Ist der Ramadan mit Abstands- und Hygieneregeln vereinbar?

Nicht in allen Ländern sind Moscheen offen, dabei ist das kollektive Gebet in der Moschee abends und am Freitag Brauch.
Nicht in allen Ländern sind Moscheen offen, dabei ist das kollektive Gebet in der Moschee abends und am Freitag Brauch. Copyright Fareed Khan/AP
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Von Marta Rodriguez Martinez
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Vor einer Woche hat für Muslime der Fastenmonat Ramadan begonnen. Dieses Jahr gilt es das Spagat zwischen Tradition und Vorschriften zur Eindämmung des Coronavirus zu machen.

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In der vergangenen Woche hat für die muslimische Welt mit dem Neumond ein wichtiger Monat begonnen: Der Ramadan. Doch in diesem Jahr sind Muslime weltweit mit dem Dilemma konfrontiert, wie Traditionen so weit wie möglich bewahrt werden können, ohne dass die Zahl der Infektionen durch das Coronavirus in die Höhe schnellt.

Neben der Schwierigkeit, viele Stunden am Tag auf Essen und Trinken zu verzichten, steht der diesjährige Ramadan vor der Herausforderung, den traditionellen Gemeinschaftsgeist dieses Festes virtuell nachzubilden.

Während des Ramadan versammeln sich Familien und Freunde, um bei Sonnenuntergang mit großen Mahlzeiten, so genannten Iftars, das Fasten zu brechen. Oft sind die Cafés und Restaurants bis spät in die Nacht voller Menschen, es gibt kulturelle Veranstaltungen. Darüber hinaus gehen Muslime zum Nachtgebet oder Tarawih in Moscheen, und viele nutzen diesen Monat, um sich der Wohltätigkeit zu widmen.

In diesem Jahr findet sich die große Mehrheit der Muslime jedoch von all diesen sozialen Aktivitäten isoliert, die diesen Monat zu etwas Besonderem machen.

Viele Länder haben Moscheen geschlossen und den Tarawih verboten, um Menschenansammlungen zu vermeiden. In Deutschland sind die Moscheen für den gesamten Fastenmonat geschlossen. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sprach in einem YouTube-Video von einem "schweren Einschnitt". Doch trotz der Öffnungskonzepte, die man derzeit erarbeite, seien Großveranstaltungen in Moscheen derzeit nicht möglich. "Wir appellieren, Geduld und Vernunft walten zu lassen", sagte Mazyek an die muslimische Gemeinde gerichtet.

AP Photo/Elaine Thompson
Eine Familie in Seattle (USA) sieht sich das Tarāwīh-Gebet im Internet an.AP Photo/Elaine ThompsonElaine Thompson

Prominente Geistliche, unter anderem in Saudi-Arabien, haben die Menschen dazu aufgerufen, zu Hause zu beten, und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mit Covid-19 infizierte Muslime aufgefordert, nicht zu fasten.

In Europa haben große Moscheen, die seit Beginn der Sperrmaßnahmen in den jeweiligen Ländern geschlossen sind, virtuelle Initiativen gestartet, um mit ihren Gemeinden in Verbindung zu treten.

So hat beispielsweise die Große Moschee in Paris während des Fastenmonats Ramadan eine tägliche Sondersendung auf Youtube angekündigt, während das Muslimische Zentrum in London mit der Videokonferenz-App Zoom Debatten darüber organisiert, wie "Bemühungen maximiert werden können" trotz Lockdown, Teilnahme nur für Frauen.

In Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit versuchen die Regierungen, ein Gleichgewicht zwischen Einschränkungen und Traditionen herzustellen.

In Bosnien und Herzegowina wurden Moscheen vor dem islamischen heiligen Monat desinfiziert, obwohl Mitgliedern der muslimischen Gemeinde verboten wurde, an Gottesdiensten teilzunehmen. Die Regierung hatte die Menschen dazu aufgefordert, zu Hause zu bleiben und zu beten.

Nur religiöse Führer und einige wenige Gemeindemitglieder dürfen Moscheen besuchen, bis die Regierung die auferlegten Maßnahmen zur der sogenannten sozialen Distanzierung (Abstandsregeln) lockert oder aufhebt, die Versammlungen derzeit auf maximal fünf Personen beschränken.

AP/Kemal Softic
Desinfektionsarbeiten in der Cobanija-Moschee in Sarajevo, Bosnien und Herzegowina, am Dienstag, 21. April 2020AP/Kemal Softic

Libanon, Irak, Syrien und Ägypten haben ihre Ausgangssperren gelockert, so dass sie erst zwischen einer halben Stunde und 90 Minuten nach Sonnenuntergang beginnen. So können sich Familien, die in der Nähe wohnen, zu den großen Iftar-Abendessen versammeln - zumindest kurzzeitig.

