Terroristen auf Droge - warum Captagon?

Terroristen auf Droge - warum Captagon?
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Von Kirsten Ripper
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Kaltblütige, lachende Mörder und Enthauptungen

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Überlebende der Attentate von Paris schildern, wie die Angreifer kaltblütig in die Menge gezielt haben, im Bataclan-Musiktheater und auf den Terrassen der Cafés erschossen sie ihre Opfer aus unmittelbarer Nähe. Augenzeugen beschreiben die Terroristen “wie unter dem Einfluss von Drogen”. Schon von dem tunesischen Studenten, der im Juni 2015 am Strand von Sousse auf ausländische Touristen geschossen hatte, wurde berichtet, er habe bis über beide Ohren gelacht und seine Opfer fotografiert. Unempfindlich für das Leid anderer durch Drogen?
Die IS-Dschihadisten verbreiten immer wieder Videos von Enthauptungen, die so grausam sind, dass schon das Ansehen eine Qual bedeutet. Ohne Captagon, so scheint es, wären die meisten Milizionäre nicht dazu fähig, schreibt Michael Wrase in der Thurgauer Zeitung.
Ähnliches gilt wohl für den Krieg. Von Captagon heißt es, man spüre den eigenen und den Schmerz der anderen nicht mehr. Auch aus dem Vietnamkrieg und aus dem Zweiten Weltkrieg gibt es Berichte über Soldaten und Drogen.

Medikament, Doping, Droge

Schon seit Jahren ist bekannt, dass die Dschihadisten in Syrien u.a. das Aufputschmittel Captagon einnehmen. Captagon ist der Markenname des Amphetamin-Derivats Fenetyllin, das Menschen in Hochstimmung versetzt und wohl auch für Schmerzen unempfindlich macht. In den 60er und 70er Jahren wurde Captagon bei Depressionen, aber auch zur Behandlung von hyperaktiven Kindern eingesetzt.
Doch in den 70er Jahren das Medikament auch illegal als Aufputschmittel eingesetzt, als eine “Alternative” zu anderen synthetischen Drogen wie Speed. Besonders unter Teenagern seien die sogenannten “Cappies” beliebt gewesen, zitiert die taz einen Experten.
Seit den 80er Jahren ist Captagon in Deuschland, wo es von Degussa hergestellt wurde, verboten. Der Wirkstoff macht sehr schnell süchtig, Captagon ist als Droge eingestuft und fällt unter das Betäubungsmittelgesetz.

Wer die synthetische Droge nimmt, braucht keinen Schlaf und hat keinen Appetit mehr. Auf lange Sicht ist das wohl fatal – von Captagon Abhängige werden oft als “lebende Skelette” beschrieben.

Es gibt zahlreiche Berichte auch von namhaften Spielern wie Bernd Schuster, wonach Captagon u.ä. im Fußball als Doping eingesetzt wurde. Captagon war in den 80ern gang und gäbe, sagt Bundesliga-Trainer Peter Neururer im Interview mit dem Handelsblatt.

Herstellungsland Syrien

“Syrien ist ein riesiges Problem, weil die Sicherheit zusammengebrochen ist und die Grenzen durchlässig sind”, sagt der UN-Drogenbeauftragte für den Nahen Osten Masood Karimipour im Interview mit Voice of America. In der Türkei – genauer gesagt in der Region Hatay an der Grenze zu Syrien – wurden allein im November mehr als 11 Millionen Captagon-Pillen sichergestellt.
Schon im Januar 2014 hatte der Guardian berichtet, dass das Kriegsland Syrien kein Transitland von Europa und der Türkei auf dem Weg in die reichen Golfstaaten mehr sei, sondern der Hauptproduzent von Captagon.

Die synthetische Droge ist offenbar leicht und billig herzustellen. Eine Pille hat einen Herstellungswert von ein paar Cent, wird aber für bis zu 20 Dollar pro Stück verkauft.
Der französische TV-Sender M6 zählt Captagon in einer Reportage zu den Haupteinnahmequellen von ISIL (oder wie in Frankreich gesagt wird: Daesh).
Unter anderen berichtet Reuters – ebenfalls schon 2014 -, dass auch viele syrische Regierungssoldaten und junge Alawiten (zu dieser Minderheit gehört Präsident Baschar al-Assad) in Homs Captagon konsumieren.

Beliebt in Saudi-Arabien

Nach Ansicht vieler Experten wird die Droge Captagon im gesamten Nahen Osten, aber vor allem in Saudi-Arabien konsumiert. Ende November 2015 wurde ein saudischer Prinz mit zwei Tonnen Captagon-Pillen in seinem Privatjet am Flughafen von Beirut festgenommen. Der 1947 geborene Prinz Abdel Mohsen Bin Walid Bin Abdulaziz wollte nach Riad zurückfliegen und vertraute wohl auf seinen Diplomatenstatus. Doch die libanesischen Behörden untersuchten sein Gepäck und fanden 24 Umzugskartons und mehrere Koffer mit Captagon. Es war einer der größten Drogenfunde überhaupt im Libanon.
Drogen sind ein Tabuthema in Saudi-Arabien. Eine lokale Website auf Englisch schreibt, 40 Prozent aller Drogenabhängigen in Saudi-Arabien nehmen Captagon, macht aber keine Angaben zur Gesamtzahl der Betroffenen. Offenbar gibt es nur acht Entzugskliniken in Saudi-Arabien, einem Land mit mehr als 29 Millionen Einwohnern. Der Thurgauer Zeitung zufolge sind offiziell 200.000 Menschen drogenabhängig, aber Experten gehen von einer fünf Mal so hohen Zahl aus.
Junkies, die es nicht geben darf titelt Die Zeit und schreibt, dass ein Viertel der Drogenabhängigen in Saudi-Arabien Frauen sind. Ausländer werden in Saudi-Arabien gar nicht behandelt, sie werden verhaftet und abgeschoben. Aber offenbar ist es schwierig, Captagon-Abhängige zu behandeln, selbst offiziellen saudischen Angaben nach liegt die Rückfallquote der Therapierten bei 70 Prozent.

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