Paris und Berlin: Rien ne va plus

Paris und Berlin: Rien ne va plus
Von Euronews
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Rien ne va plus, zwischen Deutschland und Frankreich geht nichts mehr, zur Zeit zumindest. Zwar ließ der französische Präsident Francois Hollande, zu Gast bei den Festlichkeiten zum 150. Jahrestag der SPD in Leipzig, die deutsch-französische Freundschaft hochleben, doch in Wahrheit sind die Beziehungen zwischen den beiden Staaten so gespannt wie schon lange nicht mehr. Hollandes Sozialisten werfen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel selbstbezogene Unnachgiebigkeit ihres europäischen Sparkurses vor, während Berlin die französische Wirtschafts- und Industriepolitik kritisiert und mit Sorge auf Paris blickt. Eine der Folgen des verschärften Tons zwischen dem deutsch-französischen Paar ist, dass gemeinsame Europa-Initiativen seit geraumer Zeit fehlen. Und wer wenn nicht Deutschland und Frankreich könnten das krisengeschüttelte Europa voranbringen? Ende Mai hat Bundeskanzlerin Merkel dem französischen Präsidenten einen Besuch in Paris zugesagt. Dass sich danach alles zum Besten wenden wird, ist wohl kaum anzunehmen.

Über die Ursachen der zur Zeit schwierigen Beziehung sprachen wir mit Jan Techau, dem Leiter der Denkfabrik Carnegie Europe.

Euronews:
Herzlich willkommen hier bei Euronews!
Frankreichs Präsident Francois Hollande hat kürzlich eine Wirtschaftsregierung für die Euro-Staaten vorgeschlagen und das deutsch-französische Paar beschworen. Sind das nur schöne Worte?

Jan Techau:
Ich glaube, dass das jetzt tatsächlich die Not zeigt, mit der Francois Hollande in diese Debatte wieder rein muss, in diese Europa-Debatte, die er lange Zeit im Grunde ausschließlich aus der Krisen-Perspektive gesehen hat und wo man ihm vorgeworfen hat, dass er nichts Entscheidendes beizutragen hat. Jetzt will er die Sache wenden, jetzt will er wieder in die Offensive gehen, er will Frankreich als Motor der Integration wieder auf den Fahrplan bringen.

Euronews:
Nun ist es so, dass Deutschland Frankreich mangelnden Reformwillen vorwirft, Paris hingegen wirft Deutschland die Sparpolitik vor. Wird eine Annäherung in diesen Fragen überhaupt möglich sein?

Jan Techau:
Also es hat eine Teilannäherung gegeben, insofern als dass Deutschland den Zeitrahmen, in dem Austerität, in dem dieses Sparprogramm durchgesetzt werden soll, in dem Budgets wieder in die Balance gebracht werden sollen, verlängert hat. Aber die beiden grundsätzlichen wirtschaftlichen Positionen zwischen Frankreich und Deutschland sind viel älter als die Krise. Hier treffen auch zwei Kulturen aufeinander, die immer schon angelegt waren in diesem Verhältnis, die sich aber in der Krise zuspitzen: Die Deutschen sind eher freihändlerisch, durchaus auch eher auf Lohnbeschränkung und auf eine eher geringere Rolle des Staates ausgerichtet, während Frankreich ganz stark etatistisch denkt und Unternehmertum, freies Unternehmertum, Mittelstand eigentlich nicht mit dem selben Stellenwert anschaut.

Euronews:
Ist die Ursache des deutsch-französischen – Konflikts -, können wir schon sagen, darin zu suchen?

Jan Techau:
Die Krux liegt natürlich darin, dass Deutschland vor etwa zehn Jahren angefangen hat, seine Hausaufgaben zu machen. Diesen Sprung hat Frankreich eigentlich nicht nur in den letzten zwanzig Jahren sondern eigentlich in den letzten dreißig Jahren nicht gemacht. Und das ist etwas, was jetzt nicht mehr geht: Weder die Märkte noch der Globalisierungsstand, noch der Schuldenstand zuhause lassen das zu. Und ein weiterer wesentlicher Punkt für die Krise liegt darin, dass Deutschland vom politischen System her halbwegs reformierbar ist, während es in Frankreich so aussieht, als wenn die politische Klasse und das politische System so verkrustet sind, dass es fast übermenschliche Kräfte erfordert, um überhaupt Reformen durchzuführen.

Euronews:
Nimmt Europa auf diese Art und Weise nicht längerfristig Schaden, wenn es keine Einigkeit gibt?

Jan Techau:
Ja, eine zu lange Uneinigkeit ist für Europa nicht nützlich. Allerdings darf man nicht vergessen, dass in der europäischen Geschichte, in der Geschichte der Integration Uneinigkeit über sehr fundamentale Fragen völlig normal war, immer war. Lieber jetzt mehr Streit und dafür am Ende etwas Solides, als irgendetwas Überstürztes, was dann in fünf oder acht Jahren schon wieder reformiert werden muss.

Euronews:
Es sieht nun danach aus, dass Frau Merkel im Herbst ein drittes Mal Bundeskanzlerin werden könnte. Tritt das ein, was geschieht mit dem zitierten deutsch-französischen Paar? Wie wird das weitergehen?

Jan Techau:
Ich glaube, dass für das deutschfranzösische Verhältnis die französische Seite entscheidender ist als die deutsche. Selbst wenn wir in Deutschland einen Regierungswechsel bekämen, und einen sozialdemokratischen Kanzler, wonach es im Moment nicht aussieht, aber was nicht völlig aussichtslos ist, würde sich eine deutsche Politik nicht im Wesentlichen ändern. Viel wichtiger ist es, dass Frankreich seine innenpolitischen Reformprobleme in den Griff bekommt und einen realistischeren Wirtschaftskurs einschlägt. Das wird sofort und ganz fundamental Auswirkungen auf das deutsch-französische Verhältnis haben. Das ist der eigentliche Hemmschuh!

Euronews:
Herr Techau, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.

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