Wo in Europa gibt es die großzügigsten Leistungen für kranke Arbeitnehmer?

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der EU: Das sind die großzügigsten Länder
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der EU: Das sind die großzügigsten Länder Copyright Euronews/Canva
Von Camille Bello
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In Frankreich haben sich die Arbeitnehmer im vergangenen Jahr in Rekordzahl krankschreiben lassen. Worauf haben sie Anspruch, wie sieht es in anderen Ländern aus?

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Fast die Hälfte der Arbeitnehmer in Frankreich hat sich im vergangenen Jahr mindestens einen Tag krankschreiben lassen, die Fehlzeiten haben einen neuen Rekordstand erreicht.

Im dritten Jahr in Folge steigen die Fehlzeiten in allen Altersgruppen, unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder der Größe des Unternehmens, wie der Versicherer Axa in seinem jüngsten "Datascope"-Bericht feststellt.

Der Bericht stellt fest, dass psychische Belastungen der Hauptgrund für langfristige Krankschreibungen sind.

Wie mehrere andere Länder auch hat Frankreich auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie die Vorschriften für Krankschreibungen gelockert, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Doch in den letzten Monaten hat Frankreich, wie auch Deutschland, diese Sonderregeln wieder zurückgenommen, um betrügerische Anträge zu reduzieren.

Wie sieht es also aus mit dem Krankengeld im europäischen Vergleich? Und melden sich mehr Menschen krank, wenn die Regelungen großzügig sind?

Zunächst ist es interessant zu sehen, wie viel die Regierungen insgesamt für Krankengeld und Gesundheitsleistungen ausgeben. Deutschland steht in der EU an erster Stelle und wendet 11 Prozent seines BIP für die öffentliche medizinische Versorgung auf. Laut Eurostat, dem statistischen Amt der EU, folgen Frankreich und die Niederlande (beide mit 10,2 Prozent).

Die EU-Länder, die am wenigsten für Kranken- und Gesundheitsleistungen ausgeben, sind Estland (4,9 Prozent), Litauen (5 Prozent), Polen, Ungarn und Irland (alle 5,5 Prozent).

Laut den Zahlen für 2020 ist Deutschland auch das Land, das am meisten für Leistungen im Krankheitsfall ausgibt. Das Land wendet 2,3 Prozent seines BIP für die Unterstützung kranker Arbeitnehmer auf. Es folgen die Niederlande (2,1 Prozent), Schweden (1,7 Prozent), Spanien (1,5 Prozent) und Luxemburg (1,4 Prozent).

Die Rangliste für 2020 könnte durch die Coronavirus-Pandemie beeinflusst worden sein, aber wenn wir uns die Zahlen für 2018 ansehen, sind die Länder mit den höchsten Ausgaben fast dieselben, mit Ausnahme von Spanien, das vor ein paar Jahren nicht so viel ausgegeben hat.

Ermuntert staatliche Großzügigkeit dazu, sich krank zu melden?

Man könnte annehmen, dass die Länder, die mehr Geld für Krankengeld ausgeben, auch die längste und meisten Krankschreibungen haben. Das trifft aber nicht zu. 

Ende 2022 waren die Länder mit dem höchsten Anteil von Erwerbstätigen, die der Arbeit fernblieben, Frankreich (14,9 Prozent), Finnland (14,8 Prozent), Schweden (14,7 Prozent), Dänemark (13,6 Prozent), Estland (13,2 Prozent) und die Niederlande (12,4 Prozent).

Die Länder mit den geringsten Fehlzeiten sind Rumänien (2,5 %), Bulgarien (2,9 %), Griechenland (4,9 %), Polen (5,8 %) und Serbien (5,9 %).

Dabei ist erwähnenswert, dass die durchschnittliche Abwesenheitsquote in der EU bei Frauen (12,1 Prozent) deutlich höher ist als bei Männern (7,8 Prozent). In einer Studie des norwegischen Instituts für öffentliche Gesundheit aus dem Jahr 2018 werden "berufliche und familiäre Stressfaktoren" als "wichtigste" Erklärung für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede genannt.

