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Russlands zweite Front: Was Deutschland gegen Russlands hybriden Krieg tun muss

Führt Russland schon längst einen Krieg gegen den Westen? Putins Limousine bei einem Landwirtschaftsbetrieb in Russland, August 2024.
Führt Russland schon längst einen Krieg gegen den Westen? Putins Limousine bei einem Landwirtschaftsbetrieb in Russland, August 2024. Copyright Gavriil Grigorov/Sputnik
Copyright Gavriil Grigorov/Sputnik
Von Anne Frieda MüllerTamsin Paternoster
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Fake News und Angriffe auf Einzelpersonen: Russland führt einen zweiten Krieg gegen den Westen, einen hybriden Krieg. Wie kann sich Deutschland darauf vorbereiten?

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Russland führt seit 2014 einen Krieg gegen die Ukraine. Das mutmaßliche Ziel: Die Auslöschung der Ukraine und ihrer Kultur. Seit Beginn des flächendeckenden, russischen Angriffskriegs 2022 wird täglich über diesen Krieg berichtet. Parallel dazu führt Russland aber noch einen zweiten Krieg, der weniger Schlagzeilen macht. Experten warnen davor, dass die Politik diese zweite Front  ernster nehmen und die Bevölkerung sich besser vorbereiten muss.

Russlands Krieg gegen die Ukraine macht täglich Schlagzeilen: Soldat an der Frontlinie in der Region Saporischschja, Ukraine, August 2024.
Russlands Krieg gegen die Ukraine macht täglich Schlagzeilen: Soldat an der Frontlinie in der Region Saporischschja, Ukraine, August 2024. Andriy Andriyenko/Copyright 2024 The AP. All rights reserved.

Denn Russlands sogenannter "zweiter Krieg" richtet sich gegen den gesamten Westen. "Es ist auch ein Krieg gegen das demokratische Modell", sagt Osteuropa-Expertin Franziska Davies. Sie meint damit den hybriden Krieg, den Russland bereits in Form von "militärischen Interventionen bis hin zu Desinformationskampagnen" gegen die westliche Welt führt: "De facto sieht sich Russland schon längst im offenen Krieg mit dem Westen."

Ein Beispiel dieser hybriden Kriegsführung sind die mutmaßlichen russischen Ausspähversuche mithilfe von Drohnen. So wurden mehreren deutschen Medien zufolge zuletzt eine Drohne über dem stillgelegten Kernkaftwerk des ChemCoast-Parks Brunsbüttel in Schleswig-Holstein gesichtet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken. Solche Ausspähversuche haben es mutmaßlich auf Deutschlands kritische Infrastruktur abgesehen.

Was Russland letztlich anstrebt, ist ein Europa, in dem Russland mit Gewalt Macht ausüben kann.
Franziska Davies
Osteuropa-Historikerin

Solche Versuche können zur hybriden Kriegsführung Russlands gezählt werden. Der Begriff sei schwer zu definieren, laut Experten gehört dazu alles, was keine direkte militärische Konfrontation bedeutet. Russland führt solche Aktionen vermutlich mit dem Ziel durch, die sogenannte westliche Welt zu schwächen und zu destabilisieren.

"Was Russland letztlich anstrebt, ist ein Europa, das von Russland dominiert wird und wo Russland seine Ziele durchsetzen kann, ohne Rücksicht auf internationale Regeln, internationale Gesetze. Ein Europa, in dem Russland mit Gewalt Macht ausüben kann", erklärt Franziska Davies von der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 

Die bekannteste hybride Strategie: Fake News

Um dieses Ziel zu erreichen, nutzt Russland mehrere Strategien der hybriden Kriegsführung: Hacking, Anschläge auf Einzelpersonen oder Desinformation und Fake News. "Wir sind alle Ziele dieser Kampagnen zur Beeinflussung von Informationen", sagt Tapio Pyysalo, Leiter der Internationalen Beziehungen am Europäischen Zentrum zur Bekämpfung hybrider Bedrohungen.

