Warum ist Europa von dem Reisechaos so viel stärker betroffen als der Rest der Welt?

In den Sommermonaten ist an den Flughäfen - wie hier in Frankfurt am Main - besonders viel los. Doch Streiks und post-Pandemie Personalmangel machen dem Sektor zu schaffen.
In den Sommermonaten ist an den Flughäfen - wie hier in Frankfurt am Main - besonders viel los. Doch Streiks und post-Pandemie Personalmangel machen dem Sektor zu schaffen. Copyright Michael Probst/AP
Von Charlotte Elton
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Bilder von gestrandeten Urlaubern an Flughäfen und Kofferchaos: Warum ist die Krise im Reisesektor so viel schlimmer in Europa als in anderen Teilen der Welt?

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Sommerurlaub geplant? Machen Sie sich auf Verspätungen oder Annullierungen gefasst - vor allem, wenn Sie in Europa unterwegs sind.

Lange Warteschlangen und Stapel von Gepäck sind auf europäischen Flughäfen immer häufiger zu sehen.

Seit Mai haben die Fluggesellschaften Zehntausende von Flügen gestrichen. Passagiere sitzen fest, während die Flughäfen mit Streiks und technischen Pannen zu kämpfen haben.

Reisen ist überall riskant. Doch an einigen Reisezielen herrscht deutlich mehr Chaos als an anderen. Nur warum ist das so?

Ist Europa am schlimmsten vom Reisechaos betroffen?

Überall auf der Welt müssen Reisende mit Chaos rechnen. Seit Mai haben die US-Fluggesellschaften mehr als 21.000 Flüge gestrichen, das sind etwa 2,7 Prozent der geplanten Flüge.

Am Wochenende des 4. Juli - dem amerikanischen Nationalfeiertag - wurden Hunderte von Flügen gestrichen und mehr als 12.000 waren verspätet.

Dennoch ist die Zahl der gestrichenen Flüge im Vergleich zu den europäischen Zahlen verschwindend gering.

Laut den Daten des Flugverfolgungsradars RadarBox.com wurden in Europa zwischen April und Juni mehr als doppelt so viele Flüge gestrichen wie bei den US-Fluggesellschaften.

Zwischen dem 1. April und dem 29. Juni wurden auf den 10 am schlimmsten betroffenen europäischen Flughäfen insgesamt 64.100 Flüge gestrichen.

Der Grund dafür ist zum Teil auf die Personalpolitik zurückzuführen. Auch die US-Fluggesellschaften haben während der Pandemie 90.000 Mitarbeiter entlassen. Die meisten amerikanischen Fluggesellschaften - darunter die großen Fluggesellschaften American, Delta, United und SouthWest - haben jedoch Mitte 2021 mit der Wiederaufnahme des Inlandsreiseverkehrs begonnen, Personal einzustellen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Zahl der Flüge in den USA aufgrund der weniger strengen und von Staat zu Staat unterschiedlichen COVID-Beschränkungen nicht so stark zurückgegangen ist wie in den großen europäischen Ländern.

Statistic: Year-on-year change of weekly flight frequency of global airlines from January 6, 2020 to January 4, 2021, by country | Statista
Find more statistics at Statista

Außerdem erholte sich der amerikanische Flugverkehr schneller als der europäische, was vor allem auf das riesige Inlandsnetz zurückzuführen ist. Im Jahr 2021 erreichte der Inlandsflugverkehr mehr als 70 % des Niveaus vor der Pandemie.

Die Einstellungsmaßnahmen werden fortgesetzt. Derzeit stellen Delta und United Airlines durchschnittlich 200 Piloten pro Monat ein.

Dennoch gibt es in den USA nach wie vor erhebliche Störungen. Letzte Woche gab United Airlines bekannt, dass tägliche 50 Flüge von ihrem Drehkreuz dem Flughafen Newark gestrichen werden. Delta Air Lines kündigte an, zwischen dem 1. Juli und dem 7. August täglich 100 Flüge zu streichen.

Die Beeinträchtigungen sind jedoch nicht so anhaltend oder akut wie in Europa, wo Warteschlangen und Flugausfälle sozusagen zur neuen Norm werden.

Personalmangel und Streiks auf europäischen Flughäfen

Die europäischen Flughäfen haben mit einem extremen Personalmangel zu kämpfen.

Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie entließen Flughäfen und Fluggesellschaften rund 191.000 Beschäftigte in der europäischen Luftfahrt.

Laut einer im Januar 2021 von der Europäischen Transportarbeiter-Föderation veröffentlichten Studie waren zu diesem Zeitpunkt 58,5 Prozent des Bodenpersonals an Flughäfen arbeitslos. Mindestens 23 Prozent von ihnen wurden entlassen.

