Wohl und Wehe der Solovetsky-Inseln

Wohl und Wehe der Solovetsky-Inseln
Von Euronews
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Jahrhundertelang waren die Solovetsky-Inseln Russlands Heiligster Grund – bis sie zu einem Symbol von totalitärer Grausamkeit und Unterdrückung wurden. Gestern und Heute der Inseln im Weißen Meer – in dieser Ausgabe von “Russian Life”.

Denis Loktev, euronews:

“Russland ist ein Land, das viele Rätsel aufgibt – und zwar von Nord nach Süd und von Ost nach West. Entdecken Sie das größte Land der Erde in unserer neuen Serie “Russian Life”. Wir beginnen die Reise nahe dem nördlichen Polarkreis, auf den Solovetsky-Inseln im Weißen Meer.”

Die heiligste Stätte des russischen Christentums ist ein Juwel der Natur und der mittelalterlichen Architektur. Wie konnte sie zu einem Ort des Leids und der Unterdrückung von Hunderttausenden werden?

Die Solovetsky-Inseln wurden bereits vor Tausenden von Jahren zu einer heiligen Stätte. Damals schmückten antike Völker aus dem Norden die Strände mit mysteriösen Felslabyrinthen.

Alexander Martynov, Vize-Direktor des Solovetsky-Museums:

“Einige Archäologen glauben, dass die Felslabyrinthe für Jagd- und Fischfang-Rituale gebaut wurden. Für andere sind sie die Hügel der Toten, sozusagen eine Ruhestätte für deren Seelen.”

Das Heidentum machte dem Christentum Platz, und im 15. Jahrhundert wurde in Solovki ein Kloster der russisch-orthodoxen Kirche sowie eine militärische Festung erbaut. Der Ort wurde das wirtschaftliche, kulturelle und politische Zentrum der Region.

Von der sakralen Stätte wurde angenommen, dass sie Gottes Reich am nächsten liege und den Gebeten der Inselbewohner deshalb einzigartige Kräfte verleihe.

Oleg Volkov, Chef des Forschungsbereichs “Kloster” im Solovetsky-Museum:

“Die Russen wurden schon immer von Solovki angezogen und wollten hierher pilgern. Im Mittelalter glaubte man, dass jeder Russe mindestens einmal im Leben nach Solovki gehen müsse, und die Pilgerreise hierher ersetzte die ins Heilige Land.”

In den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts verdüsterte sich die Geschichte von Solovki. Unter der bolschewistischen Revolution wurde das Kloster entweiht, seine Zellen und Kirchen in Gefangenenbaracken umgewandelt. Insgesamt saßen dort knapp 350000 Gefangene ein – neben Kriminellen auch Wissenschaftler, Künstler und Querdenker. Sie mussten Zwangsarbeit verrichten. Das gesamte GULAG-System wurde in Solovki entwickelt und getestet.

Olga Bochkaryova, Chefin der Abteilung zur Geschichte des 20. Jahrhunderts im Solovetsky-Museum:

“Es war praktisch, Gefangene auf die Inseln zu bringen, um sie in den kalten nördlichen Regionen festzuhalten. Sie brachten die gefährlichsten Kriminellen hierher – die, die potentiell gegen den Staat aktiv werden konnten. Das konnte alles bedeuten. Intelligente Leute haben verstanden, was vor sich ging – sie waren deshalb die gefährlichsten Gegner.”

Harte Arbeit, Krankheiten und Massenhinrichtungen kosteten fünf bis siebentausend Gefangenen auf Solovki das Leben. Die, die ihre Strafe absaßen und die Inseln lebend verlassen konnten, waren gebrochen.

Olga Bochkaryova, Chefin der Abteilung zur Geschichte des 20. Jahrhunderts im Solovetsky-Museum:

“Hier liegen hunderte, vielleichte tausende Gefangene. All diese Birken, all diese Gebäude stehen auf Massengräbern.”

1939 wurde das Arbeitslager geschlossen und umgewandelt. Heute bieten der Komplex und die natürliche Schönheit der Solovetsky-Inseln einen Lebensunterhalt für knapp tausend Bürger, da Touristen und Pilger aus der ganzen Welt hierher kommen.

Archimandrite Porphyry, Superior des Solovki-Klosters:

“Jeder Russe kann – wie jeder andere auch, der hierherkommt – in sich gehen und versuchen, die wichtigste aller Fragen zu beantworten: Warum lebe ich? Und was muss ich tun, um mein Leben richtig zu leben?”

Mit der Wiederbelebung des historischen Klosters entdecken die Bürger von Solovki wieder ihre Wurzeln. Doch Ostern ruft auch die tragische Geschichte von Tod und Leid in Russlands “Heiligem Land” in Erinnerung.

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