Allein vor den Europawahlen im Juni gab es einen koordinierten Versuch, in den sozialen Medien gezielt pro-russische, Anti-Impf- und Anti-LGBTQ-Kampagnen zu teilen. Das niederländische private Forschungsinstitut Trollrensics fand heraus, dass diese Desinformationskampagne in Deutschland v. a. zugunsten der AfD ausgerichtet war. Das Unternehmen geht davon aus, dass die Bots hinter diesen Inhalten aus Russland oder pro-russischen Kreisen kommen.

Obwohl viele europäische Länder seit Russlands Annexion der Krim 2014 ihre Sicherheitsmaßnahmen bezüglich hybrider Attacken verbessert haben, warnt der finnische Experte Pyysalo: "Sie haben aber nicht dieselben Instrumente zur Verfügung wie die hybriden Akteure. Was die demokratischen Staaten noch tun müssen, ist in der Regel die Verstärkung ihrer Gesetzgebung, um Lücken zu schließen, die von hybriden Akteuren genutzt werden." 

Ein Beispiel, an dem das Muster der Kreml-Propaganda zu erkennen war: Der Absturz Malaysia-Airlines-Flugs 17 in der Nähe des Dorfes Hrabove in der Ostukraine. - Juli 2014
Ein Beispiel, an dem das Muster der Kreml-Propaganda zu erkennen war: Der Absturz Malaysia-Airlines-Flugs 17 in der Nähe des Dorfes Hrabove in der Ostukraine. - Juli 2014Evgeniy Maloletka/Copyright 2022 The AP. All rights reserved.

Wie erkennt man russische Desinformation?

Was alltäglich passieren muss und was jeder machen kann, ist Falschnachrichten zu erkennen und sie nicht zu verbreiten, sagt Pyysalo. "Jeder sollte eine Rolle dabei spielen, Informationen zu verifizieren und sicherzustellen, dass alles, was sie selbst verbreiten, auf Fakten beruht und nicht auf Desinformationsnarrativen." 

Dabei hilft, dass die Muster der von Russland verbreiteten Falschnachrichten immer gleich sind, erklärt Frank Sauer, Experte für Sicherheitspolitik: "Es ist egal, ob es um den MH17-Abschuss oder die Bombardierung des Kinderkrankenhauses in Kiew geht: Es ist heißt immer zuerst, das sei wahnsinnig, dann waren es die anderen und am Ende heißt es: 'Okay, wir waren es, aber sie hatten es verdient.'" 

Um Desinformationskampagnen zu entlarven, lohnt es sich als erstes die Nachricht zu überprüfen: Bestätigen andere Medien unabhängig die Information. Außerdem lohnt es sich, den Urheber der Nachricht, z. B. Profile bei Social Media zu überprüfen. Ein Handbuch des ukrainischen Verteidigungsministeriums zum Entlarven von Fake News weist darauf hin, dass bei X-Profilen der Username von Bots oft willkürliche Zahlenkombinationen sind. Außerdem benutzen falsche Profile oft alte oder zufällig ausgewählte Bilder direkt aus Google-Ergebnissen. Es lohnt sich, solche Bilder über die Bildersuche auf Google zu überprüfen.

Das Ziel, das Russland mit der Desinformation verfolgt, ist laut Sauer: "Die Menschen in einem Gefühl der Machtlosigkeit zurückzulassen und in der Überzeugung, dass sie die Wahrheit sowieso nie kennen können." 

In der Ukraine arbeiten viele Läden mithilfe von Notstromgeneratoren. Deutschland ist nicht auf Stromausfälle vorbereitet.
In der Ukraine arbeiten viele Läden mithilfe von Notstromgeneratoren. Deutschland ist nicht auf Stromausfälle vorbereitet. Efrem Lukatsky/Copyright 2024 The AP. All rights reserved.

