In den vergangenen zehn Jahren gab es eine Welle von Klimaklagen. Sie hat weltweit Regierungen und Großunternehmen zum Handeln gezwungen.
Weltweit müssen Regierungen nach einem „Schub“ an Klimaklagen klare Regeln für ihr Vorgehen festlegen.
Ein neuer Bericht des Climate Litigation Network zeigt, wie zehn Jahre Gerichtsverfahren „verbindliche Rechtspflichten“ für politische Führungspersönlichkeiten und große Verschmutzer etabliert haben, um Bürgerinnen und Bürger vor Klimaschäden zu schützen.
Viele dieser Verfahren ließ der bahnbrechende Urgenda-Fall erst entstehen. Er war weltweit der erste, in dem ein Gericht eine Regierung zu schärferem Klimaschutz verpflichtete.
Das Urteil folgte auf eine Klage der gemeinnützigen Urgenda-Stiftung, der sich fast eintausend Bürgerinnen und Bürger anschlossen. Sie forderten die niederländischen Gerichte auf, die Regierung an ihre Zusagen zur Emissionsminderung, zum Schutz der Bevölkerung und zur Wahrung der Menschenrechte zu binden.
Klimaklagen stellen „Handlungsmacht und Vertrauen“ wieder her
Der Bericht „Das Fundament für unsere gemeinsame Zukunft: Wie zehn Jahre Klimaklagen eine Rechtsarchitektur für Klimaschutz geschaffen haben“ argumentiert, der Aufschwung der Klimaklagen sei eine direkte Antwort auf das Versagen von Politik und Konzernen, die „prägende Herausforderung unserer Zeit“ anzugehen.
Weltweit wünschen sich fast neun von zehn Menschen (89 Prozent) mehr Einsatz ihrer Regierungen gegen den Klimawandel . Nur jede fünfte Person glaubt jedoch, dass ihre Regierung ihre Zusagen einhält.
„Vor diesem Hintergrund sind Klimaklagen zu einem Instrument geworden, Handlungsmacht und Vertrauen zurückzugewinnen“, heißt es in dem Bericht.
„Klagen ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern, über unabhängige Gerichte Rechenschaft einzufordern. Diese versprechen, ihre Lage nach dem Recht zu beurteilen und nicht nach kurzfristigen politischen Zwängen.“
Abwehrargumente im Klimarecht
Eine Regierung oder ein mächtiges Unternehmen erfolgreich zu verklagen, schien lange unmöglich. Doch alte Abwehrargumente geraten ins Wanken. Seit den neunziger Jahren stützen sich Konzerne auf ein Trio zentraler Argumente, um sich vor Gericht der Rechenschaft zu entziehen.
Dazu zählen der Einwand „Das ist Sache der Politik“, wonach Klimapolitik zu komplex für die Gerichte sei. Der Einwand „Tropfen auf den heißen Stein“, der behauptet, ein einzelnes Land oder Unternehmen sei global zu unbedeutend, um einklagbare Pflichten zu begründen. Und der Einwand „Ziele nach Belieben“, demzufolge Regierungen und Unternehmen Zeitpunkt und Umfang ihrer Emissionsminderungen frei bestimmen könnten.
Von Fall zu Fall hat die Schlagkraft dieser Einwände nachgelassen. In Ländern wie Brasilien, Deutschland, Irland, den Niederlanden und Südkorea führte das zu schärferen Klimazielen und geänderten Gesetzen.
So entstanden rechtliche Grundlagen, die auch Gemeinden stärken. Sie können nun einst unantastbare Fossilkonzerne wie Shell und TotalEnergies angreifen.
Klimawandel vor Gericht
Der Bericht beschreibt mehrere erfolgreiche Klimaklagen, die dem Urgenda-Fall folgten.
2015 reichte Asghar Leghair eine Klage gegen die pakistanische Regierung ein. Er verlangte mehr Schutz des Landes vor immer gravierenden Klimafolgen. Der High Court von Lahore gab Leghair Recht, ordnete die Einrichtung einer Kommission für Klimawandel an und verpflichtete Behörden zur Umsetzung von Klimapolitik.
In der Schweiz klagten Mitglieder der KlimaSeniorinnen gegen die Untätigkeit der Regierung und sahen darin einen Verstoß gegen ihre Menschenrechte.
Der Fall mündete in ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der feststellte, dass die Schweiz ihre menschenrechtlichen Pflichten verletzt, weil sie keinen ausreichenden Reduktionspfad für Treibhausgasemissionen festlegt.
Selbst gescheiterte Verfahren wie Pabai gegen den Commonwealth of Australia haben landesweit Aufmerksamkeit auf die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel gelenkt und den Bedarf an entschiedenerem Regierungshandeln unterstrichen.
In diesem Verfahren reichten zwei Älteste von den Torres-Strait-Inseln 2021 eine Sammelklage gegen die australische Regierung ein. Grund waren steigende Meeresspiegel, die ihre Gemeinschaft bedrohten.
2015 zog der Bergführer und Landwirt Saúl Luciano Lliuya gegen RWE, Deutschlands größten Stromerzeuger, vor Gericht.
Lliuya argumentierte, die Emissionen des Konzerns trügen zum Abschmelzen der Gletscher in Peru bei. RWE solle sich daher an den Kosten für Hochwasserschutz in der Stadt Huaraz beteiligen.
Obwohl der Fall scheiterte, legte das Gericht fest: Verweigert ein großer Emittent „Schutzmaßnahmen“, kann er für Kosten in Höhe seines Emissionsanteils haftbar gemacht werden. Und zwar sogar bevor Schäden eintreten.
In der Summe, so der Bericht, haben solche Verfahren rechtliche Bausteine geschaffen. Sie definieren, wie Regierungen Emissionen senken müssen, um gefährlichen Klimawandel zu verhindern. Dazu gehört, den Temperaturanstieg auf eins Komma fünf Grad Celsius zu begrenzen, wie im Pariser Abkommen vorgesehen. Und sicherzustellen, dass große Verschmutzer für Klimaschäden zur Verantwortung gezogen werden können.
Ein „rechtlicher Imperativ“
„Was vor zehn Jahren ein moralischer Imperativ war, ist heute ein rechtlicher Imperativ“, sagt Sarah Mead, Co-Direktorin des Climate Litigation Network.
„Große Verschmutzer, also die Regierungen und Unternehmen, die am stärksten für den Klimawandel verantwortlich sind, müssen ihren Beitrag leisten im globalen Bemühen, gefährlichen Klimawandel zu stoppen.“
Mead ergänzt, die größten Emittenten der Welt dürften nicht „straffrei verschmutzen“ und „auf Kosten unserer Zukunft“ Gewinne machen. Die Gerichte holten nun auf.
Dennis van Berkle, Justiziar bei Urgenda, sagt, in den vergangenen zehn Jahren hätten Menschen mit Hilfe der Gerichte ein Rechenschaftsgerüst von unten aufgebaut.
„Noch nie waren die Voraussetzungen besser, mit dem Recht Menschen und den Planeten vor dem Klimawandel zu schützen“, fügt er hinzu.