Ein Gesundheitsökonom sieht das Problem des nationalen Gesundheitsdienstes in Organisation und Management. Notfallmaßnahmen der Regierung griffen nicht bzw. lassen auf sich warten.
Geschlossene Notaufnahmen, Fachkräftemangel, Wartezeiten weit über das akzeptable Maß hinaus und ein fehlerhaftes neues Triage-System: Das portugiesische Gesundheitswesen steht am Rande des Zusammenbruchs.
Gesundheitsökonom Pedro Pita Barros sieht die Ursache für die Probleme in der Organisation und im Management: "Bis zu einem gewissen Grad ist es das Management, aber bis zu einem gewissen Grad ist es auch der Wettbewerb mit dem privaten Sektor. Der private Sektor kann bei der Personalbeschaffung und -bindung viel besser arbeiten und den Menschen mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir haben es hier also mit zwei großen Spannungsfeldern zu tun, dem reinen und harten Management und der Frage der Personalressourcen. Das sind vielleicht die größten Herausforderungen in den nächsten drei Jahren", erklärt der Wirtschaftsprofessor der Nova SBE gegenüber Euronews.
Im Mai 2024 legte die Regierung einen Notfall- und Transformationsplan für das Gesundheitswesen vor, der innerhalb von drei Monaten umgesetzt werden sollte, um den Zugang der Bevölkerung zur Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
Doch unmittelbare Fortschritte sind auch heute noch nicht in Sicht, und die Wartezeiten in den Notaufnahmen einiger Krankenhäuser können 30 Stunden überschreiten. Regierungschef Luís Montenegro räumte jüngst im Parlament ein, dass die Regierung mit den Ergebnissen nicht zufrieden sei.
Pedro Pita Barros hofft, dass der Plan nicht mehr nur eine Notlösung ist, sondern zu einem Programm der kontinuierlichen Verbesserung wird, das an den sich verändernden Bedarf angepasst wird: "Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir die Probleme des nationalen Gesundheitsdienstes in ein oder zwei Monaten lösen können. Das Problem besteht nicht darin, Regeln oder ein weiteres Gesetz zu erlassen, um den Nationalen Gesundheitsdienst umzugestalten. Die Frage ist nicht, ob wir einen Termin für die Reform des Gesundheitsdienstes haben, sondern wie wir diesen dauerhaft an die immer wieder neu aufkommenden Bedürfnisse anpassen können", betont der Gesundheitsökonom.
Es gibt viele Beschwerden von Patienten, insbesondere über die obligatorische telefonische Voruntersuchung vor dem Besuch der Notaufnahme, die medizinische Eingriffe noch mehr verzögert, und dies bei ohnehin langen Wartezeiten in den Krankenhäusern.
"Erst letzte Woche war ich mit einem Verwandten, der von der Telefonhotline Saúde 24 in die Notaufnahme überwiesen worden war, fast 12 Stunden lang dort. Und soweit ich das beurteilen kann, war das gar nicht so schlecht. Es gab Fälle von Patienten, die schon in der Nacht zuvor dort gewesen waren. Ich kam gegen 13 Uhr und ging um halb ein Uhr nachts", erzählt der Begleiter eines Patienten Euronews.
Die Bewegung der Nutzer des öffentlichen Dienstes (MUSP) hat bereits öffentlich erklärt, das Gesundheitsministerium wisse, dass "die langen Warteschlangen das Ergebnis eines Mangels an Fachkräften und von Bedingungen sind, um sie zu halten und für den Nationalen Gesundheitsdienst zu gewinnen".
Nach Ansicht der MUSP reagiert die Regierung auf ein ernstes Problem, das ernsthafte und tiefgreifende Maßnahmen wie mehr Investitionen ins Gesundheitswesen und seine Fachkräfte erfordert, mit einer bürokratischen Maßnahme: "Indem sie ein Gesundheits-Callcenter einrichtet und damit ein weiteres Hindernis schafft und den medizinischen Akt verzögert".
Laut dem Health Report 2024 des deutschen Pharmaunternehmens Stada ist die Zufriedenheit mit der öffentlichen Gesundheitsversorgung in Europa zwischen 2020 und 2024 von 74 Prozent auf 56 Prozent gesunken. Nur 49 Prozent der Portugiesen gaben an, dass sie mit dem nationalen Gesundheitsdienst zufrieden sind.
Im Euro Health Consumer Index liegt Portugal auf Platz 13 von 35 europäischen Ländern. An der Spitze der Rangliste steht die Schweiz, gefolgt von den Niederlanden, Norwegen und Dänemark.
Portugals Gesundheitsministerin Ana Paula Martins hat eingeräumt, dass Wartezeiten von mehreren Dutzend Stunden in den Notaufnahmen "inakzeptabel" sind, und versprochen, bald Maßnahmen zu ergreifen. Auf Nachfrage im Büro von Martins nach den zusätzlichen Maßnahmen, die von der Regierung erwogen werden, erhielt Euronews aber bis zur Veröffentlichung dieses Artikels keine Antwort.