Mário Soares: "Die EU steckt in ihrer schwersten Krise"

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Die Wirtschafts- und Finanzkrise in Portugal ist ein weiteres Beispiel für die Diktatur der Märkte. Die Regierungen verlieren an Einfluss und die Demokratie ist gefährdet.

Mário Soares spricht Klartext. Er ist ein Mann, der sein Leben lang für die Werte der Demokratie gekämpft hat. Heute kritisiert er lautstark die “Monster unserer Zeit.”

euronews, Anna Miranda:
“Mário Soares, als ehemaliger Präsident Portugals vertreten Sie die Meinung, dass die Europäische Union derzeit in der schwersten Krise seit ihrer Gründung steckt. Mit welchen Gefahren muss es die Europäische Union und somit auch Portugal aufnehmen?”

Mário Soares, ehemaliger Präsident Portugals:
“Die Wirtschaft und die Geschäfte haben die Oberhand über die Politik. Das ist eine Tragödie für alle Mitgliedsstaaten. Die Europäische Union steckt in ihrer schwersten Krise. Die Märkte sind verrückt geworden und jene, die die Märkte regieren sind richtige “Monster”. Niemand weiß, woher diese “Monster der Finanz” kommen oder was sie wollen. Wir wissen nur, dass sie es auf das Geld abgesehen haben. Sie greifen den Euro an und Länder wie Griechenland, Irland, Portugal und demnächst noch weitere Länder. Es ist dramatisch, weil Europa keine gemeinsame Antwort gefunden hat, was nötig gewesen wäre. Wenn die Länder, die Geld haben, wie etwa die Deutschen und Frau Merkel glauben, dass sie die anderen Länder herumkommandieren und Europa eindeutschen können, dann haben sie sich getäuscht.”

euronews:
“Sie kritisieren die Art und Weise, wie Frankreich und Deutschland die Krise in den Nachbarländern handhaben. Glauben sie wirklich, dass sich die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident Sarkozy egoistisch verhalten? Legen die reichen Länder die Regeln fest?”

Mário Soares:
“Nein, sie sollten es nicht tun. Das ist ein Fehler. Doch in Wirklichkeit tut Frau Merkel so, als ob sie die Chefin Europas wäre, was allerdings nicht der Fall ist. Frankreich folgt Deutschland und niemand kennt die Politik von Herrn Sarkozy.

Vor kurzem gab es eine sehr unangenehme Situation. Sarkozy hat mit französischen Kampfflugzeugen Libyen bombardiert und so Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Sie sind von Nordafrika aus nach Italien auf die Insel Lampedusa geflüchtet. Berlusconi hat die europäischen Mitgliedsstaaten also auch Frankreich, um Hilfe gebeten. Die Antwort lautete, dass Italien seine Probleme alleine lösen müsse. Niemand wollte in die Geschichte hineingezogen werden. Was derzeit geschieht, verdirbt den Kern Europas.”

euronews:
“Es war immer wieder die Rede davon, dass Portugal nicht Griechenland sei und mit seinen Finanzen auf dem Laufenden sei. Doch das war ein Mythos. Ist die weltweit mangelnde Transparenz, die alles blockiert, das wahre Übel der Wirtschaftssysteme?”

Mário Soares:
“Das hängt mit dem Neoliberalismus zusammen und mit der Idee, dass Geld die Welt regiert. Dieses System kommt aus den USA. Doch heute funktioniert es nicht mehr und der amerikanische Präsident Obama bemüht sich um Änderungen und will ein neues Wirtschaftsentwicklungsmodell.

Alle haben mittlerweile verstanden, dass Europa, wenn es auf dieser Schiene bleibt, keine Zukunft hat und auf lange Sicht leider ein Anhängsel Asiens wird.”

euronews:
“Sie sind ähnlich wie US-Präsident Obama für ein neues Wirtschaftsentwicklungsmodell. Allerdings sagen Sie, dass man sich die noch verbleibenden Madoffs vorknöpfen sollte. Ist es möglich die europäischen Madoffs zu bekämpfen?”

Mário Soares:
“Ja, natürlich. Wir müssen herausfinden, wer für die Krise verantwortlich ist, die Europa fest im Griff hat und sich auf die restliche Welt ausbreitet. Diese Verantwortlichen müssen verurteilt werden.

Doch wir leben in einer verkehrten Welt. Die Verantworlichen der Krise behalten ihre Posten in den Banken und verwalten weiter das Geld. Die Banken bekommen sogar Geld, damit sie vor einem Bankrott bewahrt werden.”

euronews:
“An dem Tag, als Portugal das Ausland um Hilfe gebeten hat, schrieb die Financial Times, dass die Banken gewonnen haben. Haben die Banken gesiegt, jetzt wo der Internationale Währungsfonds in Portugal eingreift?”

Mário Soares:
“Ich stimme ihnen zu. Heute ist es soweit gekommen. Die Banken befinden sich in einer schwierigen Lage. An der Börse geht es bergab, und die Ratingagenturen üben einen schlechten Einfluss aus. Die Ratingagenturen sind illegale Organisationen, die keinen Sinn ergeben und keinerlei Verantwortungsgefühl haben. Warum zeigen sie Mitgliedsstaaten an? Woher nehmen sie sich das Recht dazu? Niemand weiß, woher die Ratingagenturen kommen, was sie vorhaben und was ihr Nutzen ist. Das alles muss sich ändern.”

euronews:
“Die Gier der Märkte wird nicht nur Portugal verschlingen, wenn die Europäischen Institutionen nicht reagieren. Ist das der Anfang vom Ende des europäischen Projektes und des Euros?”

Mário Soares:
“Ja, wenn es so weiter geht, ist das das Ende des europäischen Projektes. Da besteht kein Zweifel. Aber ich glaube, dass es starke Reaktionen geben wird. Die Bürger werden reagieren. Die Völker lehnen sich nicht nur in der arabischen Welt auf. Es könnte zu großen Aufständen in Europa kommen, denn die Menschen werden sich gegen dieses Europa zur Wehr setzen. Denn das ist nicht Europa. Europa ist vielmehr Raum des Dialogs, des sozialen Wohlstands und des Respekts.”

euronews:
“Sie haben gegen das Regime von Salazar gekämpft. Sie kennen die schwarze Seite der Diktaturen und des Nationalismus. Erschreckt Sie der Aufstieg der Rechtsextremen in der Europäischen Union, jetzt wo sie von der Krise gebeutelt ist?”

Mário Soares:
“Es ist erschreckend. Ich denke da etwa an die Rede, die der finnische Präsident vor kurzem gehalten hat. Er hat Portugal ohne jeglichen Grund angegriffen. Er vergisst dabei, dass die Deutschen und die Armee der Sowjetunion in Finnland einmarschiert sind und, dass die Europäer Finnland immer unterstützt haben.

Wie kommt es, dass die Finnen sich heute abschotten und so reaktionär und konservativ sind? Das ist traurig für sie, aber auch traurig für Europa.”

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