Ein deutscher Trucker macht Europa vor, wie E-Mobilität geht: Seine CO2-freien 40-Tonnen Trucker fahren bis nach Spanien und in die Türkei.
Irgendwas stimmt hier nicht! Riesige rote 40-Tonner rollen ruhig und routiniert zu den 300 kW Ladesäulen. Da fehlt doch was! Aber was? Ich stehe inmitten eines ostfriesischen Balletts farbenfroher Superbrummis und blicke mich irritiert um. Gerade eben biegt erneut ein langer Laster von der sonnendurchfluteten Baumallee ab und gleitet auf den Firmenhof. Na klar: Es fehlt der Lärm! Und der Gestank! Kein Dieselgrollen, keine Abgasschwaden! Willkommen bei Nanno Janssen, Deutschlands E-Truck-König.
Der Mann macht Ernst: Janssen stellt (fast) seine gesamte LKW-Flotte um! Nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern sofort! Jetzt! Heute! Ohne Zögern: Weg vom Diesel! Nur noch Strom! Einzig einige wenige Spezialfahrzeuge, für die es derzeit noch keine gesetzliche Zulassung für Elektro-Antrieb gibt, verbrennen weiterhin fossilen Antriebsstoff.
40-Tonner fahren mit Sonnenstrom quer durch Europa
Bereits bis Ende 2025 will Janssen zwei Drittel des Fuhrparks umgekrempelt haben auf Batterie-Betrieb. Und damit es keine Missverständnisse gibt: Wir reden hier nicht von Kleinlastern und Pickups oder ähnlichem Transporter-Kleinkram. Nein, hier geht es um 40-Tonner mit Routen quer durch ganz Europa! Von Malmö nach München. Durch England, Dänemark, Spanien, Portugal. Nach Italien bis runter nach Sizilien. Es läuft, die Sache mit den E-Trucks.
Im Hof stehen 10 Ladesäulen, lassen dicke Elefantenrüssel heraushängen – die armstarken Stromladekabel. 20 riesige Zugmaschinen ziehen gleichzeitig Strom. Das ist einer der leistungsfähigsten Ladeparks für E-Laster in ganz Deutschland.
Ostfriesland als Vorbild für ganz Europa
Hier im Landkreis Leer findet eine stille Revolution statt: Ostfriesland stellt europaweit das Vorbild, hier wird der Beweis geliefert, dass E-Mobilität im Schwerlastverkehr machbar ist – und dass sich damit gutes Geld verdienen lässt, ungeachtet aller Unkenrufe der Verbrenner-Lobby.
Janssen beschäftigt rund 80 Trucker, insgesamt arbeiten über 110 Angestellte in dem Logistikunternehmen. Einer von Ihnen, Tobias Wagner, ist als E-Truck-Vlogger mittlerweile eine echte Berühmtheit. Zehntausende folgen ihm und seinen Trucker-Abenteuern.
Von unterwegs postet Elektrotrucker Tobi regelmäßig auf LinkedIn und stellt seine Elektrotrucker-Clips auf YouTube. Eine schwere Asphaltiermaschine quer durch Europa transportieren? Null Problem! Trucker-Treff an der neuen Schnellladestation? Voll der Fun!
E-Truck-Leistungen ausprobieren, Stresstest für Ladepunkte, Markenvergleiche, Fahrverhalten bergauf und bergab, Suche nach der nächsten Fernfahrerdusche, Trucker-Alltag pur, mal lustig, mal dramatisch, oft technisch und: Auch wenn man selber kein Truckerprofi ist, macht es Spass, dem Video-Tagebuch zu folgen. Treffen kann ich Tobias natürlich nicht – er ist, na klar!, wieder mal auf großer Tour: Rumänien, Türkei…
Solarpark für die E-Trucks
Janssens Aufstieg zum E-Truck-King begann vor vier Jahren. Eine kommunale Ausschreibung suchte nach umweltfreundlichen Logistikern, es gab eine Anschubfinanzierung von Bund und Europäischer Union (NextGeneration EU) für die Ladesäulen in Höhe von insgesamt 6.5 Millionen Euro. Doch der Rest!? Janssen zögerte, denn billig sind sie nicht, die E-Trucks.
