Alles, was wir über das EU-Abkommen zu zollfreiem ukrainischem Getreide wissen

Das EU-Abkommen betrifft vier ukrainische Erzeugnisse: Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne.
Das EU-Abkommen betrifft vier ukrainische Erzeugnisse: Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne. Copyright Nariman El-Mofty/Copyright 2022 The AP. All rights reserved.
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Von Jorge Liboreiro
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Die Vereinbarung betrifft vier Getreidesorten, die auf den Märkten der an die Ukraine angrenzenden EU-Länder zu Störungen geführt haben.

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Die Europäische Union hat endlich das lang erwartete Abkommen zur Beilegung des sich zuspitzenden Handelsstreits um ukrainisches Getreide unterzeichnet. Diese Kontroverse war zu einer Art Lackmustest für die anhaltende Solidarität der EU mit dem kriegsgeschüttelten Land geworden.

Die am späten Freitagnachmittag - nach tagelangen intensiven Verhandlungen hinter den Kulissen - bekannt gegebene Vereinbarung soll die Bedenken von fünf mitteleuropäischen Ländern - Polen, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien - zerstreuen und gleichzeitig die nachteiligen Auswirkungen auf die ukrainischen Agrarexporte, eine der wichtigsten Einnahmequellen Kiews, minimieren.

Die Vereinbarung "schützt sowohl die Exportkapazitäten der Ukraine, damit sie weiterhin die Welt ernähren kann, als auch den Lebensunterhalt unserer Landwirte", sagte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen.

Hier ist alles, was wir über das Abkommen wissen.

Warum war ein Abkommen überhaupt notwendig?

Die Ukraine ist weltweit führend in der Produktion von Getreide, das früher in großen Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen auf der ganzen Welt gehandelt wurde. Doch als Russland seine groß angelegte Invasion startete, wurde der Handel stark beeinträchtigt, insbesondere über die Schwarzmeerroute, die der Kreml unter seine strenge Kontrolle stellte, bzw. zeitweise ganz unterband.

Um eine Alternative zu bieten, beschloss die EU im vergangenen Jahr, die Zölle auf eine breite Palette ukrainischer Einfuhren aufzuheben, darunter landwirtschaftliche Produkte wie Weizen, Mais, Gerste, Geflügel, Eier und Zucker, die bereits im Rahmen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine von 2014 eine Sonderbehandlung genossen.

Die Aussetzung der Zölle und die Ungewissheit der Lage im Schwarzen Meer führten gemeinsam zu einem steilen Anstieg des ukrainischen Handels über die Landwege zu den europäischen Nachbarn.

Ein Beispiel: Im Juni, als die Aussetzung in Kraft trat, importierten die 27 Mitgliedstaaten 548.838 Tonnen ukrainischen Mais. Bis Dezember verdreifachten sich diese Einfuhren fast und betrugen 1.541.183 Tonnen.

Der Zustrom löste bei den Ländern in der unmittelbaren Peripherie der Ukraine - Polen, Ungarn, Slowakei, Rumänien und Bulgarien - große Besorgnis aus. Sie argumentierten, das Überangebot fülle die Lager, verzerre die wirtschaftliche Dynamik und drücke die Preise für die lokalen Erzeuger.

Angesichts einer drohendenden Krise bei der bevorstehenden Sommerernte und der anhaltenden Proteste der Landwirte, die bei den kommenden Wahlen eine wichtige Rolle spielen werden, haben die Regierungen Polens, Ungarns, der Slowakei und Bulgariens die Einfuhr einer breiten Palette zollfreier ukrainischer Produkte, darunter auch Getreide, verboten - eine überraschende Entscheidung, die schnell als unvereinbar mit den EU-Vorschriften angeprangert wurde.

Die Europäische Kommission nahm daraufhin Gespräche mit den fünf osteuropäischen Ländern und der Ukraine auf, um eine EU-weite Lösung zu finden, mit der die Verbote aufgehoben werden können.

Worum geht es bei der Einigung?

Die Vereinbarung sieht "Präventivmaßnahmen" für vier ukrainische Erzeugnisse - Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumenkerne - vor, die nach Ansicht der Kommission die stärkste Störwirkung haben.

Diese Erzeugnisse dürfen nur im Transit durch die fünf mitteleuropäischen Länder befördert werden, d. h. sie dürfen weder in deren Hoheitsgebiet gelagert noch für den Inlandsverbrauch erworben werden. Stattdessen werden sie direkt in andere Mitgliedstaaten versandt oder in die ganze Welt verschifft.

