EU-Beitrittskandidat Ukraine - nun beginnt ein langer Prozess

Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Mario Draghi im zerbombten Irpin bei Kiew,
Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Mario Draghi im zerbombten Irpin bei Kiew, Copyright Ludovic Marin/AP
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Von Stefan Grobe
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Westliche Sanktionen, EU-Energieunabhängigkeit und der EU-Kandidatenstatus der Ukraine - unsere Themen diese Wochen in State of the Union

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Während der Abnutzungskrieg im Osten weitergeht, überraschte in dieser Woche die ukrainische Regierung mit einer eher ernüchternden Erkenntnis. Die westlichen Sanktionen treffen die russische Wirtschaft weit weniger als erwartet.

Tatsächlich sorgen fortgesetzte Einnahmen aus dem Rohstoffgeschäft dafür, dass die russischen Finanzen stabil bleiben, erklärte Kiew. Dies ist Wasser auf die Mühlen derer, die weit härtere Maßnahmen gefordet haben, vor allem im Energiesektor.

Zugleich verfolgt die Europäische Union weiter ihre Strategie, "vertrauenswürdige Lieferanten" an Stelle Russlands zu finden, wie es Ursula von der Leyen formulierte.

In dieser Woche unterzeichnete die EU eine Vereinbarung über Erdgaslieferungen mit Israel und Ägypten, die die Abhängigkeit von Russland weiter verringern soll.

Von der Leyen: “Ich bin sehr dankbar, dass wir nun ein faszinierendes Projekt diskutieren, bei dem Israel Flüssiggas in die EU transportiert, und zwar mittels einer Pipeline von Israel über Ägypten und dann weiter in die EU."

In welchem Maße diese Nahost-Connection Europa hilft, seine Lieferanten zu diversifizieren, ist unklar - aber es ist ein Anfang.

Unterdessen reisten die Regierungschefs von Frankreich, Deutschland und Italien in die Ukraine, bei weitem der wichtigste Staatsbesuch im Land seit Beginn der russischen Invasion - eine starke Geste der Unterstützung.

Emmanuel Macron hatte eine Botschaft für die Ukrainer: "Eine Botschaft der europäischen Einigkeit an die Menschen hier. Eine Botschaft der Unterstützung, der Zukunftsperspektive, denn die kommenden Wochen werden sehr schwierig werden."

In der Tat, es sind schwierige Zeiten.

Schon in der nächsten Woche berät ein weiterer EU-Gipfel die Frage, ob die EU der Ukraine den Kandidatenstatus einräumen soll mit der Perspektive einer Mitgliedschaft in der Zukunft.

Wann genau in der Zukunft, das steht allerdings in den Sternen.

Die Mitgliedsstaaten sind gespalten. Einige wollen ein beschleunigtes Verfahren, um ein starkes politisches Signal zu senden. Andere sind reservierter, um es vorsichtig auszudrücken.

Dazu ein Interview mit David McAllister, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament.

Euronews: Ich will jetzt mal den Advocatus Diaboli spielen. Die Ukraine leidet an Korruption, mangelhaften Institutionen und wirtschaftlichem Rückstand – und befindet auch noch im Krieg. Warum sollte die EU jetzt eine ukrainische Mitgliedschaft ins Auge fassen?

McAllister: Jeder europäische Staat, der unsere Werte respektiert und sich verpflichtet, sie umzusetzen, kann einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft stellen. Und nachdem ein Land Beitrittskandidat geworden ist, beginnt das Verfahren. Am Ende muss die Ukraine wie jeder andere Bewerber alle notwendigen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Kriterien erfüllen. Der Ukraine den Kandidatenstatus jetzt zu verleihen, wäre eine angemessene Botschaft an die ukrainische Bevölkerung in ihrem Kampf für unsere europäischen Werte. Und es wäre ein klares Zeichen der Unterstützung und der politischen Solidarität.

Euronews: Wäre es nicht nicht ehrlicher, der Ukraine zu sagen, dies werde auf absehbare Zeit nicht stattfinden?

McAllister: Die Ukrainer wissen das - Präsident Selenskyj etwa hat gesagt, dass er wisse, dass es eine gewisse Zeit dauern werde, ein Mitglied der Europäischen Union zu werden. Doch wir wollen diesen Prozess beginnen, und deswegen weiß die Ukraine auch, dass am Ende alle notwendigen Bedingungen erfüllt werden müssen. Zahlreiche Reformen müssen umgesetzt werden, etwa im Kampf gegen die Korruption und für die Modernisierung der Verwaltung. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Ukraine bereit ist, diesen schwierigen Prozess zu beginnen, vor allem, nachdem dieser schreckliche Krieg vorbei sein wird.

Euronews: Emmanuel Macron hat eine Art engere Partnerschaft mit der Ukraine vorgeschlagen, aber keine sofortige Mitgliedschaft. Wie stehen Sie dazu?

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McAllister: Das Europäische Parlament hat ebenfalls dazu aufgerufen, die Europäische Nachbarschaftspolitik neu zu fassen. Wir haben die 27 EU-Länder, wir haben andere Staaten in Europa, mit denen wir unterschiedliche Beziehungen pflegen. Dazu gehören Nicht-EU-Mitglieder im Gemeinsamen Markt wie Norwegen, Liechtenstein und Island. Wir haben sehr enge Beziehungen zur Schweiz, basierend auf mehr als einhundert Verträgen. Es gibt die Balkan-Staaten, die bereits auf einem Weg zum Beitritt sind. Es gibt andere Staaten, die einen anderen Weg der Kooperation gewählt haben. Um diese Zusammenarbeit besser zu koordinieren, bin ich für Vorschläge immer dankbar. Ich denke, wir sollten uns die Details der Ideen von Emmanuel Macron und Charles Michel genau ansehen.

Euronews: Und allgemein, ist eine neue Erweiterung der EU vernünftig unter den gegenwärtigen Bedigungen, ohne Änderung der Verträge?

McAllister: Ich bin überzeugt, dass der Erweiterungsprozess vorausschaubarer, dynamischer und politischer sein muss. Es muss den Kandidatenländern klar sein, was wir von ihren erwarten - und was wir ihnen bieten, wenn sie liefern. Ich sehe also keine dringende Notwendigkeit, die Verträge zu ändern, aber ich begrüße jeden Vorschlag, wie wir den Erweiterungsprozess glaubwürdiger machen können.

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