschluss Tel Avivs von EU-Programmen, die alle die einstimmige Unterstützung der 27 EU-Mitgliedstaaten erfordern.
EU hat alle Optionen
Das Dokument listet aber auch andere Optionen auf, darunter die "Aussetzung der Handelspräferenzen" mit Israel und die Beendigung des Luftverkehrsabkommens zwischen der EU und Israel, wofür eine qualifizierte Mehrheit erforderlich wäre, also mindestens 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung vertreten.
Das Dokument ist das Ergebnis von Kallas' Bemühungen, eine Überprüfung der Menschenrechtsklausel des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel weiterzuverfolgen, bei der festgestellt wurde, dass Israel aufgrund von Verstößen im Gazastreifen und im Westjordanland das Abkommen gebrochen hat.
Ursprünglich wollte Kallas den Ministern fünf verschiedene Optionen anbieten, die EU-Spitzendiplomatin beschloss aber, die Liste zu verdoppeln und "Maßnahmen einzubeziehen, für die sich die Mitgliedstaaten einseitig entscheiden können, ohne einen Vorschlag der Kommission zu benötigen", so ein EU-Diplomat.
Die Diplomaten sagten Euronews, dass die Mitgliedsstaaten sich jedoch wahrscheinlich nicht für eine der Handlungsoptionen entscheiden würden, und zwar aus mehreren Gründen.
Erstens bestehen einige Länder darauf, dass die EU das Ergebnis einer von Kallas in der vergangenen Woche ausgehandelten Vereinbarung abwarten sollte, um den Fluss der Hilfsgüter nach Gaza zu verbessern.
Die EU gab am Donnerstag bekannt, dass sie eine "signifikante" Verbesserung des Zugangs für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen ausgehandelt habe, einschließlich einer Aufstockung der Zahl der Lebensmitteltransporte und einer Vereinbarung zum "Schutz des Lebens von Helfern".
Ein Sprecher von Kallas erklärte gegenüber Reportern, dass Israel als Ergebnis der Vereinbarung den Grenzübergang Zikim geöffnet, die Einfuhr von Treibstoff erlaubt und Wasserleitungen repariert habe, "zusammen mit der Wiedereröffnung der jordanischen Route".
Länder warten auf Ergebnisse des neuen Abkommens
Viele Länder - darunter die Tschechien, Deutschland, Ungarn und Italien - sind nicht bereit, Sanktionen gegen Israel zu verhängen, sollte sich die Lage vor Ort verbessern, und lehnen es ab, das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel ganz oder teilweise auszusetzen.
Irland und Spanien sind hingegen nach wie vor bereit, Maßnahmen gegen Israel zu ergreifen. Irland hat als erstes EU-Land bereits begonnen, Einfuhren aus israelischen Siedlungen im Westjordanland zu überprüfen.
Für viele Diplomaten hängen weitere Schritte davon ab, ob Israel das in der vergangenen Woche ausgehandelte humanitäre Abkommen umsetzt.
"Kallas hat gegenüber den Israelis darauf bestanden, dass es sich nicht nur um ein Abkommen auf dem Papier handeln kann, sondern dass es auch vor Ort umgesetzt werden muss", so ein Diplomat.
"Es hängt davon ab, ob Israel den Kallas-Plan vor Ort in die Tat umsetzt".
"Wenn wir bis Dienstag einige Ergebnisse sehen können, wäre das ein wichtiges Zeichen für Israel, dass es sich bereit erklärt hat, den Plan umzusetzen", so ein anderer Diplomat.
In der Zwischenzeit gehen die israelischen Luftangriffe und die Blockade trotz der Ankündigung weiter.
Das israelische Militär startete seine Gaza-Kampagne als Reaktion auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1.200 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln genommen wurden.
Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums wurden seither mindestens 57.823 Menschen im Gazastreifen getötet.