Die Länder, die die meisten Fehlzeiten melden, sind nicht die Länder, die am meisten für Leistungen bei Krankheit und Gesundheit ausgeben. Sie gehören jedoch zu den Ländern, in denen die Bedingungen für Krankengeld am großzügigsten sind, sowohl was Umfang als auch Dauer angeht.

Die Länder mit der großzügigsten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Die folgende Länderliste wurde von Euronews Next zusammengestellt. Aber es gibt viele, teils komplizierte Regeln und Bedingungen für die Inanspruchnahme von Krankengeld. 

In einigen Ländern gibt es nur dann das volle Geld, wenn in einem der Arbeitsunfähigkeit vorausgehenden Bezugszeitraum ausreichende Beiträge in die Sozialversicherung eingezahlt wurden.

In einigen Ländern gibt es auch bedingte Ausnahmen, die eine Erhöhung des Beihilfebetrags zulassen, z. B. wenn die Person an einer ansteckenden Infektion wie Tuberkulose oder HIV leidet.

Luxemburg

Höhe der Leistung: Die luxemburgischen Unternehmen sind verpflichtet, krankgeschriebenen Arbeitnehmern etwa drei Monate lang ihr volles Gehalt zu zahlen, und zwar für 77 Tage oder bis zum Ende des Kalendermonats, in dem der 77ste Tag der Arbeitsunfähigkeit eintritt.

Leistungsdauer: Dauert die Arbeitsunfähigkeit über diesen Zeitraum hinaus an, gewährt die Krankenkasse eine Verlängerung auf bis zu 78 Wochen (1,5 Jahre).

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Estland

Höhe der Leistung: 70 % des Referenzlohns aus der öffentlichen Krankenkasse ab dem zweiten Tag der Arbeitsunfähigkeit.

Der Referenzlohn wird auf der Grundlage des Durchschnittslohns der letzten sechs Monate und der im vorangegangenen Kalenderjahr gezahlten Sozialabgaben ermittelt.

Dauer der Leistung: Bis zu 182 aufeinanderfolgende Kalendertage bezahlter Krankheitsurlaub, höchstens jedoch 240 Tage pro Jahr.

Finnland

Höhe der Leistung: Arbeitnehmer können neun Arbeitstage nach Beginn ihrer Krankheit Krankengeld beantragen. In der Regel zahlt der Arbeitgeber während dieser Wartezeit den Lohn des Arbeitnehmers, und viele zahlen in den ersten ein bis zwei Monaten auch den vollen Lohn.

Danach übernimmt Kela - die finnische Sozialversicherungsanstalt - das Krankengeld, das sich nach dem durchschnittlichen Jahreseinkommen des Arbeitnehmers richtet.

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Dauer der Leistung: bis zu 300 Arbeitstage (etwa ein Jahr).

Schweden

Höhe der Leistung: Etwa 80 Prozent des Gehalts, kann aber höher ausfallen, wenn ein Tarifvertrag besteht.

Dauer der Leistung: 364 Tage, aber eine Verlängerung ist möglich, wobei das Krankengeld dann 75 % des Einkommens des Arbeitnehmers beträgt.

Wenn die betreffende Person jedoch schwer erkrankt ist, kann sie über diese Grenze hinaus weiterhin Krankengeld in Höhe von 80 % ihres Gehalts beziehen.

Frankreich

Höhe der Leistung: Je nach Art der Krankheit und der beruflichen Stellung können die Leistungen unterschiedlich ausfallen. In der Regel beträgt das Tagegeld jedoch 50 % des Referenzlohns eines Arbeitnehmers.

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Der Bruttoreferenzlohn ist jedoch auf 2 885,61 € pro Monat begrenzt, was bedeutet, dass das gezahlte Tagegeld 47,43 € pro Tag nicht übersteigen darf. Überschreitet die Kranschreibung jedoch drei Monate, kann das Tagegeld neu festgesetzt und erhöht werden.

Dauer der Leistung: Wenn der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers dies rechtfertigt, kann bis zu drei Jahre gezahlt werden.