Nach einigem Hin- und Herrechnen wagte Janssen schließlich die Investition in die Zukunft des emissionsfreien Gütertransports. Im Sommer 2023 bestellte er seinen ersten E-LKW, bezahlte aus eigener Tasche. 2024 unternahm er dann den großen Schritt: Janssen installierte gegenüber den Ladesäulen einen eigenen Solarpark, bestellte weitere Elektro-Riesen (ebenfalls ohne Förderung) und schickte seinen ersten E-Trucker auf Fernfahrt bis nach Spanien.
Echter Technologiesprung
Um die Augen des Unternehmers bilden sich Lachfältchen: „Damals haben alle behauptet, die Elektromobilität sei für den Straßengütertransport nicht technologietauglich“, alle hätten immer nur über Brennstoffzellen und Wasserstoffantriebe geredet. Es sei zu früh, man solle erst mal abwarten und Tee trinken.
Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet, glaubt Janssen: „Wir sehen derzeit einen echten Technologiesprung, man muss sich nur mal die Reichweitenentwicklung der 40-Tonner ansehen!“ Schon heute sind 500 Kilometer drin. Und mehr!
E-Pionier wagt sich an Realitäts-Check
Auf Janssens weitläufigem Firmengelände parken "Brummis" unterschiedlichster Hersteller: Volvo, DAF, Scania, BAX, MAN, Iveco, Mercedes und Daimler Trucks… „Ich gebe den Produzenten regelmäßig Feedback“, sagt Janssen, der sich seiner Pionierrolle durchaus bewusst ist.
Die Firma ist gewissermaßen ein Testfeld mit Realitäts-Check, was geht, wo sollte nochmal nachgebessert werden, was läuft gut… Das gesamte Team freut sich bereits auf 2026: dann kommt ein neuer E-Truck mit 700 Kilometer Reichweite raus, ein echtes Hammer-Ding.
Egal ob Holzhäuser nach Brandenburg, Container nach Hamburg, Baustoffe, Stahl, Stein, Maschinen, Fertiggaragen, Highcubes, Bäume, Agrarprodukte, Boote oder Landmaschinen – die Trucks transportieren einfach alles.
Ladeinfrastruktur in Europa ist gut
Unterwegs laden? Irgendwo stromlos am Straßenrand hängenbleiben? „Ach was!“, winkt Janssen ab, „die Ladeinfrastruktur ist in Europa eigentlich schon sehr gut ausgebaut.“ Natürlich könne es hier und da noch besser werden, Janssen lächelt, „aber es gibt ja mittlerweile jeden Tag irgendwo eine neue Ladepark-Eröffnung: Entlang der Autobahnen findet man jetzt schon alle 20 Kilometer eine Ladestation.“
Das eigentliche Herz des Unternehmens schlägt in der Planungszentrale, eine riesige Open-Space-Etage voller Computerbildschirme: Routenplanung, Auftragsvergabe – und, wichtig, der Arbeitsplatz von Energiemanager Tum, Meister der Zahlen und Statistiken.
Der Energiemanager lässt keinen Blick von den sich ständig verändernden Stromverbrauchskurven, Strompreisinfos, Speicherstandsanzeigen, PV-Input, Windkraftanlagenproduktionszahlen. An Tums Bildschirm und unter seinen Fingern auf der Computertastatur entscheidet sich, ob heute Gewinn erwirtschaftet wird.
„Unsere PV-Anlage kann in der Spitze 800 Kilowatt produzieren“, so Janssen und fügt nach einem kurzen Blick auf Tums Bildschirm hinzu: „Jetzt gerade sind wir bei 300 KW. Damit laden wir die Speicher auf, aus dem Netz nehmen wir im Moment nichts.“
Die Stromspeicher des Unternehmens haben eine Leistung von knapp 1.2 Megawatt. Damit können vier E-Trucks mit Strom „vollgetankt“ werden. „Tagsüber werden die Batteriespeicher aufgeladen, abends und nachts wird der kostenlose Strom dann in die Elektro-LKW geladen."
Windkraft tanken - billiger fahren
Hinzu kommt die betriebseigene Windkraftanlage. „Als Kind habe ich die Windräder immer vor der Haustüre gesehen, damit bin ich aufgewachsen – da habe ich mir gedacht, dass ich die jetzt einfach aufkaufe und für meine LKWs verwende“, schmunzelt Janssen.