Dies stellt einen wichtigen Kompromiss seitens Polen, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien dar, die auf eine umfangreichere Liste der Produkte, die nur für den Transit bestimmt sind, gedrängt hatten.

Ihre nationalen Verbote hatten ein viel breiteres Spektrum ukrainischer Importe umfasst, wie Milchprodukte, Obst, Zucker, Honig, Eier, Fleisch und Wein.

Brüssel bestand jedoch darauf, dass die Lösung verhältnismäßig sein und auf wirtschaftlichen Daten und Fakten beruhen müsse.

Was geschieht nun mit den Verboten?

Im Rahmen der Vereinbarung erklären sich die fünf osteuropäischen Länder bereit, ihre einseitigen Verbote aufzuheben und sich vollständig an die EU-weite Regelung zu halten.

Das bedeutet, dass Produkte, die zuvor verboten waren, wie Geflügel und Gemüse, nun Zugang zum Binnenmarkt der Anrainerstaaten erhalten müssen.

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Die Aufhebung der Verbote wird voraussichtlich am 2. Mai erfolgen, wenn die Präventivmaßnahmen in Kraft treten.

Könnten auch andere Produkte betroffen sein?

Ja, aber die Europäische Kommission wird mit jeder weiteren Entscheidung bis zum 5. Juni warten, dem Tag, an dem die derzeitige zollfreie Regelung ausläuft.

Die Kommission hat bereits vorgeschlagen, die Regelung um ein weiteres Jahr, bis zum 5. Juni 2024, zu verlängern. Der entsprechende Beschluss muss noch vom Europäischen Parlament und dem EU-Rat genehmigt werden.

Im Rahmen der neuen Verordnung hat die EU vor, "beschleunigte Schutzmaßnahmen" einzuführen, mit denen Marktentwicklungen überwacht und gegebenenfalls Zölle auf Produkte wieder eingeführt werden, wenn die Entwicklungen den europäischen Binnenmarkt "beinträchtigen".

Diese Option, die weitaus radikaler ist als die reinen Transitmaßnahmen im Rahmen des derzeitigen Abkommens, unterliegt strengen Bedingungen: Die Kommission wird erst dann eine förmliche Untersuchung einleiten, wenn sie "ausreichende Anscheinsbeweise" dafür erhalten hat, dass ein bestimmtes ukrainisches Produkt nachteilige Auswirkungen verursacht.

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Die Untersuchung muss innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten abgeschlossen werden.

Was ist sonst noch in der Vereinbarung?

Geld.

Im Gegenzug für die Aufhebung der Verbote wird die Europäische Kommission ein Unterstützungspaket in Höhe von 100 Millionen Euro für Landwirte in Polen, Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien freigeben.

Die Mitgliedstaaten sind berechtigt, die Unternehmen und Erzeuger zu benennen, die für die Unterstützung in Frage kommen, und die Kommission wird später die Kosten erstatten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Exekutive diese Art von Unterstützung gewährt: Ende März genehmigte die Kommission einen Finanzrahmen in Höhe von 56,3 Millionen Euro für Landwirte in Polen, Rumänien und Bulgarien, um die wirtschaftlichen Verluste auszugleichen, die durch die stärkere Konkurrenz aus der Ukraine entstanden.

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Ein sehr viel vageres Element der Vereinbarung ist das Versprechen der Kommission, das Funktionieren der Solidaritätswege zu verbessern und sicherzustellen, dass zollfreie Einfuhren den europäischen Markt verlassen und Entwicklungsländer in Afrika und im Nahen Osten erreichen, die in hohem Maße von den preiswerten ukrainischen Lebensmitteln abhängig sind.

Logistische Probleme, hohe Transportkosten und ein Mangel an moderner Infrastruktur in Ost- und Mitteleuropa wurden ebenfalls für die Getreideschwemme verantwortlich gemacht. Inoffiziell räumen Kommissionsbeamte ein, dass diese Fragen zu komplex und tiefgreifend sind, als dass sie im Rahmen einer befristeten Vereinbarung gelöst werden könnten, was bedeutet, dass der Druck auf die lokalen Preise kurzfristig anhalten dürfte.

"Niemand behauptet, dass die Schutzmaßnahmen allein die Probleme lösen werden, die hinter dem Problem stehen, aber sie schaffen eine Atempause", sagte ein hoher EU-Beamter.

Journalist • Andreas Rogal

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