Andere Länder haben den Inlandsverkehr verboten. Syrien hob das Reiseverbot zwischen den Provinzen für zwei Tage auf und setzte es dann wieder in Kraft, damit Menschen sich in dieser Zeit mit Familie oder Freunde vereinen konnten.

In Indonesien, der bevölkerungsreichsten muslimischen Nation der Welt, hat die Regierung Millionen von Regierungsangestellten, Soldaten und Polizisten verboten, in ihre Häuser außerhalb der Städte zu fahren, um den Aid al Fitr, den Feiertag zum Ende des Ramadan, zu feiern.

Widerstand in Bangladesch und Pakistan

Einige Geistliche wollen die Empfehlungen der sozialen Distanzierung allerdings nicht akzeptieren.

In Bangladesch hat die Regierung zwar gefordert, dass weniger Menschn in Moscheen zugelassen sind, doch zahlreiche Imame fordern die Gläubigen auf, sich dennoch zu versammeln.

Das Gebet in der Moschee sei für gesunde Muslime "obligatorisch", sagte Mojibur Rahman Hamidi, ein Mitglied der extremistischen Gruppe Hefazat-e-Islam, die diese Imame vertritt.

Mitte April waren rund 100.000 Anhänger trotz Ausgangssperre und Begrenzung auf 50 Teilnehmer zusammengekommen, um Abschied von einem mit 55 Jahren gestorbenen prominenten Prediger zu nehmen.

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AP/Masuk Hridoy
Am Samstag, dem 18. April 2020, kommen Tausende von Muslimen aus Bangladesch zusammen, um der Beerdigung eines populären islamischen Predigers beizuwohnen.AP/Masuk Hridoy

In Pakistan versucht die Regierung seit Beginn der Pandemie erfolglos, Gläubige vom Einhalten von Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zu überzeugen. Während die Behörden versucht haben, den Besuch von Moscheen einzuschränken oder einige von ihnen zu schließen, haben die Gläubigen in den angrenzenden Straßen Schulter an Schulter gebetet und sich dabei allen Regeln der sozialen Distanzierung widersetzt.

Doch die Risiken einer Verbreitung des Virus durch religiöse Versammlungen sind belegt. Im März infizierten große Kongregationen muslimischer Missionare der Tablighi-Bewegung Hunderte von Menschen in Malaysia, Indien und Pakistan. Und auch zahlreiche Mitglieder einer Freikirche hatten sich bei einer Großveranstaltung im Elsass im März mit dem Virus infiziert.

Auswirkungen auf Spenden und Freizeitaktivitäten

Die WHO hat gefordert, dass bei freiwilligen Ramadan-Spenden oder Almosen Abstandsregeln eingehalten werden müssen.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland sieht hier ein großes Problem. Die Spendenbeiträge, aus denen sich die meisten Moscheen finanzieren und die Freitags und während des Ramadan geleistet werden, fallen aus, erklärte Aiman Mazyek in einem TV-Interview: "Viele Moscheen stehen vor dem Bankrott".

Die Absage traditioneller Wohltätigkeitsmahlzeiten wird besonders schmerzhaft sein, da sie mit einer Krisenzeit zusammenfallen, in der viele Menschen aufgrund von Coronavirus-Restriktionen ihren Arbeitsplatz verloren haben oder aus anderen Gründen bedürftig sind.

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In Kaschmir, dem von Indien und Pakistan mehrheitlich umkämpften muslimischen Gebiet, ließen Freiwillige mit Masken und Handschuhen Säcke mit Reis, Mehl, Linsen und anderen Grundnahrungsmitteln für den Ramadan vor der Tür der Bedürftigen in der Stadt Srinagar zurück.

Im Irak könnte der Verzicht auf eine einzigartige Tradition des Ramadan besonders schmerzhaft werden: die Turniere eines Mannschaftsspiels mit dem Namen "Mheibes". Die Gesundheitsbehörden baten Jassim al-Aswad, den ehemaligen Meister und Organisator des Turniers, dieses aus Gründen der öffentlichen Sicherheit abzusagen.

"Ich bin sehr traurig", sagte er. "Der Ramadan wird in diesem Jahr ohne diese volkstümlichen Rituale stattfinden, da Gott Rache nimmt und uns unseres schönsten Zeitvertreibs beraubt."

Aber nicht alle religiösen Traditionen während des Ramadan sind von Einschränkungen betroffen. Ägypten ist bekannt für die Fernsehkomödien und TV-Seifenopern, die im Laufe des Monats produziert und die zwischen dem Iftar und den Mahlzeiten vor dem Morgengrauen ausgestrahlt werden. In diesem Jahr wurde trotz der Einschränkungen durch das Coronavirus neue Sendungen produziert.

Weitere Quellen • Alexandra Leistner

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