Wenn es an dunklen, windarmen Tagen dann doch einmal knapp wird mit dem erneuerbaren Strom aus Sonne und Wind, kalkuliert der Unternehmer zusammen mit dem Team alle Möglichkeiten. Eine davon: Auf Zeit spielen. Einen Tipp, den er auch anderen Unternehmen gibt, die auf Erneuerbare umstellen wollen. Denn manchmal rechnet es sich eben mehr, die Produktion vorübergehend runterzufahren, eine Tour falls möglich zu verschieben, statt Strom zu Spitzenpreisen einzukaufen. Als sparsamer Ostfriese steuert Janssen sein Logistikunternehmen nach dem Motto: „Wir kaufen Strom zu niedrigen Preisen und wenn der Strompreis an der Börse hoch ist, dann versuchen wir, keinen Strom aus dem Netz zu nehmen.“
Und dann sind da noch die Netzentgelte. Schon allein deshalb ist die Spedition bestrebt, so wenig Strom wie möglich aus dem Netz zu ziehen, „weil wir in der Spitzenlast Netzentgelte bezahlen müssen“. Da könnte seitens der Politik noch nachgebessert werden, da sind sich Deutschlands E-Logistiker einig. A und O für Janssens betriebswirtschaftliche Gesamtrechnung ist das Energiemanagement. „Wir bekommen jeweils immer einen Tag vorher Bescheid, was der Strom am Folgetag zu welcher Stunde kosten wird“, so Janssen.
Je nach Wetterlage kann das Unternehmen die Hälfte bis zwei Drittel des Stromtankens am Hof autonom organisieren: Es fließt eigener Sonnenstrom und eigener Windstrom in die roten Super-Laster. Den Anteil wollen Janssen und sein Team natürlich hochtreiben.
E-Mobilität rechnet sich heute schon
Und wie sieht die Bilanz aus? Gerät man als Unternehmer nicht in Gefahr, mit dem grünen Strom schnell in die roten Zahlen zu rutschen? Janssen verneint das energisch und selbstsicher: „Die E-Mobilität rechnet sich heute schon! Die variablen Kosten sind beim E-LKW niedriger. Die Fahrzeuge werden immer günstiger. Ich bezahle keine oder nur wenig Maut auf deutschen und europäischen Straßen. Ich habe kein Nachtfahrverbot (denn die E-Trucks machen ja keinen Lärm). Ich habe hier günstigen Strom, der billiger ist als Diesel. Und außerdem: Durch die CO2-Zertifikate wird der Diesel in den kommenden Jahren teurer werden. Wir hingegen haben keine CO2-Emissionen. Es rechnet sich!“
Von der Pferdekutsche zur E-Truck-Flotte
Rechnen können sie, die Janssens, schon seit 1896. Der Unternehmer will mir etwas zeigen, wir steigen eine Treppe hinab. „Damit bin ich quer durch die Stadt zu meiner Heirat gefahren“, erinnert sich Janssen und zeigt auf eine prächtig restaurierte historische Kutsche. Der hochgewachsene Mann in weißem Hemd und rotbrauner Hose blickt zufrieden auf eine fast 130 Jahre währende Firmengeschichte. „Wir sind ein Familienbetrieb, mein Sohn ist die fünfte Generation, ich die vierte.“
Janssen führt mich einen Gang entlang zu seiner Ahnengalerie. Hinter Glas hängen vergilbte Fotos stolzer Fuhrunternehmer, alte Dokumente, Zeugnisse eines rasanten Aufstiegs. „Das ist die Gründungsurkunde“, deutet Janssen auf ein gerahmtes Papier. „Mein Ur-Ur-Großvater begann 1896 mit einem Pferdegespann und einem einfachen Karren“, erzählt er. Im Hafen be- und entlud er Frachtschiffe. Unzählige Getreidefuhren legten den Grundstein der Familiensaga.
Als Sohn Nanno Edzard Janssen unlängst in das Unternehmen einstieg – fünfte Generation – diskutierte er mit Vater Nanno Tönjes Janssen ob das Geschäftsmodell zukunftsfest sei: „Was müssen wir heute tun, damit unser Betrieb bestehen kann?“, war die Kernfrage des Vater-Sohn-Gesprächs. Für den Senior-Chef gab das den Anstoß umzusteuern, weg von fossilen Verbrenner-Trucks, hin zu Strom-Lastern. Die Janssens wissen was sie tun. Sie haben es vorher genau kalkuliert: Es rechnet sich.