Aus dem Internet ins echte Leben

Hybride Attacken können aber auch zu einer realen Gefahr für Leib und Leben werden. Der finnische Experte für hybride Bedrohung Tapio Pyysalo sagt mit Blick auf die russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur in der Ukraine, dass auch die kritische Infrastruktur vom restlichen Europa ins russische Visier geraten kann.

Auf das Schlimmste vorbereitet sein, aber natürlich auf das Beste hoffen.
Tapio Pyysalo
Experte für hybride Bedrohung

Er wolle keine Besorgnis erregen, aber "die Menschen sollten auf alle Arten von Störungen vorbereitet sein, zum Beispiel bei der Versorgung mit kritischen Dienstleistungen oder kritischen Lebensmitteln."

Pyysalo fasst zusammen: "Auf das Schlimmste vorbereitet sein, aber natürlich auf das Beste hoffen."

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Deutschlands "Nightmare Szenario"

Für Deutschland ist das Schlimmste – das "absolute Nightmare Szenario" –, wie es Frank Sauer nennt: Stromausfall. In Katastrophenszenarien sei beschrieben worden, dass es in Deutschland nach ein paar Tagen ohne Elektrizität "ans Eingemachte" gehe. "Auch weil die Bevölkerung in der Breite nicht gut auf solche Situationen vorbereitet ist. Wir gehen einfach davon aus, dass das Wetter immer angenehm ist, das Wasser aus dem Hahn kommt und Essen im Supermarkt ist", erklärt Sauer.

Für die Situationen, in denen das nicht der Fall ist, hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Vorratslisten erstellt. Darin wird geraten, einen Lebensmittelvorrat ausreichend für zehn Tage zusammenstellen und zwei Liter Flüssigkeit pro Person pro Tag bereitzustellen. Eine Notfallapotheke sollte bereitstehen und die wichtigsten Dokumente so verwahrt werden, dass man sie im Notfall schnell mitnehmen kann.

Zivilen Widerstand aufbauen

Wegen solcher möglicher Ausnahmesituationen findet Sauer die Diskussion um die Dienstpflicht in irgendeiner Art weit von der Realität entfernt. Denn nur an die Bundeswehr zu denken und daran, das Militär zu stärken, sei zu kurz gegriffen. Es brauche vor allem zivilen Widerstand.

Nur auf die Bundeswehr zu setzen reicht nicht aus: Bundeskanzler Olaf Scholz besucht die Gebirgsjägerbrigade der Bundeswehr in Schneizlreuth, Süddeutschland, Juli 2024
Nur auf die Bundeswehr zu setzen reicht nicht aus: Bundeskanzler Olaf Scholz besucht die Gebirgsjägerbrigade der Bundeswehr in Schneizlreuth, Süddeutschland, Juli 2024Alexandra Beier/AP

Der deutsche Sicherheitsexperte erklärt: "Wir brauchen im Grunde Reserven von Menschen, die im Notfall helfen können. Wir brauchen Menschen, die Sandsäcke stapeln und die Notstromgeneratoren aus der Halle holen und anwerfen können." Es geht um ganz praktische Dinge und genauso sollte die Politik das auch erklären. In Deutschland sollte man darauf hinarbeiten, dass "wir es im Notfall organisiert kriegen, dass alle eine warme Decke haben, Kinder eine Ecke zum Spielen haben, wir Notstromgeneratoren haben, wo man die Handys aufladen kann und jemand noch eine Suppe kochen kann."  

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Was Sauer damit meint, ist: Deutschland muss seine Resilienz aufbauen. Er betont, dass diese nicht nur bei Attacken von außen auf die Infrastruktur wichtig ist, Stromausfälle können auch durch die Klimakrise ausgelöst werden.

Seine Hoffnung ist, "dass es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, dass wir als Gesellschaft Geld, aber auch Zeit investieren." Er spricht dabei z. B. von zwölf Monaten beim Technischen Hilfswerk, bei der Feuerwehr, beim Roten Kreuz oder eben auch bei der Bundeswehr. "Sodass ich weiß, wenn in meiner Kommune oder in meinem Stadtteil etwas kaputt geht, was dann zu tun ist."

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