IWF-Chefin: Diese Krise wird den grünen Wandel beschleunigen

IWF-Chefin: Diese Krise wird den grünen Wandel beschleunigen
Copyright euronews
Von Oleksandra VakulinaSabine Sans
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Die bulgarische Ökonomin spricht in The Global Conversation über die Zukunft der Weltwirtschaft, ihre Bewunderung für die Ukraine und den Niedergang der Weltmacht Russland.

Kristalina Georgiewa ist eine bulgarische Politikerin und Ökonomin. Sie ist seit Oktober 2019 geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Zuvor war sie Vizepräsidentin der EU-Kommission.

Euronews-Reporterin Sasha Vakulina: Zu Gast in The Global Conversation auf euronews ist Kristalina Georgiewa, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds. Kurz nach den Jahrestagungen des IWF und der Weltbank: Wo stehen wir jetzt, was die Weltwirtschaft betrifft? 

Kristalina Georgiewa: Der Ausblick hat sich im vergangenen Jahr deutlich verdunkelt. Damals erholten wir uns gerade von Covid, und wir schlossen mit einem weltweiten Wachstum von über 6 % ab. Und dann zwei Schocks. Omikron und Russlands Krieg in der Ukraine haben die Erholung nicht nur unterbrochen, sondern ins Gegenteil verkehrt. Der Druck auf die europäischen Volkswirtschaften ist so groß, dass wir für die Hälfte der Länder in der Eurozone mindestens zwei Quartale mit negativem Wachstum erwarten. Mit anderen Worten: eine Rezession. Um Ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln, wie groß der Schaden für Europa ist, weichen unsere Prognosen vor der Pandemie und unsere aktuellen Prognosen um eine halbe Billion Euro voneinander ab.

Mit anderen Worten, der Schaden für die Europäer ist ziemlich dramatisch. Schauen wir uns den Rest der Welt an: Chinas Wachstum verlangsamt sich vor allem wegen der Null-Covid-Politik. Die USA erleben nicht die gleichen Erschütterungen wie Europa und sind daher in einer etwas besseren Verfassung. Im Vergleich ist Europa also in einer schwierigeren Lage, aber Europa ist nicht allein und steht vor einem sehr schwierigen Jahr 2023. 

Euronews: Als Inflation ein Thema wurde, wurde viel spekuliert, dass das nur vorübergehend sei, aber das ist nicht der Fall. Das ist immer noch ein Thema. Wie vorübergehend ist dieses negative Wachstum? 

Kristalina Georgiewa: Warum gingen wir von einer temporären Inflation aus? Weil niemand von uns Russlands Angriffskrieg vorhersehen konnte. Sobald er ausbrach, änderten sich die Bedingungen dramatisch und drückten auf die Energie- und Lebensmittelpreise. Und die Inflation ist immer noch ziemlich dramatisch, ziemlich signifikant. Wenn wir in die Zukunft blicken, dann will ich es nicht beschönigen: 2023 könnte schwieriger werden als 2022. Der nächste Winter könnte für Europa noch härter werden als dieser Winter. Die europäischen Entscheidungsträger haben sehr schnell gehandelt, um die Gasspeicher zu füllen. Wenn die Bedingungen so bleiben, dass Russland kein Gas nach Europa liefert, wie sollen dann die Gasspeicher im nächsten Jahr gefüllt werden?

Die Schlüsselfrage, die sich heute in Europa stellt, lautet: Bleibt Europa geeint und kann die Öffentlichkeit in dieser schwierigen Zeit mit ins Boot geholt werden? Mein Appell an alle wäre, bei den Energiesparmaßnahmen mitzumachen. Wir alle können in diesem Winter unseren Teil dazu beitragen. So kommen wir in den Frühling ohne dramatische Schäden, d.h. ohne Rationierung, ohne an diesen Punkt zu kommen.