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Dies ist nur der Anfang einer Reihe von Protestaktionen, die den Sommer weiter anheizen.

Jetzt, da der Reiseverkehr zum ersten Mal seit 2019 wieder anzieht, gibt es nicht genug Personal für Gepäckkontrollen, die Sicherheitskontrollen und die Flugbesatzungen.

Langwierige Sicherheitskontrollen und unattraktive Arbeitsbedingungen erschweren zudem die Bemühungen, neues Personal zu finden.

Die verbleibenden Beschäftigten haben zudem angefangen, wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Lohnkürzungen im Pandemiezeitalter zu streiken. BA, Ryanair, easyJet, der Flughafen Schiphol, der Flughafen in Marseille und die Lufthansa gehören zu den Fluggesellschaften, die von ihren Angestellten bestreikt werden.

Das spanische Flugpersonal von Ryanair kündigte letzte Woche allein für Juli 12 Streiktage an, während das Personal von easyJet für neun Tage die Arbeit niederlegen wird.

Feuerwehrleute auf dem Pariser Flughafen Charles De Gaulle legten letzte Woche die Arbeit nieder, während italienische Pilotengewerkschaften mit verstärkten Maßnahmen gedroht haben.

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"Dies ist nur der Anfang einer Reihe von Protestaktionen, die den Sommer weiter anheizen", warnte ein Sprecher der Gewerkschaft UIL Trasporti.

Europa führt den Aufschwung im Reiseverkehr an - aber Fluggesellschaften haben zu kämpfen

Diese Personalknappheit und die Streiks fallen mit einem Aufschwung des internationalen Reiseverkehrs zusammen.

Laut Welttourismusbarometer der UNTWO (Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen) werden die internationalen Urlaubsreisen im Jahr 2022 etwa 70 Prozent des Niveaus vor der Pandemie erreichen.

Europa hat diese Erholung angeführt. In den ersten drei Monaten des Jahres 2022 verzeichnete Europa fast viermal so viele internationale Ankünfte (ein Anstieg von 280 Prozent) wie im gleichen Zeitraum des Jahres 2021. In Nord- und Südamerika haben sich die Ankünfte im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt (ein Anstieg um 117 %).

Dieser Boom ist zum Teil auf die rasche Lockerung der COVID-Vorschriften zurückzuführen, die von den europäischen Ländern vorangetrieben wurde. Zu Beginn der Sommersaison gab es in 31 europäischen Reisezielen keine COVID-Einreisebestimmungen.

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Die Reiseziele wollen Besucher zu empfangen. Doch das Angebot kann die Nachfrage einfach nicht decken.

Flughäfen wie Heathrow und Schiphol haben die Fluggesellschaften gebeten, Flüge zu streichen, und viele Fluggesellschaften waren gezwungen, ihre Flugpläne vorsorglich um Tausende von Reisen zu kürzen.

"Wir nehmen die Streichung von Flügen nicht auf die leichte Schulter", sagte der ehemalige Chief Operating Officer von easyJet, Peter Bellew, nachdem er Dutzende von Flügen gestrichen hatte.

Allerdings ist das Verständnis bei Reisenden nicht groß.

"Lieben Sie es nicht auch, wenn easyJet Ihren Urlaub ruiniert", schrieb ein Twitter-Nutzer nach einer Flugstreichung.

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Die Billigfluggesellschaft ist nicht allein. BA strich 8000 Flüge aus seinem Oktober-März-Flugplan, während die Lufthansa ihren Sommerflugplan um 3100 Flüge reduzierte.

"Zu viele Mitarbeitende und Ressourcen fehlen noch, nicht nur bei unseren Partnern, sondern auch in einigen Bereichen bei uns. ", schrieb die deutsche Fluggesellschaft in einem Brief an ihre Kund:innen.

Wie lange wird das Reisechaos andauern?

Leider ist erstmal kein Ende in Sicht.

Das Chaos wird wahrscheinlich bis zum Ende des Sommers andauern, da die Passagierzahlen über die personellen Möglichkeiten hinaus ansteigen. "In den nächsten Wochen mit weiter steigenden Passagierzahlen, ob Urlaub oder Geschäftsreisen, wird sich die Situation kurzfristig kaum verbessern", gibt auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr zu.

Die Einstellungsbemühungen sind im Gange, aber es dauert seine Zeit, bis das Personal in Bereichen wie Sicherheit und Gepäck geschult ist.

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Der Air Council International - Europas Branchenverband für Flughäfen - hat vorausgesagt, dass in diesem Sommer auf zwei Dritteln der europäischen Flughäfen Verspätungen unvermeidlich sind.

Oder lassen Sie das Fliegen ganz sein und reisen diesen Sommer mit dem Zug.

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