Britisches Unterhaus hält erneut Probeabstimmungen über Brexit-Alternativen ab

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Von Linda FischerAnne Fleischmann mit dpa
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Mitte März stellte eine Britin eine Petition ins Netz, mit der sie die Regierung dazu aufforderte, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Land in der EU zu halten. Konkret forderte sie: „Artikel 50 widerrufen“.

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Im britischen Unterhaus in London haben die Abgeordneten über vier Alternativvorschläge zu Theresa Mays Brexit Deal abgestimmt. Alle vier wurden abgelehnt.

Parlamentssprecher John Bercow gab den Abgeordneten eine halbe Stunde Zeit für die Entscheidung. Die Abstimmung fand auf Papier statt und jeder Abgeordnete konnte für jeden Vorschlag entweder mit ja oder nein stimmen.

Mit einer zweiten Runde Probeabstimmungen, den sogenannten indicative votes, wollte das Parlament herausfinden, ob eine andere Möglichkeit eine Mehrheit bekommen würde. Die Ergebnisse sind nicht rechtsverbindlich, Mays Regierung muss sich also nicht daranhalten.

Der britische Staatsminister für Kinder, Jugendliche und Familien, Nadhim Zahawi, hat jedoch gefordert, dass sollte ein Vorschlag heute eine Mehrheit erzielen, über diesen in einer Stichwahl mit Mays Abkommen abgestimmt werden sollte.

Sammy Wilson von der nordirischen Partei DUP hatte im Vorfeld bereits angekündigt, dass die Partei keine der vier Alternativvorschläge unterstützen wird.

Und obwohl vor allem während der Debatte im Vorfeld der Probeabstimmungen der Verbleib in einer Zollunion mit der EU als beliebte Möglichkeit herausstach, sprach sich Liam Fox, der Minister für internationalen Handel auf Twitter dagegen aus. Er schrieb, dass es Großbritannien in eine schlechtere Position als momentan bringen würde. Es wäre zudem ein Verrat an den Wählern des Referendums und ein total Ausverkauf des britischen Nationalinteresses. Das Vereinigte Königreich könne keine unabhängige Handelspolitik betreiben, wenn es in einer Zollunion mit der EU bleibe.

Diese Optionen standen zur Wahl

Der Parlamentssprecher John Bercow hat aus acht Vorschlägen vier ausgewählt, die heute zur Debatte stehen.

Eine Option wäre, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt. Laut dem Vorschlag, der von dem Konservativen Ken Clarke und Hilary Benn von der Labour Partei eingereicht wurde, soll dieses Ziel gesetzlich verordnet werden. Diesem Vorschlag werden die besten Chancen vorhergesagt. Bei den Probeabstimmungen vergangene Woche stimmten 264 für die Alternative, 272 dagegen.

Zudem soll darüber abgestimmt werden, ob Großbritannien in Zukunft wirtschaftlich eng an die EU gebunden bleiben soll, inklusive einer Mitgliedschaft im Binnenmarkt und einer gemeinsamen Zollunion. Das würde bedeuten, dass Großbritannien wieder in die Europäische Freihandelsassoziation eintritt. In dieser sind unter anderem auch die Schweiz und Norwegen. Diese Option würde es den britischen Bürgern erlauben, sich weiterhin ohne Visa in der EU aufzuhalten. Auch über diesen Vorschlag wurde bereits vergangene Woche abgestimmt. Allerdings stimmten nur 188 dafür und 283 dagegen.

Der dritte Alternativvorschlag, der heute zur Wahl steht, ist ein zweites Referendum. Dieser Vorschlag wurde von dem Oppositionellen Peter Kyle (Labour Partei) eingereicht. Nicht nur er, sondern dutzende Abgeordnete fordern, dass das Brexit-Abkommen vor dem Austritt der Bevölkerung in einer zweiten Volksabstimmung vorgelegt wird. Dieser Vorschlag wird im Parlament immer beliebter, vor allem nachdem Die Führung der Labour Partei sich dafür ausgesprochen hatte. Vergangene Woche stimmten 268 für diese Alternative, 295 dagegen.

Die letzte mögliche Option, über die Bercow heute abstimmen lässt ist eine parlamentarische Vormachtstellung. Sollte es zwei Tage vor dem EU-Austritt keine Mehrheit für einen Deal geben, muss London diesem Vorschlag zufolge die EU um eine weitere Verlängerung bitten. Sollte die EU dem nicht zustimmen, müssen sich die Abgeordneten zwischen einem No-Deal-Brexit und dem Widerruf der Austrittserklärung (Artikel 50) entscheiden. Dies ist ein neuer Vorschlag, über ihn wurde vergangene Woche noch nicht abgestimmt.

Doch die Zeit drängt: Die neue Frist für den Austritt aus der EU läuft am 12. April ab. Eigentlich war der Brexit schon für Ende März angesetzt.

Laut britischen Medienberichten erwägt May zudem eine vierte Abstimmung über ihr Abkommen, da sie zuletzt einige Stimmen für ihren Deal dazugewinnen konnte.

Anti-Brexit-Petition erhält sechs Millionen Unterschriften

Mitte März stellte die Britin Anne Georgiadou eine Petition ins Netz, mit der sie die Regierung Großbritanniens dazu aufforderte, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Land in der Europäischen Union zu halten. Konkret forderte sie: „Artikel 50 widerrufen“.

Unterschreiben 100.000 Menschen eine Petition auf der Webseite petition.parliament.uk, ist das Parlament verpflichtet, diese im Unterhaus zu diskutieren. Keine 24 Stunden dauerte es, bis mehr als eine Million Bürgerinnen und Bürger unterschrieben hatte. Mittlerweile haben sich sechs Millionen Menschen an dem Aufruf beteiligt. An diesem Montag wird das Parlament darüber debattieren.

Die Regierung hatte bereits im Vorfeld mitgeteilt, dass sie eine Rücknahme der Austrittserklärung ablehnt und sich an das Referendum von 2016 gebunden fühlt. Damals hatte eine eine knappe Mehrheit für den Brexit gestimmt. Die Beratungen finden allerdings nicht im Unterhaus-Plenum statt, sondern in der Westminster Hall.

Abgeordnete suchen weiter nach Lösung im Brexit-Streit

Bei der ersten Runde am vergangenen Mittwoch hatte es bei den Abstimmungen für keine der Optionen eine Mehrheit gegeben. Doch Beobachter halten es für möglich, dass sich die Abgeordneten nun auf eine der Varianten einigen könnten, die am besten abgeschnitten hatten. Dazu gehören die Vorschläge, dass Großbritannien dauerhaft in einer Zollunion mit der Europäischen Union bleibt oder dass die Briten in einem neuen Referendum über den Deal entscheiden.

Zu den weiteren Vorschlägen zählt auch ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop, der ein Knackpunkt im Brexit-Streit ist. Beim Backstop handelt es sich um eine Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Die Regelung sieht vor, dass Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist. Brexit-Hardliner fürchten, dies könnte das Land dauerhaft an die EU fesseln und eine eigenständige Handelspolitik unterbinden. Diesen Vorschlag hat Parlamentssprecher Bercow jedoch nicht zur Abstimmung zugelassen, genauso wenig wie ein No-Deal-Szenario.

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Bei einem Brexit ohne Abkommen werden chaotische Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche befürchtet. Ursprünglich wollte Großbritannien schon am 29. März aus der EU austreten. Doch das Parlament ist so zerstritten, dass der Termin nicht zu halten war. Das Datum wurde verschoben, um May mehr Zeit zu geben, eine Lösung zu finden.

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