Portugal

Höhe der Leistung: Je länger die Krankschreibung dauert, desto mehr wird gezahlt. Bei einer Krankheitsdauer von weniger als einem Monat werden 55 % des Durchschnittseinkommens des Arbeitnehmers gezahlt, bei einer Krankheitsdauer von mehr als drei Monaten steigt dieser Satz auf 70 % und bei einer Krankheitsdauer von mehr als einem Jahr auf 75 %.

Dauer der Leistung: bis zu 1 095 Tage (drei Jahre).

Mit anderen Worten: Frankreich und Portugal sind sehr großzügig, wenn es um die Dauer des Krankengeldes geht und nicht um den Betrag, der für jeden Krankheitstag gezahlt wird.

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Lettland

Höhe der Leistung: Der erste Krankheitstag wird nicht bezahlt, aber der Arbeitgeber muss den Krankengeld vom zweiten bis zum zehnten Tag mit mindestens 75 % des durchschnittlichen Tagesverdienstes des Arbeitnehmers bezahlen.

Ab dem 11. Tag der Krankheit gewährt die staatliche Sozialversicherungsanstalt Krankengeld in Höhe von 80 % des Durchschnittsverdienstes.

Dauer der Leistung: bis zu 26 Wochen (sechs Monate).

Litauen

Höhe der Leistung: Die öffentliche Versicherung in Litauen übernimmt ab dem dritten Krankheitstag 62 %. Es ist jedoch üblich, dass der Arbeitgeber diese Summe auf 100 % des Gehalts des Arbeitnehmers aufstockt.

Dauer der Leistung: Bis zu 90 Kalendertage im Kalenderjahr.

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Deutschland

Obwohl Deutschland in Bezug auf das für Leistungen bei Krankheit und Gesundheitsfürsorge aufgewendete BIP die Rangliste anführt, gehört es nicht zu den großzügigsten Ländern, wenn es um das Krankengeld geht, sondern ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern eher durchschnittlich.

Höhe der Leistung: Volles Gehalt für bis zu sechs Wochen. Nach Ablauf dieses Zeitraums erhalten die Arbeitnehmer von der Krankenkasse ein Krankengeld in Höhe von 70 Prozent ihres regulären Gehalts.

Dauer der Leistung: Bis zu 78 Wochen (1,5 Jahre) über einen Zeitraum von drei Jahren für dieselbe Krankheit.

Großbritannien

Das Krankengeld im Vereinigten Königreich, der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt, mag im Vergleich zu den Leistungen in einigen EU-Ländern weniger großzügig erscheinen.

Höhe der Leistung: Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich haben Anspruch auf 109,40 £ (123,91 €) pro Woche ab dem vierten Krankheitstag. Manche erhalten jedoch mehr, wenn das Unternehmen ein Krankengeldprogramm hat.

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Dauer der Leistung: bis zu 28 Wochen. Nach Ablauf dieser Zeit können diejenigen, die zu krank sind, um wieder arbeiten zu gehen, eine Beschäftigungs- und Unterstützungsbeihilfe (Employment and Support Allowance, ESA) beantragen, die zwischen £74,35 und £113,35 pro Woche gewährt.

Ist die Großzügigkeit bei den Zulagen vom Wohlstand abhängig?

Nur einige der aufgeführten Länder liegen im EU-Index des Pro-Kopf-BIP über dem Durchschnitt. Die meisten aber gehören zu den 30 höchstnotierten Nationen im World Happiness Report. Aus dem geht hervor, dass Menschen in Wohlfahrtsstaaten zufriedener sind. 

Die europäischen Länder bieten einige der großzügigsten Krankengeldpakete der Welt. Und selbst die Länder mit dem niedrigsten Pro-Kopf-BIP in der EU, wie Bulgarien, die Slowakei und Griechenland, bieten bessere Sozialleistungen als einige der reichsten Länder der Welt, wie z. B. die Vereinigten Staaten, in denen es kein Bundesgesetz gibt, das ein Recht auf bezahlten Urlaub aus familiären oder medizinischen Gründen vorsieht.

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