"Aber ich bin optimistisch, was die Zukunft Europas angeht, denn diese Krise hat den grünen Wandel beschleunigt, der Wachstum und Chancen schaffen wird, so wie Covid den digitalen Wandel beschleunigt hat. Diese Krise wird den grünen Wandel beschleunigen."
Kristalina Georgiewa

Euronews: Sie sagten, dass wir die Ukraine dabei unterstützen müssen, von der Notfallphase des Wirtschaftsmanagements in eine Erholungsphase überzugehen. Welches sind die wichtigsten Schritte, die Sie bei den von Kiew, auch zusammen mit dem IWF, umgesetzten Maßnahmen gesehen haben, die dazu beitragen, dass es weitergeht? Wir sprechen über eine Wirtschaft, die sich im Krieg befindet und immer noch funktioniert. 

Kristalina Georgiewa: Erstens: Bewunderung für die ukrainische Regierung und das ukrainische Volk. Die Einheit, die sie demonstrieren, ist etwas, das wir in der Europäischen Union sehr schätzen. Und das ist der Grund, warum die Ukraine jetzt auf dem Weg ist, der Europäischen Union beizutreten. Die Qualität des Regierens ist sehr beeindruckend. Sie haben eine solche Zielstrebigkeit und Disziplin, die ich nur bewundern und loben kann. Was haben wir unmittelbar nach Ausbruch des Krieges gemeinsam mit den ukrainischen Behörden unternommen? Wir haben uns darauf konzentriert, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Und obwohl die Wirtschaft um 30 bis 35 % geschrumpft ist, ist sie noch lange nicht zusammengebrochen. Im Gegenteil, ein Teil der ukrainischen Wirtschaft, wächst wieder. 

Euronews: Sie haben erwähnt, dass die Ukraine auf dem Weg in die Europäische Union ist, mit einer schrittweisen Integration auch der ukrainischen Wirtschaft und anderer Sektoren. Geht dieser Integrationsprozess jetzt schneller als vorher?

Kristalina Georgiewa: Selbstverständlich. Ein schrecklicher Krieg, eine Tragödie für die Ukraine. Aber er hat die ukrainische Nation stärker gemacht und das Land viel entschlossener, die Schritte zu unternehmen, die für die eigene Bevölkerung und für den Beitritt zur Europäischen Union notwendig sind. Die Aufmerksamkeit, die den Menschen in der Ukraine zuteilwird, um die Moral der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, Renten und Sozialleistungen zu erbringen. Eine kleine Anekdote. Ich habe Familie in Charkiw. Im Mai werden traditionell Blumen und Bäume gepflanzt. Und das geschah während des Krieges, als die Gegend noch bombardiert wurde. Die Einheit der Nation wird also auch im Hinblick auf den Beitritt zur Europäischen Union gefördert. Ich habe eine Botschaft an die Ukraine: In Bulgarien haben wir ein Sprichwort. Eile mit Weile. Tut, was getan werden muss. Aber seid umsichtig, seid vorsichtig. Wenn es gut gemacht wurde, muss es in Zukunft nicht noch einmal gemacht werden.

Euronews: Letzte Frage Frau Georgiewa: Die russische Invasion zeigt derzeit keine Anzeichen eines Nachlassens. Wir haben darüber gesprochen, wie es mit der ukrainischen Wirtschaft weitergeht, wie geht es mit der russischen Wirtschaft weiter? 

Kristalina Georgiewa: Die russische Wirtschaft ist in diesem Jahr geschrumpft. Sie wird auch nächstes Jahr schrumpfen. Die Folgen für Russland werden mittel- und langfristig noch gravierender sein. Die kriegsbedingte Abwanderung von Russen, insbesondere von hoch qualifizierten Russen, schadet Russland. Das Land verliert seine Rolle in der Weltwirtschaft. Wir sehen, wie der beschleunigte Übergang zu Alternativen zu Öl und Gas diesen Markt für Russland schrumpfen lässt. Und im Laufe der Zeit wird diese Industrie, auf die sich das Land stark verlässt, an Bedeutung verlieren.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

8 Milliarden Weltbevölkerung: Wie sieht die Welt in Zukunft aus?

Nikos Christodoulides hofft auf EU-Unterstützung im Zypern-Konflikt

IWF-Chefin: Vom Potenzial der Frauen profitieren